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Die Debatte über die Inhalte des Lernens steht erst ganz am Anfang.

Schön, jetzt freuen sich alle, dass die berüchtigte Zweidrittel-Mehrheit in Schulfragen fallen soll. Bildungsministerin Gehrer ließ in der zib 2 wissen, sie sei ohnedies immer schon dafür gewesen, Bundeskanzler Schüssel sprach sichtlich zufrieden etwas von "europäischer Normalität" und vom hohen Niveau der Bildungsdebatte, die spö feierte das als ihren Erfolg, und auch die Grünen lobten die Einigung, wiesen aber daraufhin, dass es doch nun darauf ankäme, wozu denn die durch die Abschaffung der Verfassungsmehrheit gewonnene Freiheit genutzt würde.

In der Tat, das ist die entscheidende Frage. Das zentrale Ergebnis des Bildungsgipfels bezieht sich ja nur auf die formalen Rahmenbedingungen des Zustandekommens von Schulgesetzen. Künftig wird einer Regierung dafür also, wie in anderen Bereichen auch, die eigene parlamentarische Mehrheit reichen. Das ist gut so - aber doch noch ein bisschen dürftig als Ergebnis einer Bildungsdebatte, die angeblich derzeit auf hohem Niveau geführt wird.

Indes kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass diese Debatte noch nicht einmal richtig begonnen hat. Denn auch die der Mehrheitsfrage nachgeordneten, ideologisch ursprünglich hoch aufgeladenen organisatorischen Fragen berühren noch nicht den Kern dessen, worum es eigentlich gehen sollte - um die Bildung eben.

Die Themen "Ganztagsschule" und "Gesamtschule" werden dennoch nicht mehr von der bildungspolitischen Agenda verschwinden, und es ist positiv zu verzeichnen, dass darüber heute einigermaßen entspannt diskutiert werden kann. Leichter ist es bei der Ganztagsschule: Was früher als "Entprivatisierung der Erziehung" von den einen verteufelt wurde - und von manchen anderen wohl auch so gemeint war -, gewinnt heute unter dem Titel "Vereinbarkeit von Beruf und Familie" ganz neue Facetten. Jenseits aller weltanschaulichen Differenzen lässt sich festhalten, dass die Ganztagsschule schlicht eine Antwort auf veränderte gesellschaftliche Realitäten darstellt: In der Regel ist auch in den im Wortsinn besten Familien unter der Woche niemand da, der mit dem fertigen Mittagessen wartet. Die dahinterstehende Neudefinition von Geschlechterrollen hat den Frauen - und damit der ganzen Gesellschaft - einen beträchtlichen Zugewinn an Freiheit verschafft. Wer dies anerkennt und damit A sagt, sollte freilich auch B sagen und den Unterricht gleich pädagogisch sinnvoll auf den ganzen Tag verteilen, anstatt alles wie bisher in den Vormittag hineinzustopfen und am Nachmittag nur zu "betreuen".

Etwas härter, aber doch gegenüber früheren Jahren deutlich aufgeweicht, sind die Fronten bei der Gesamtschule: Was seinerzeit von den einen als "Gleichmacherei" und "Nivellierung nach unten" bekämpft wurde - und von manchen anderen wohl auch so gemeint war -, erscheint nun, gepaart mit dem Zauberwort "Binnendifferenzierung", als Möglichkeit gegenseitiger Bereicherung von in verschiedener Weise begabten Kindern.

Beide, Ganztags- wie Gesamtschule, werden aber noch nicht zwingend dazu führen, dass die an so vielen Schulen offensichtlich herrschende Mischung aus Lehrerfrust, Elternwut und Schülerangst (nach Belieben sind die Worte auch anders kombinierbar) verschwindet. Gut denkbar - weil schlecht österreichisch - ist es ja, dass wir mit großem Getöse oben genannte Schulformen einführen und uns dann wundern, dass alles beim Alten bleibt und wir auch bei der nächsten pisa-Olympiade nicht am Stockerl stehen. Weil die Form allein eben nicht alles ist und Gesamtschule nicht gleich Gesamtschule sein muss.

Vor allem aber ersparen all diese Diskussionen, seien sie noch so ernsthaft und mit noch so viel gutem Willen geführt, nicht die Auseinandersetzung mit der Frage nach den Inhalten des Lernens. Darf, muss Bildung mehr sein, als die Zurichtung auf den Wirtschaftsstandort? Ist vielleicht sogar der Standort nachhaltig nur gesichert, wenn sich das Bildungssystem gerade nicht an ihm orientiert? Welche Bilder vom Menschen, von der Welt vermögen die in der Bildung Tätigen zu vermitteln - über religiöse und kulturelle Grenzen hinweg? Die Debatte über diese Fragen steht erst ganz am Anfang - und eignet sich gewiss nicht für Bildungsgipfel.

rudolf.mitloehner@furche.at

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