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Vorstob der Utopisten

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Einst sprach man von der Einheitsschule - so lange, bis dieser Terminus zum Reizwort für alle Gegner geworden war und man ihn, mit Rücksicht auf die angestrebte Bindung aller Schulprobleme an eine qualifizierte Mehrheit, unter den Tisch fallen ließ. Den Terminus, nicht den Inhalt. Dann kam die Gesamtschule aufs Tapet, mit anderer Struktur, schon neueren Vorstellungen angepaßt, aber doch mit demselben Ziel, als „gemeinsame Schule aller Schulpflichtigen“ die „soziale Integration“ zu erreichen. Nun scheint die „gemeinsame Schule aller Schulpflichtigen“ die neueste Sprachregelung zu sein; erst in der Diskussion darauf angesprochen, detaillierte Minister Sinowatz in Klagenfurt, daß er die Gesamtschule als logische Konsequenz dieser Formulierung ansehe und daß man zu Beginn der achtziger Jahre die ersten Schritte in dieser Richtung gehen könnte.

In Österreich, heißt's, werden alle Entwicklungen, die man in Deutschland bereits wieder über Bord wirft, mit einem Abstand von fünf Jahren nachvollzogen. Das hätte auch seine guten Seiten, wäre man bereit, aus den Fehlern zu lernen, die andernorts bereits zur Umkehr veranlassen, und zöge man daraus die Konsequenzen. Soweit ist man in Österreich und speziell in der SPÖ trotz aller (oder gerade wegen der) Progressivität aber nicht.

Auch am Minoritenplatz ist man sich bewußt, daß es die Gesamtschule nur geben kann, wenn ihr auch die große Oppositionspartei zustimmt. Deswegen sollen „die Vorteile der Gesamtschule“ klar aufgezeigt werden, soll die Diskussion intensiviert werden. Zur gleichen Zeit wehrt sich etwa die SPD-FDP-Regierung von 1 Nordrhein-Westfalen mit mitunter schon manipulativen Methoden gegen ein Volksbegehren, das die Elternverbände gegen die Gesamtschule eingeleitet haben, und in Hessen hat die CDU ihre Erfolge bei den vergangenen Gemeinderatswahlen nicht zuletzt ihrem Kampf gegen diese Schulreform, die dort kurzerhand oktroyiert worden war, zu verdanken.

Wir brauchen gar nicht so weit zu gehen. Bleiben wir im eigenen Land, ja im eigenen Lager der sozialistischen Schulreformer. Auch dort gibt es Fachleute, die die Vernunft über die Ideologie setzen - und die trotzdem durchaus diskutierbare, im guten Sinn gesellschaftsverändernde Vorstellungen vorlegen.

Josef Maderner, SPÖ-Abgeordneter aus Kärnten, doppelter Doktor - als Werkstudent dazu geworden -, Gymnasialdirektor und Landesschulin-spektor, sagt in einer gerade erschienen Broschüre „Bildungspolitik jenseits der Standesinteressen“ (Europa-Verlag) eindeutig: „Die Gesamtschule wird als Zwangseinrichtung abgelehnt, weil sie

1. aus Verfassungsgründen ohnehin nicht verwirklicht werden kann,

2. den Wünschen der Bevölkerung widerspricht und

3. der Förderung der Begabten nicht dienlich ist, weil sie überdurchschnittlich intelligenten, kulturell aufgeschlossenen Kindern nur wenig bieten kann.“

Maderner zerpflückt das Schlagwort der „Chancengleichheit“, die sich nach seiner Meinung nur in einer Differenzierung der Bildung erreichen läßt, nicht aber dadurch, „alle über einen nur wenig modifizierten Bildungsleisten zu schlagen.“ Sinowatz sprach in Klagenfurt - laut SK - davon, Gleichheit bedeute in der Bildungspolitik „die Entwicklung von immer mehr Chancengleichheit“, und überließ es der „Basis“, die Forderung nach gemeinsamer Schule vom 5. bis zum 18. Lebensjahr zu formulieren.

Die Verfassungshürde ließe sich -theoretisch - überwinden, wenn es gelänge, wirklich die Mehrheit der Bevölkerung von der Haltbarkeit der sozialistischen Feststellungen zu überzeugen und damit ihren Widerstand zu unterlaufen. Blecha formulierte in Klagenfurt plastisch, die „konservativen Parteien“ müßten in eine Außenseiterposition gedrängt werden. Das du rfte nicht so einfach sein, denn die Gegenargumente, wie sie Maderner formuliert, überzeugen mehr. Der Kärntner wagt es sogar, „das verpönte Wort von der Elite“ zu gebrauchen: „Die grauen Gehirnzellen sind der kostbarste Rohstoff, über den die Welt verfügt. Aus ihnen erwächst alles, was die Menschheit geschaffen hat. Diesen Rohstoff zu pflegen, sollte man weder als Hobby noch als unsoziale Tat diskriminieren. Es ist eine gesellschaftlich notwendige Aufgabe, welche die Gesamtschule ebenso schwer erfüllen kann wie ein Massenuntergymna-sium.“ Deswegen seine Forderung: „Gesamtschule oder Hauptschule mit A- und B-Zug ist eine Frage der Erreichbarkeit des Konsens“, daneben aber das durchlaufende Gymnasium „als Stätte intensiven Gehirntrainings bei gleichzeitiger Förderung der Gesamtpersönlichkeit“ mit wesentlich erhöhten Ansprüchen.

In Klagenfurt erschreckte das Vorpreschen der Utopisten von der Basis mit Forderungen, die (noch) nicht im Parteiprogramm ausformuliert sind. Wir haben die Vorgänge rund um die Fristenlösung noch in Erinnerung. In der Schulpolitik aber steht die von den Sozialisten selbst miterrichtete Barriere der Mehrheitsklausel. Hier geht's nur mit Konsens. Maderner böte so manche Anregung hierfür. Auch wenn wir nicht mit allen seinen Ideen konform gehen, sie wären wert, Anstoß für eine erneuerte Diskussion zu geben.

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