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Unser Steuersystem ist überholt

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Die Budgetdebatte über die Beförderungssteuer und die Novelle über die Haushaltsbesteuerung bat das Problem unseres Steuersystems breiten Bevölkerungskreisen zum Bewußtsein gebracht. Dabei wurde deutlich das Unbehagen darüber sichtbar und wieder um der Ruf nach einer grundlegenden Steuerreform laut.

Tatsächlich arbeiten Experten des Finanzministeriums bereits seit längerer Zeit an einem Entwurf einer Steuerreform; bei diesem Entwurf handelt es sich jedoch vor allem um eine juridische Arbeit, die das Ziel verfolgt, die unübersichtlichen, teilweise einander widersprechenden steuerlichen Bestimmungen, die derzeit nur von sehr wenigen Fachleuten zur Gänze beherrscht werden können, zu vereinfachen und ein klares, übersichtliches Steuerrecht zu schaffen. Kaum wird hingegen eine funktionelle Reform unseres Steuer- systems’ ins Auge gefaßt wErdeh; obwohl gerade diese äußerst dringlich und notwendig wäre.

Die funktionellen Prinzipien eines modernen Steuersystems

Unser derzeitiges Steuersystem basiert im wesentlichen auf den alten reichs- deutschen Normen. Es entspricht daher auch im allgemeinen den damaligen Erfordernissen einer forcierten Rüstungs- und Kriegspolitik, aber auf keinen Fall den gegenwärtigen wirtschaftlichen Gegebenheiten Österreichs.

Wenn man, fern jeder Dogmatik, nüchtern die Gesichtspunkte analysiert, nach denen ein funktionell richtiges Steuersystem aufgebaut werden müßte, ergeben sich zwei große Gruppen:

• fiskalische Notwendigkeiten;

• volkswirtschaftliche Momente.

Es kann kein Zweifel darüber bestehen, daß die Primäraufgabe jeder Steuerpolitik darin bestehen muß, die notwendigen Mittel zur Bedeckung der erforderlichen staatlichen Ausgaben zu beschaffen, wobei zu bedenken ist, daß die Tatsache des Wohlfahrtsstaates auch in Zukunft zu weiteren Ausgabensteigerungen führen wird. Diese Entwicklung mag von manchen bedauert werden, sie liegt aber in den zunehmenden sozialen Aufgaben begründet, die der Staat als Verkörperung der Gemeinschaft übernimmt und übernehmen muß. Die Erfüllung der fiskalischen Notwendigkeiten erfordert also ein Steuersystem, das ständig steigende Staatseinnahmen ermöglicht.

Die volkswirtschaftlichen Aspekte

Es wäre natürlich absurd, diese ständig steigenden Staatseinnahmen durch ein kontinuierliches Anziehen der Steuerschraube erzielen zu wollen, da dies wirtschaftlichem Selbstmord gleichkäme. Die einzige reale Möglichkeit zur Steigerung der Steuereingänge besteht in der wirtschaftlichen Expansion und der permanenten Erhöhung des Nationalprodukts. Ein richtig konzipiertes Steuersystem muß daher alle Funktionen erfüllen, die eine solche Entwicklung gewährleisten können.

In dem Artikel „Kann die Konjunktur gehalten werden?“ („Die Furche" Nr. 31 vom 30. Juli I960) wurde darauf hingewiesen, daß die wichtigsten Stützpfeiler der Konjunktur die Aus weitung des Inlandkonsums und die Expansion der Wirtschaft sind, wobei als wesentliche Hilfsmittel hiezu

• eine allgemeine Leistungssteigerung und die Rationalisierung der Produktion,

• die Sicherstellung Volkswirtschaft-

lieh richtiger Investitionen und die Vermeidung von Fehlinvestitionen sowie

• die Steigerung der allgemeinen Kaufkraft anzusehen sind.

Daraus folgt, daß ein funktionell richtiges Steuersystem folgende Funktionen erfüllen muß:

• die Förderung der Leistungssteigerung,

• die Unterstützung der Kapitalbildung,

• die Förderung volkswirtschaftlich produktiver Investitionen und Vermeidung von Fehlinvestitioneti und

• die Möglichkeit einer aktiven Konjunkturpolitik des Staates.

Wenn man unser derzeitiges Steuersystem nach diesen Gesichtspunkten untersucht, ist das Ergebnis beunruhigend; es stellt sich heraus, daß keiner dieser Punkte voll erfüllt wird, ja daß bei einigen wesentlichen Punkten sogar eine gegensätzliche Tendenz besteht, wobei gleichzeitig nicht einmal die fiskalischen Erfordernisse erfüllt werden, wie das Budget 1961 zeigt.

Leistungs- und wettbewerbsfeindlich

Es bedarf wohl kaum mehr eines Beweises für die Leistungsfeindlichkeit unseres Steuersystems. Der in letzter Zeit so stark diskutierte „Mittel- standsbauch", das heißt die unverhältnismäßig stark ansteigende Steuerprogression in den mittleren Einkommensbereichen, bestraft praktisch jeden, der sich bemüht, seine Qualifikation und seine Leistung zu steigern, um in eine höhere Einkommenskategorie zu gelangen, während z. B. anderseits sehr hohe Einkommen, bei denen der

Leistungsfaktor kaum mehr eine Rolle spielt, wesentlich weniger stark besteuert werden, als etwa in den USA oder Großbritannien.

Die niederen Steuerfreibeträge für Nebeneinkommen, von denen vor allem die literarisch tätigen Intellektuellen schwerster« betroffen werden, bestrafen praktisch alle zusätzlichen Anstrengungen, die, von einigen Auswüchsen abgesehen, volkswirtschaftlich zu begrüßen sind, da sie zu einer Erhöhung des Nationalprodukts führen.

Als Fazit ergibt sich, daß unser Steuersystem praktisch von der Maxime ausgeht, daß derjenige, der mehr leistet, unverhältnismäßig mehr bezahlen muß, daß also die zusätzliche Leistung von der Gemeinschaft nicht belohnt, sondern bestraft wird.

Das gilt nicht nur für Unselbständige, sondern auch für gewerbliche und industrielle Unternehmungen. Es kommt nicht selten vor, daß ein Unternehmen eine bestimmte Umsatzgrenze einfach nicht überschreitet, obwohl dies technisch durchaus möglich wäre, weil sich der Unternehmer nicht ganz zu Unrecht sagt: „Wozu soll ich weitere Risiken eingehen, wenn mir von dem Ertrag fast nichts mehr bleibt?“ Und wenn sich ein Betrieb gar zu Preissenkungen entschließt, dann beschwört er damit nur kritische Situationen bei seiner nächsten Betriebsprüfung herauf, da es nicht selten schon vorgekommen ist, daß der Betriebsprüfer die Preissenkung nicht zur Kenntnis nehmen will oder nur als „arglistiges Manöver“ auffaßt und daraufhin eine „Gewinneinschätzung“ vornehmen will.

Die Tatsache weiter, daß nicht entnommene Gewinne voll zu versteuern sind, führt dazu, daß Betriebe, die z. B. angesichts des Gemeinsamen Marktes vermehrte Wettbewerbsanstrengungen bereits voraussehen, nur unzureichende Reserven ansammeln können, wodurch ihre Wettbewerbssituation in der Zukunft schwerster« gefährdet werden kann numruvpa esuis jiuiffifflmuu Eine der wichtigsten Aufgaben der Steuerreform w#re ,qs daher. ,.4igse „Tendenzen radikal auszumerzen und die Prinzipien der Leistungssteigerung und der Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit auch steuerlich entsprechend zu verankern.

Als wesentliche Mittel hiezu wären vorzusehen:

• die radikale Änderung der Steuerprogression in Annäherung etwa an die amerikanische Progressionskurve,

• die Einführung der Steuerfreiheit für nicht entnommene Gewinne und Begünstigung der Rücklagenbildung,

• eine fühlbare Erhöhung der Steuerfreibeträge für Nebeneinkommen und Versteuerung der Nebeneinkommen mit einem fixen Steuersatz (z. B. 10 Prozent), was auch zu Vereinfachungen der Abrechnung führen würde,

• eine noch bessere Anpassung der Betriebsprüfungen an die betrieblichen Gegebenheiten.

In weiteren Artikeln werden wir uns mit den anderen aufgezeigten Problemen auseinandersetzen.

forderungen. Eine Folge dieser Erfahrungen ist, daß immer mehr Eltern ihre Kinder schon heute — um ihnen einen günstigeren Start zu sichern — erst nach der fünften Volksschulstufe in die Mittel- und Hauptschulen schicken bzw. sie vor dem Übertritt in die Mittelschule erst noch ein Jahr die Hauptschule besuchen lassen.

Daß übrigens in manchen Staaten der Übertritt in die weiterführenden Schulen aus wesentlichen pädagogischen Gründen bereits später als bei uns (in manchen erst nach der sechsten Schulstufe) erfolgt, wäre hier noch anzufügen.

Die Ansetzung des zusätzlichen Jahres an die Grundschulzeit hätte jedenfalls den entscheidenden Vorzug, daß die Schulzeitverlängerung dadurch nicht nur den Pflichtschulabgängern zugute käme, sondern auch das Gesamtniveau der Mittelschulbildung verbessern würde.

Es sollte bei dieser Entscheidung aber auch die Tatsache nicht unbeachtet bleiben, daß ein nicht geringer Prozentsatz unserer Mittel- und Hauptschüler Fahrschüler sind. Nicht zuletzt auch im Interesse einer gesunden Entwicklung dieser Kinder, die Tag für Tag auswärts in die weiterführenden Schulen fahren müssen, wäre ein fünftes Volksschuljahr sehr zu begrüßen. Die ernste Sorge des Fahrschülerproblems würde eine spürbare Milderung erfahren, wenn unsere Landkinder wenigstens nicht schon mit zehn Jahren aus ihrer Dorfheimat herausgeführt, dem Familienleben und der elterlichen Betreuung so weitgehend entzogen und den mannigfachen Belastungen und Gefährdungen des Pendlerlebens überantwortet werden müßten.

Aber auch ein lebensnahes Abschlußjahr!

Anderseits hat aber natürlich auch die Forderung eines möglichst lebenspraktisch und berufsnah gestalteten Bildungsabschlusses der Pflichtschulzeit ihre Begründung und Berechtigung. Doch schließt die Einführung eines fünften Grundschuljahres eine Erfüllung dieses anderen Anliegens keinesfalls aus.

Zunächst ist darauf zu achten, daß ja auch heute noch fast zwei Fünftel aller österreichischen Pflichtschulabgänger (auf dem Lande die Mehrzahl) die Oberstufe der Volksschule besuchen und dort ihre abschließende Schulbildung erfahren. Für die Volksund Sonderschulen entsteht jedoch mit der Schulzeitverlängerung eo ipso ein zusätzliches Schuljahr am Ende der Schulzeit. Daß dieses neunte Schuljahr nicht einfach eine Fortführung der bisherigen Schulzeit sein soll, sondern ihm doch auch eine neue, den Übertritt ins Berufsleben in besonderer Weise vorbereitende Bildungsaufgabe

zugewiesen werden muß, steht wohl außer Frage. Neben der notwendigen Vertiefung und besseren Verankerung des traditionellen Lehrgutes und einer intensivierten Pflege der lebenspraktischen Anwendung der erworbenen Fertigkeiten und Kenntnisse werden für diese Stufe vor allem elementare wirtschafts- und berufskundliche, sozial- und staatsbürgerkundliche Unterweisungen als zusätzliche Bildungsaufgaben aufzunehmen sein.

Auf dem Lande wird sich in diesem Zusammenhang vielfach die Notwendigkeit ergeben, die letzten Schul- stufen mehrerer benachbarter Dorfschulen gemeinsam in zentral gelegenen Sammelklassen zu führen, da sich die Sonderaufgabe eines besonders lebens- und berufsnahen Abschlußjahres im Verband wenig gegliederter Landschulen auf sinngemäße, befriedigende Weise kaum realisieren läßt.

Aber auch im Bereich der Hauptschule braucht auf eine lebenspraktischere Gestaltung des Abschlußjahres im Falle der Verlängerung der Grund- schulzeit keinesfalls notwendig verzichtet zu werden. Da manches von dem, was heute lehrplanmäßig Unterrichtsgegenstand der ersten Hauptschulklasse ist, nach Vorschaltung einer fünften Volksschulstufe bereits vorweg in der Volksschule vermittelt würde, wäre es dann ohne Zweifel möglich, die Jahreslehrziele der Hauptschule in dem einen oder anderen Gegenstand (insbesondere in Deutsch und Rechnen) auf allen Stufen leicht anzuheben. Dadurch würde der Lehrplan der vierten Hauptschulklasse entlastet und die zusätzliche Hereinnahme mancher für den Übertritt ins Berufsleben wichtigen Bildungsaufgabe ermöglicht. Wenn im Zuge einer solchen Neufassung des Hauptschullehrplanes in Anpassung an die Verlängerung der Grundschulzeit das Lehrprogramm der letzten Klasse gleichzeitig einer allgemeinen Revision unter dem Aspekt der Lebenswichtigkeit und Berufsnähe unterzogen würde, ergäben sich gewiß noch weitere Möglichkeiten dieser Art.

Es läßt sich also der Gedanke eines lebensnahen Abschlußjahres durchaus zusammen mit einer Erweiterung der Grundschulbildung in der Hauptschule ebenso wie in der Volksschule realisieren. Die schulpolitische Streitfrage „fünftes Volksschuljahr oder lebensnahes Abschlußjahr" erscheint demnach im Grunde illusorisch. Die Problemstellung müßte für die Einrichtung des neunten Schuljahres vielmehr lauten: Durch welche schulgesetz-

liehen und schulorganisatorischen Regelungen läßt sich mit dem einen gleichzeitig auch dem anderen Erfordernis in optimaler Weise entsprechen? So gesehen, sollte es bei rechter Einsicht und gutem Willen nicht allzu schwierig sein, in der Sache zu einer einvernehmlichen Lösung zu gelangen.

Im wesentlichen aber sollten dabei Sinn und Ziel der angestrebten Schulzeitverlängerung doch weniger in einer inhaltlichen Erweiterung der Pflichtschulbildung durch zusätzliche Fächer und Lehrstoffe gesehen werden, als in ihrer qualitativen Verbesserung, die eben erst dadurch möglich wird, daß der Schule Zeit gegeben wird für eine gründlichere Ausbildung in den elementaren Kulturtechniken, für eine vertiefendere Wissensbildung, für die ruhige Entfaltung und Schulung geistiger Kräfte durch verstärkte Pflege moderner didaktischer Arbeitsweisen, die nun einmal keine Hast erlauben.

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