In der Bildungslandschaft geht seit Jahren das Gespenst einer neuen Schulform um. Während viele ihre Einführung wünschen, wehrt sich eine starke Elite noch.
Die empirische Forschung zeige, dass sich die Mehrgliedrigkeit der Schulen nur wenig auf das durchschnittliche Niveau der Bildungsergebnisse auswirkt, sagt Ludger Wößmann. "Aber in den Systemen, in denen die Schüler länger gemeinsam unterrichtet werden, hat das eine starke positive Auswirkung auf die Chancengleichheit.“
Es sei belegt, erklärt der Professor für Bildungsökonomie an der Ludwig-Maximilians-Universität sowie Bereichsleiter Humankapital und Innovation am Institut für Wirtschaftsforschung in München, dass ein Gesamtschul-Modell den familiären Hintergrund eines Schülers bzw. "die Frage der individuellen Förderung zu Hause“ in den Hintergrund dränge.
Hierzulande nennt nicht einmal mehr die SPÖ das Kind gerne beim Namen: Als vergangene Woche Bildungsministerin Claudia Schmied mit ihrer ÖVP-Kollegin Beatrix Karl, Bundesministerin für Wissenschaft und Forschung, und den Sozialpartnern vor zahlreichen Medienvertretern zum gemeinsamen "Bildungsdialog“ Stellung nahm, sprach auch sie nur vom Ausbau der Neuen Mittelschule (NMS) als gemeinsame Bildungsstätte für die Zehn- bis 14-Jährigen.
Ideologisch geprägte Debatte
Wer dieses Modell noch als Gesamtschule bezeichnet - egal, ob damit auch die Vereinnahmung der AHS gewünscht ist (SPÖ) oder der Erhalt des Gymnasiums gefordert wird (ÖVP) -, will den Gegner provozieren oder auf Gefahren hinweisen, die davon vermeintlich ausgingen. Im besten Fall noch soll damit nur neuer Schwung in eine alte und vielfach als mühsam empfundene Debatte gebracht werden.
So kritisierte die Sozialistische Jugend Ende Jänner, dass die Mutterpartei SPÖ mit der geplanten mittleren Reife (nach Wunsch der ÖVP) eine "weitere Hürde im Bildungssystem“ aufstelle, statt die "Gesamtschule“ zu verwirklichen. Umgekehrt erteilte die Wiener-ÖVP-Chefin Christine Marek den "Gesamtschul-Fantasien der SPÖ bei gleichzeitiger Zerschlagung der bewährten Langform der Gymnasien“ eine deutliche Absage.
Lukas Mandl, Generalsekretär des Arbeitnehmerinnen- und Arbeitnehmerbundes ÖAAB in der ÖVP, tat es ihr vergangenen Montag gleich, als er sagte: Die Bildungsministerin betreibe einen "Etikettenschwindel“, plane weiterhin "die Abschaffung der Gymnasien“ - samt "Verbot von Privatschulen“ - und wolle damit die NMS zur "Gesamtschule“ machen.
Auch das "Volksbegehren Bildungsinitiative“ (VBBI) umschifft den Begriff elegant. So wird unter anderem "ein sozial faires, inklusives Bildungssystem“ angestrebt, das "die Trennung der Kinder nach ihren eigenen Interessen und Begabungen erstmals am Ende der Schulpflicht“ vorsieht. Also mit der Umsetzung der Entscheidung, wie es in (und nach) der neunten Schulstufe weitergehen soll.
Dass damit eine Gesamtschule nach internationalem Vorbild gemeint ist, wird auf Nachfrage unumwunden zugegeben: Ja, man wolle diesen Weg, erklären die Expertinnen und Experten des VBBI-Redaktionsteams, die den Text in seiner Grundform entworfen und mit rund 130 Vertretern verschiedener Institutionen abgestimmt haben. Jedoch sei der Begriff für zu viele Menschen ein "rotes Tuch“, sodass sich der Erfolg des von Hannes Androsch initiierten Volksbegehrens durchaus an diesem einen Punkt entscheiden könnte.
Im Mai 2010 hatte Beatrix Karl weite Teile der Volkspartei entsetzt, als sie via Ö1 ein "Gymnasium für alle“ wünschte. Bedenkt man, dass das Konzept der Neuen Mittelschule die Übernahme des AHS-Lehrplans beinhaltet, waren sich die zuständigen Ministerinnen vor und nach dieser Aussage - zumindest in der öffentlichen Wahrnehmung - niemals so nahe. Am Ende blieb die bis heute aufrechte Partei-Order, dass eine vollständige Vereinheitlichung aller Mittelschulen "kein Thema“ sei.
Ein Querschläger, der sichtbar Freude an dieser Rolle zeigt, bleibt Wirtschaftskammer-Präsident Christoph Leitl, der immerhin Mitglied im Bundesvorstand der Österreichischen Volkspartei ist. Er tat schon als direkte Reaktion auf das Bildungskonzept seiner Partei kund, dass er auf lange Sicht die Einführung eines einzigen Schultyps für die fünfte bis achte Schulstufe erwarte. Nach dem "Bildungsdialog“ teilten er, Schmied und Karl der Öffentlichkeit zusammen mit den Präsidenten der Arbeiterkammer, der Landwirtschaftskammer, des ÖGB und der Industriellenvereinigung (IV) über den Ausbau der NMS mit, dass "eine quantitative Beschränkung dieses Schulversuchs nicht sinnvoll“ sei.
Gleiche Leistung, mehr Chancen
Auf Nachfrage blieb freilich das ÖVP-Parteiveto mit dem Erhalt des Gymnasiums stehen, und auch IV-Präsident Veit Sorger sprach sich für eine gemeinsame Schule der Zehn- bis 14-Jährigen "nur unter bestimmten Bedingungen“ aus. Insbesondere eine "innere Leistungsdifferenzierung“ bat sich Sorger für diesen Fall aus, und appellierte zugleich an die politischen Akteure, "Ideologien zu überwinden“. Ausnahmsweise war es in dieser Konstellation an der Sozialdemokratie, ein wenig zu bremsen: "Qualität geht vor Tempo“, stellte Schmied fest.
"Innerhalb der jeweiligen Schule mag es sinnvoll sein, wenn es Schwerpunkte gibt“, kann Wößmann, der am 15. Februar im Management Club in Wien vorträgt (Info: www.managementclub.at), Sorgers Einwurf etwas abgewinnen. Aber grundsätzlich würden "auch die besten Schüler nicht darunter leiden“, wenn sie zusammen mit weniger begabten in einer Schulform unterrichtet werden: "Wir haben nicht einmal für die besten zehn Prozent in eingliedrigen Systemen einen Hinweis, dass sie unter anderen Umständen noch besser abschneiden würden.“
Im jetzigen System, mit dem Österreich und Deutschland "weltweit alleine dastehen“, sei es jedenfalls so, "dass jene mit dem größten Potenzial wegen der frühen Aufteilung nicht unbedingt in den Gymnasien landen“. Zugleich würden das viele, "die aufgrund ihrer tatsächlichen Kompetenz keine herausragenden Schüler wären“ auf Basis elterlicher Förderung schaffen. Wößmann folgert daraus: "Die frühe Aufteilung fördert also nicht die Leistungselite, sondern eher die Herkunftselite.“
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