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Währung und Wachstum

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Das Bild der dynamischen Wirtschaft im 20. Jahrhundert ist eng mit einem Entwicklungsprozeß verbunden, dessen Charakteristikum in den östlichen Ländern der Planwirtschaft mit Selbstverständlichkeit und Wohlgefallen, in den freiheitlichen Ländern des Westens aber mit Unbehagen verfolgt wird: dem wachsenden Einfluß der öffentlichen Gebarung und dem steigenden Anteil der öffentlichen Hand am Sozialprodukt. Diese von Adolph Wagner auf finanzpolitischem Gebiet als Gesetz des wachsenden Staatsbedarfs genannte Entwicklung hat neben sozialpolitischen Auswirkungen, auf die hier nicht näher eingegangen werden soll, für die anderen an der Gestaltung des Wirtschaftsablaufs maßgeblich Beteiligten, namentlich für die Notenbank, erhebliche Bedeutung. Während in der Zeit des Goldstandards die Aktionen der Zentralbank von der außenwirtschaftlichen Position des Landes bestimmt wurden und dadurch eine Steuerung der Konjunktur eintrat, ist durch das zunehmende Gewicht des Staates im Wirtschaftsprozeß die Wirkung von monetären Maßnahmen geringer geworden. Für die Notenbank ergibt sich daraus auf binnenwirtschaftlichem Gebiet die Notwendigkeit, eine den konjunkturellen Gegebenheiten entsprechende Einflußnahme auf das Wirtschaftsgeschehen nicht durch Opposition, sondern durch Kooperation zu erreichen.

Sieht man in dieser elastischen Haltung der Notenbank einen Wandel gegenüber ihrer Rolle vor einigen Dezennien, so muß auf der anderen Seite auch die geänderte Zielsetzung der Wirtschaftspolitik hervorgehoben werden, daß nämlich der Gedanke der Förderung des wirtschaftlichen Wachstums seit 1945 international Verbreitung gefunden hat. Die Wurzeln dieser neuen Einstellung reichen jedoch noch weiter zurück und gründen auf den Erfahrungen der Krisenzeit. Unter dem Eindruck der Zerstörungen, welche die sekundären Auswirkungen der Krise auslösten, konzentrierten sich die Bemühungen auf eine Unterbrechung des Circulus vitiosus von schrumpfender Produktion und sinkenden Einkommen durch beschäftigungspolitische Maßnahmen. Die Überlegungen bedeutender, darunter auch österreichischer, Wissenschaftler kristallisierten sich zur Idee der Vollbeschäftigung, deren Verwirklichung durch den Krieg verhindert, auf die jedoch nach 1945, bei Beginn des Wiederaufbaues, zurückgegriffen wurde. Nach der Beseitigung der Kriegsfolgen und der Befriedigung des Nachholbedarfs erreichte der Lebensstandard eine bisher noch nicht gekannte Höhe. Um diese Dynamik zu erhalten, verlagerte sich der Akzent der wirtschaftspolitischen Bemühungen auf eine bewußte Förderung des Expansionsprozesses, wobei dessen Rate, als Maßstab des Wirtschaftswachstums, in den Mittelpunkt der Betrachtungen rückte.

Für die Notenbank bedeutet diese Schwerpunktverschiebung die Notwendigkeit einer Neugestaltung ihrer Politik, um den an sie gestellten Anforderungen gerecht zu werden. Auf dem Gebiet der Währungs- und Kreditpolitik ist sie darauf bedacht, mit ihren Aktionen das wirtschaftliche Wachstum nicht ru behindern, das heißt einen Kurs zu steuern,

der deflationistische Effekte vermeidet; gleichzeitig strebt sie aber darnach, daß sich auch der Geldwert nicht vermindert, also daß inflationistische Tendenzen hintangehalten werden. Eine derartige Gratwanderung verlangt von ihr einen hohen Grad von Flexibilität und schnelle Entschlüsse, bedingt aber auch, daß sie ein entsprechend modernes Instrumentarium besitzt und die für die Beschlußfassung erforderlichen Informationen in der Form von Berichten oder Zahlen ihr rasch und zuverlässig zur Verfügung stehen. Die genaue Kenntnis der Gegebenheiten und der Zusammenhänge stellt die Grundbedingung für eine auf die Förderung eines gedeihlichen Wachstums der Wirtschaft ausgerichtete Politik dar.

Bei dieser Aufgabe ist namentlich die Rücksichtnahme auf die Wirtschaftsstruktur unerläßlich, und zwar seitens aller, die sich eine Förderung der wirtschaftlichen Expansion zum Ziel gesetzt haben. Es wäre volkswirtschaftlicher Unsinn, blindlings alles, was im Lande an wirtschaftlichem Potential vorhanden ist, zu fördern oder aus dem ehrgeizigen Bestreben, einem Planmythos zu huldigen, mit Gewalt eine bestimmte Entwicklungsrichtung zu erzwingen. Vielmehr sind eine sorgfältige Bedachtnahme auf die verfügbaren Produktionsreserven und ihr natürliches Wachstum, die Abwägung von Bedarf und Nachfrage sowie die Erforschung künftiger Entwicklungsmöglichkeiten als Leitpunkte der richtigen wirtschaftlichen Initiative angezeigt, die sich nur unter Wahrung des Grundsatzes der maximalen Freizügigkeit entfalten kann. Die Freiheit des wirt schaftlichen Entschlusses ist unabdinglich denn sie bürgt dafür, daß die Entwicklung gerade jener Bereiche erfolgt, in denen die Produktivität hoch ist.

Die Betonung der Forderung nach freier Entfaltung der wirtschaftlichen Kräfte ist kein ökonomischer Atavismus. Sie ist vielmehr die Lehre der Erfahrungen aus der Zeit der wirtschaftlichen Abkapselung während der krisenhaften dreißiger Jahre; damals haben die Restriktionen und Hemmungen den wirtschaftlichen Niedergang nicht aufhalten können, da der Spielraum der persönlichen Initiative immer mehr eingeengt wurde. Diese Fehler wollte man in der Wiederaufbauperiode nach 1945 vermeiden und begann systematisch die Beschränkungen abzubauen. Der Gedanke der Beseitigung der dem freien wirtschaftlichen Verkehr entgegenstehenden Hindernisse fand weltweite Verbreitung und hat erst die als Wirtschaftswunder bezeich- neten Leistungen in Europa möglich gemacht Es sei hier an den Internationalen Währungsfonds, die Internationale Bank für Wirtschaftsförderung und Wiederaufbau erinnert, deren Statuten noch in der Kriegszeit ausgearbeitet wurden und die in der Präambel eine Befreiung des internationalen Zahlungsverkehrs von den Fesseln des Dirigismus sowie die Förderung des Welthandels und des freien Kapitalverkehrs fordern; die Freizügigkeit im Warenverkehr und eine liberale Zollpolitik setzte sich das GATT als besondere Ziele, und schließlich war im europäischen Raum auf allgemeinwirtschaftlichein

Gebiet die heute zur OECD umgestaltete OEEC der Protagonist des Abbaues von wirtschaftlichen Beschränkungen.

Ein weiterer Grundzug dieser Organisationen ist die Zusammenarbeit bei den Bemühungen zur Förderung des Wirtschaftswachstums und zwar nicht nur seitens der staatlichen Stellen, sondern auch der Wäh- rungsbehörden. Damit finden die Gedanken einer Kooperation zur Steigerung der wirtschaftlichen Aktivität auf internationaler Ebene eine weitere Entfaltungsmöglichkeit, woran die Notenbanken besonders interessiert sind. Die Enge desęinzelwirtschaftlichen Raumes birgt die Gefahr in sich, daß Maßnahmen zur Förderung des wirtschaftlichen Wachstums allzu sehr von nationalen Motiven beeinflußt werden und Fehlentwicklungen und Strukturschäden hervorrufen, welche die Währung in Mitleidenschaft ziehen. Zielführend sind somit nur Bestrebungen, die auf weltweiter Basis eine Integrierung des Wirtschaftsprozesses anstreben, sei es im institutionellen Rahmen wie im Währungsfonds, der Weltbank und dem GATT oder bei bestimmten Anlässen, wie zum Beispiel der Welthandelskonferenz. Bei diesen Arbeiten kommt auch den Sonderformen der Kooperation, wie EWG und EFTA, ein geziemender Teil zu,

doch sollte nicht vergessen werden, daß sie nur regionale Erscheinungsgebilde im großen Integrationsprozeß darstellen.

Das Ausmaß der Dynamik der wirtschaftlichen Expansion hängt wesentlich vom Vorhandensein entsprechender finanzieller Mittel ab, deren richtige Dosierung Hauptanliegen der Kreditpolitik sind, die sowohl das Brachliegen von Produktionskapazitäten als auch Entwicklungsexzesse zu vermeiden sucht. Hiebei ist die Gefahr des Zuwenig geringer als die des Zuviel. Überblickt man die Entwicklung der letzten zehn Jahre, dann ist in fast 'allen Ländern eine Übersteigerung der Expansion festzustellen mit den allseits bekannten Folgen wie Knappheitserscheinungen, Preiserhöhungen und Kaufkraftverlusten der Währungen. Es bildet nur einen geringen Trost, daß diese Form der expansionsbedingten Inflation international in Erscheinung getreten ist und sich trotz länderweiser Unterschiede meistens in Grenzen gehalten hat, die noch eine Apostrophierung als „schleichend“ und nicht als „galoppierend“ gestatten. Viel bedenklicher ist die Tatsache', daß auch Notenbanken, die von dem ehrlichen Bemühen geleitet waren, den Währungswert unter Einsatz ihres gesamten Instrumentariums aufrecht zu erhalten, sich resignierend mit einer relativen Stabilität zufrieden geben mußten.

Leider ist die fortschreitende Aushöhlung der Kaufkraft der Währungen im letzten Jahr — auch in Österreich — sehr stark spürbar geworden, und es wird vehementer Anstrengungen in der ganzen freien Welt bedürfen. wenn dieser Entwicklung Einhalt geboten werden soll. Dabei handelt es sich nicht um eine bloße Prestigefrage der Notenbanken, inwieweit sie in der Lage und gewillt sind, dem Erfordernis der Währungsstabilität stärkere Beachtung zu verschaffen, sondern um eine Lebensfrage für das wirtschaftliche Wachstum selbst. Es gibt kein Wachstum ohne Investitionen, und diese sind wieder vom Sparen abhängig. Eine gesteigerte Kapitalbildung wird aber nur dann zu erwarten sein, wenn der Sparer das Vertrauen io die Kaufkraft der Währung besitzt sowie willens ist, einen entsprechenden Konsumverzicht zu leisten. Eine kontinuierliche Minderung des Wertes seiner Ersparnisse ist hiefür die denk bar schlechteste Voraussetzung, und er wird sich nicht, mit dem Hinweis zufriedengeben, daß es in den Nachbarländern nicht viel anders bestellt ist.

Immerhin ist festzustellen, daß in den jüngsten Monaten die Besinnung auf eine Gleichwertigkeit der beiden Ziele, wirtschaftliches Wachstum und Währungsstabilität, im Vordringen ist. Das entschlossene Programm des Ministerrates der EWG zur Wiederherstellung des inneren und äußeren Gleichgewichts in der Wirtschaftsentwicklung des Gemeinsamen Marktes stellt die Notwendigkeit der Stabilität des Preis- und Kostenniveaus in den Vordergrund und schlägt eine Reihe von konkreten Maßnahmen zur Realisierung seiner Empfehlungen vor. Diese Aktion ist als erster übernationaler Schritt zu begrüßen, und es ist nur erfreulich, wenn sich auf hoher internationaler Ebene die Überzeugung durchzusetzen beginnt, daß es keinen echten wirtschaftlichen Fortschritt ohne eine entsprechende Stabilität der Währungen gibt.

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