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Finanzpolitik von morgen

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Schon seit Jahren wird in Österreich ein neuer Stil der Wirtschaftspolitik gefordert, ohne daß es bisher möglich gewesen wäre, dieses Verlangen in die Tat umzusetzen. Die Ereignisse des nunmehr ablaufenden Jahres 1962 haben uns deutlich vor Augen geführt, wie notwendig eine grundsätzliche Neuorientierung nicht nur des wirtschaftlichen, sondern auch des politischen Stils ist. Die seit Jahren bestehenden Schwierigkeiten bei der Erstellung des Staatshaushaltes, die geringe Manövrierfähigkeit der Wirtschaftspolitik, die kaum überbrückbaren politischen Schwierigkeiten, die sich dem Einsatz des wirtschaftspolitischen Instrumentariums entgegenstellen, dies alles führte zu jenen Hemmungen und oftmals halben Lösungen, welche in weiten Kreisen das Vertrauen in die österreichische Wirtschaftspolitik unsicher gemacht haben.

Wenn wir uns in den vergangenen Jahren manche wirtschaftspolitischen Unzulänglichkeiten ungestraft leisten konnten, so vor allem deswegen, weil die österreichische Wirtschaft eine Aufbauperiode mit überaus kräftigem Wirtschaftswachstum durchmachte. Jetzt allerdings dürfte — wie überall in Europa — eine Zeitspanne etwas geringeren Wachstums folgen. Es war aber auch nicht anzunehmen, daß reale Wachstumsraten von 8,4 Prozent, wie sie etwa im Jahre 1960 erzielt wurden, ständig erreicht werden müssen. Diese hohen Wachstumsraten haben möglicherweise zur Annahme verleitet, daß die Durchsetzung von Forderungen und Wünschen der Interessentengruppen entweder eine Sache der politischen Schlagkraft, einer geschickten Verhandlungstaktik oder des guten Willens der Verhandlungspartner seien — nicht aber eine Sache der wirtschaftlichen Möglichkeiten. Wenn _wir annehmen, daß nun,;,v,or .der österreichischen Wirtschaft eine Jeriode liggt. die ein als' normal anzusehendes Wachstum bringt, und wenn wir weiter annehmen, daß

Österreich in irgendeiner Form zu einem Arrangement mit der EWG kommen wird, dann muß man sich eingestehen, daß künftig ohne nachhaltige Schäden die bisher betriebenen Methoden der Wirtschaftspolitik nicht fortgesetzt werden dürfen. Ob die österreichische Wirtschaft weiter prosperiert, wird dann ohne Zweifel in viel höherem Maße als bisher davon abhängen, ob unsere Wirtschaftspolitik integrationswillig, anpassungsfähig, vernünftig und schlagkräftig ist. Die üblichen Milchmädchenrechnungen mit von der Parteipolitik diktierten Argumenten als Grundlage für Auseinandersetzungen über schwerwiegende wirtschaftliche Fragen dürften dann nicht mehr die passenden Unterlagen für ernst zu nehmende Maßnahmen sein.

Gegen die Auswüchse der Interessendemokratie

Das sich seinem Ende zuneigende Jahr hat jedem Österreicher deutlich vor Augen geführt, daß die wirtschaftliche Entwicklung nicht in alle Zukunft so flott und verhältnismäßig problemlos weitergehen muß wie im abgelaufenen Jahrzehnt. Im Frühjahr gab es beunruhigende Preissteigerungen, im Herbst eine merkliche Beruhigung des wirtschaftlichen Wachstums mit Schwierigkeiten in manchen Industriezweigen, die zwar nicht überschätzt werden dürfen, aber auch nicht wegdisputiert werden sollten. Die Konkurrenz auf den ausländischen Märkten wird zunehmend schärfer, und manche österreichischen Exportpreise enthalten nun keinen Spielraum mehr. Man wird nicht umhin können, aus dieser Entwicklung die Nutzanwendung zu ziehen, die darin zu bestehen hat, die Wirtschaftspolitik zu versachlichen und die Aus- wAe der Interessendemokratie radikal zu beschneiden.

Das ablaufende Jahr hat auch deutlich gezeigt, daß der Finanzpolitik eine entscheidende wirtschaftspolitische Rolle zukommt und daß es zu sehr bedenklichen Situationen kommen kann, wenn die Finanzpolitik aus politischen Gründen nur in eingeschränktem Maße manövrierfähig ist. Die Paritätische Lohn-Preis-Kommission und ähnliche Institutionen — wie immer sie auch genannt werden — erfüllen dankenswerte Funktionen, die aber gewissermaßen auf der zweiten wirtschaftspolitischen Ebene liegen. Sie können ihren Aufgaben nur dann nachkommen, wenn die entscheidenden wirtschaftspolitischen Daten richtig eingesetzt sind; sie werden überrollt, wenn der Druck einer in der falschen Richtung laufenden Entwicklung zu groß ist. Das Günstigste, was solche Institutionen dann erreichen können, ist ein zeitlich begrenzter Rückstau, der unter Umständen gefährlicher sein kann als der scheinbare Erfolg, der durch sie erzielt worden ist.

Die bescheidenen finanzpolitischen Ziele für 1962 sind erreicht worden: keine nennenswerte Ausweitung der Staatsschuld, praktischer Ausgleich des ordentlichen Haushaltes, Defizit im außerordentlichen Haushalt nur in Höhe der Tilgungen der Staatsschuld. Um diese Ziele zu erreichen, war es notwendig, verschiedene Ausgabenposten während des Budgetjahres zu kürzen. Für die wichtige konjunkturpolitische Funktion des Staatshaushaltes blieb leider nur ein bescheidener Raum zur Verfügung. Wir müssen hier mit Nachdruck feststellen: wäre es nicht zu der merklichen Verlangsamung des Wachstumstempos gekommen, hätte die Finanzpolitik nur wenig, viel zu wenig zur Stabilisierung der Preis-Lohn-Situation beitragen können. Aber weit wichtiger als das hinter uns liegende Jahr ist die Zukunft. Wir müssen uns die Frage stellen, was nun zu tun sei. Es ist keine Übertreibung, wenn wir sagen, daß die Prinzipien, nach denen der Staatshaushalt 1963 erstellt wird, maß gehend dafür sein werden, wie 4ie Finanzpolitik der kommenden Legislaturperiode aussehen wird. Vor allem wird sich zeigen müssen, ob es gelingt, die Finanzpolitik den wirtschaftlichen Gegebenheiten elastischer anzupassen, als dies bisher der Fall gewesen ist. Es hätte für die Zukunft der österreichischen Wirtschaft schwerwiegende Folgen, würde die nicht gelingen.

Unter der Annahme eines hohen Beschäftigtenstandes muß der Staatshaushalt im Jahre 1963 ausgeglichen erstellt werden. Das Defizit im außerordentlichen Haushalt darf nicht größer sein als die Tilgung der Staatsschuld. Wenn im kommenden Jahr die Konjunktur durchgehend gut bleibt, wäre dies dann das dritte Jahr, in dem die Staatsschuld im wesentlichen unver-

ändert geblieben ist Für den Fall allerdings, daß sich die Konjunktur abschwächen sollte, wird man nicht zögern, das Budget zur Konjunkturbelebung einzusetzen, wie es bereits im Jahre 1958 von Prof. Karnitz mit großem Erfolg praktiziert worden ist.

Eine wichtige Frage, die einer Lösung harrt, Ist die Frage eines neuen Budgetrechts. Sollte sich jedoch die Auseinandersetzung über dieses wichtige Rechtsgebiet ausschließlich unter parteipolitischen und nicht unter finanzwissen-, schaftlichen Gesichtspunkten abspielen, wäre ei besser, sich die Mühe darum zu ersparen.

Entscheidende Aufgabe Österreichs in Europa

Von den weiteren wichtigen Fragen finanzpolitischer Natur, die unbedingt in absehbarer Zeit gelöst werden müssen, wäre vor allem die Umsatzsteuerreform zu nennen. In ganz Europa wird versucht, das Umsatzsteuersystem zu harmonisieren. Darum wird es notwendig sein, das in Österreich geltende Allphasen-Umsatzsteuersystem grundlegend umzustellen.

Das bereits im Frühjahr zur Diskussion gestellte Konzept über die Maßnahmen zur Förderung der Kapitalbildung muß weiterbehandelt werden. Für die Investitionsfinanzierung muß unter allen Umständen eine optimale Lösung gefunden werden. Denn die Höhe der Investitionsrate wird nicht zuletzt für die Zukunft der österreichischen Wirtschaft entscheidend sein.

Ferner wird eine Prüfung der Voraussetzungen für einen schrittweisen Abbau der Preisstützungen immer dringlicher. Es kann sich hier nur um einen langfristigen Plan handeln, denn wir haben es mit einem heiklen Problem zu tun, das wirtschaftliche Auswirkungen auf breitester Basis mit sich bringt.

Eine entscheidende wirtschaftspolitische Aufgabe der Zukunft wird darin liegen, ein Arrangement mit der EWG zu finden, das Rücksicht auf die Neutralität unseres Landes nimmt. Diese Frage muß unbedingt aus den Parteienauseinandersetzungen ausgeklammert werden, weil sie von grundlegender staatspolitischer Bedeutung ist. Österreich darf wirtschaftlich auf Kosten seines Wachstums nicht isoliert werden: wir glauben, daß wir mit dieser Haltung in aller Welt auf Verständnis stoßen werden.

Die Aufgabe der österreichischen Politik liegt nun darin, die Existenzgrundlagen unseres Landes zu sichern, was eine verantwortungsbewußte Haltung unserer Regierung und rein sachliche Entscheidungen erfordert.

Die Zukunft unseres Landes wird nicht zuletzt davon abhängen, ob der Geist der Sachlichkeit, der Sparsamkeit und des Verantwortungsbewußtseins an die Stelle der grassierenden Ausgabefreudigkeit und des Interessenegoismus tritt. Die Finanzpolitik hat sich diesen politischen Zielen unterzuordnen und in Hinblick auf die gewaltigen Anforderungen, die ein Arrangement mit der EWG für Österreich bringen wird, vom Budget her eine Politik der Wachstumsförderung und der Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit der österreichischen Wirtschaft zu treiben.

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