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Besorgte Blicke über den Rhein

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Die sozialen und ökonomischen Turbulenzen in Deutschland haben besonders in Frankreich Besorgnis ausgelöst. In Paris wird die Gefährdung des eigenen Sanierungskurses durch einen wirtschaftlich unberechenbaren deutschen Partner befürchtet

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Die sozialen und ökonomischen Turbulenzen in Deutschland haben besonders in Frankreich Besorgnis ausgelöst. In Paris wird die Gefährdung des eigenen Sanierungskurses durch einen wirtschaftlich unberechenbaren deutschen Partner befürchtet

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Als eines der ganz wenigen Länder erfüllt Frankreich bereits heute die sogenannten Konvergentkriterien für die Europäische Wirtschafts- und Währungsunion, was derzeit nicht einmal Deutschland schafft (siehe FURCHE 10/1992). Lediglich die Arbeitslosigkeit ist hoch, nämlich an die zehn Prozent, doch das gilt heutzutage auch und insbesondere den Europastrategen als unwesentlich.

Seit mindestens 20 Jahren ist die Gesdhichte Frankreichs geprägt vom endlosen Bemühen um solche Reformen, um das Aufbrechen der verkrusteten Strukturen, um Dezentralisierung und Modernisierung. Ein Bemühen, das im Prinzip zumindest die demokratisch orientierten Parteien, wenn auch mit unterschiedlichen Schwerpunkten und Methoden, vereint. Die Rahmenbedingungen für Wirtschaft und Gesellschaft erweisen sich nämlich schon seit längerem als Korsett und Hemmschuh für eine modernere Entwicklung.

Nach einer derzeit in Frankreich intensiv geführten Diskussion zu dieser Thematik weiß man, daß die weltwirtschaftliche Bedeutung des Landes seit dem Zweiten Weltkrieg bis etwa 1970/75 gestiegen, seither aber langsam wieder zurückgefallen ist. Bis zu dieser Periode wurden hohe industrielle Wachstumsraten verzeichnet; hätte sich diese Tendenz so fortgesetzt, wäre Frankreich in den achtziger Jahren die führende Wirtschaftsmacht geworden. Damals herrschte eine günstige Konstellation von Wachstum und hoher Investitionstätigkeit, steigender Produktivität, dadurch sinkenden Preisen und Handelsüberschüssen. Aber ähnliches galt in dieser Phase wohl für viele Länder.

Für Frankreich spezifisch waren eher folgende Faktoren: der Wettbewerb, der zuvor eher schwach und durch viele Reglementierung behindert war, wurde in den fünfziger und sechziger Jahren rasch intensiviert und belebte das gesamte Wirtschaftsgeschehen. Weiters spielten demographische Faktoren eine wichtige Rolle. In dem zuvor stark landwirtschaftlich geprägten Raum kam es zu einer raschen Abwanderung in die Städte und zur Entwicklung einer kräftigen Urbanen Dynamik. Die einströmenden Arbeitskräfte waren relativ billig, allerdings auch nur mäßig qualifiziert. Das Wachstum war damit im wesentlichen von diesen billigen und in ausreichender Menge zur Verfügung stehenden Arbeitskräften getragen.

Von großer Bedeutung war in dieser Phase die Rolle des Staates. Dieser hatte einen Weg gefunden, in dem alten Spannungsfeld zwischen Zentralismus und ausgeprägtem Individualismus der Franzosen einen Ausgleich zu finden. Diese indikative Planung wurde auch als „Planification" bekannt und bestand aus einem lockeren Gefüge von Rahmenbedingungen, Anreizen und anzustrebenden Zielen. Und schließlich erwies sich auch die generell rationalistische und technokratische Einstellung der Franzosen als förderlich.

Diese wohltuenden Faktoren hatten sich Ende der sechziger, Anfang der siebziger Jahre teilweise totgelaufen. Verteilungsprobleme wurden offenkundig, eine strukturelle Krise zeichnete sich ab. Die Planification verlor immer mehr an Akzeptanz, aber niemand wollte die Krise so recht wahrhaben. Etwa bis 1975 wurde weiter in überholte Industrien und Strukturen investiert, als wäre nichts geschehen.

Die achtziger Jahre brachten dann nach einem großen Reformanlauf und seinem weitgehenden Scheitern eine Phase der Stabilisierung mit einer

Politik höchstens kleiner Schritte.

Seit dem Frühjahr 1981 versuchten sozialistische Regierungen einige großangelegte Reformen. Diese bezogen sich vor allem auf die Änderung der Beziehungen zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern, auf die Dezentralisierung der Entscheidungsabläufe in der Verwaltung und auf die Nationalisierung einiger Schlüsselbranchen.

Die Beziehungen zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern sollten aufgelockert, die patriarchalischen Strukturen in den Unternehmen abgebaut werden. Ferner wurden die industriellen Mindestlöhne angehoben und die Wochenarbeitszeit auf 39 Stunden verkürzt. Der Kampf gegen die Arbeitslosigkeit und für mehr Solidarität sollte im Vordergrund stehen. Durch die Dezentralisierung sollten mehr Kompetenzen auf die regionale Ebene verlagert werden. Gemeinden, Departements und Regionen sollten mehr Befugnisse erhalten, um die wirtschaftliche, soziale, kulturelle und wissenschaftliche Eigenständigkeit zu fördern und ihre Eigenart zu bewahren.

Die Nationalisierungen schließlich sollten der Regierung die Möglichkeit zu einer rationalen und autonomen Wirtschaftspolitik in die Hand geben. Sie betrafen vor allem die Eisen- und Stahlindustrie, den Bankensektor und einige Hochtechnologiebereiche.

Diese Pläne scheiterten aus einer Reihe von Gründen, auf die hier nicht näher eingegangen werden kann, weitgehend. Sie hatten, um es zurückhaltend auszudrücken, nicht die ungeteilte Zustimmung im In- wie auch im Ausland gefunden. Die Arbeitslosigkeit war entgegen den Erwartungen gestiegen, die Inflation hatte sich beschleunigt, der Franc mußte zwischen 1981 und 1983 dreimal abgewertet werden, Budget- und Leistungsbilanzdefizite wuchsen rasch. Im Frühjahr 1983 mußte die damalige Regierung Mauroy einen Austeritäts-plan mit Steuererhöhungen und Ausgabenkürzungen verkünden, um die Ökonomie wieder in den Griff zu bekommen.

Der Rest der achtziger Jahre war von den Bemühungen um Stabilisierung und Fortsetzung der Reformen, wenn auch in sparsamem Umfang und unter Bedachtnahme auf die Weltwirtschaft und insbesondere in Europa, gekennzeichnet. Heute verfügt Frankreich in Folge verschiedener Preisreformen, Verteilungsregelungen und anderem über hervorragende ökonomische Fundamentaldaten. Die Inflation ist niedriger als in Deutschland, desgleichen das Budgetdefizit, der Franc ist hart, die Leistungsbilanz ausgeglichen.

Als eines der ganz wenigen Länder erfüllt Frankreich bereits heute die sogenannten Konvergentkriterien für die Europäische Wirtschafts- und Währungsunion, was derzeit nicht einmal Deutschland schafft (siehe FURCHE 10/1992). Lediglich die Arbeitslosigkeit ist hoch, nämlich an die zehn Prozent, doch das gilt heutzutage auch und insbesondere den Europastrategen als unwesentlich.

Maßgeblichen Anteil an diesen Erfolgen hat Pierre Beregovoy, der seit 1984 - mit einer zweijährigen Unterbrechung zur Zeit der bürgerlichen Regierung Chirac - an den wesentlichen Hebeln der Wirtschaftsund Finanzressorts tätig war. Mit harter Budgetdisziplin, einer Politik des knappen Geldes und Lohnstops drängte er die französische Wirtschaft dahin, wo sie heute - nicht unbedingt zur Freude des wirtschaftlich geschwächten Deutschland - steht.

Aber jetzt machen Deutschlands Wirtschaftsprobleme den französischen Unternehmern und Politikern Sorgen.Paris fürchtet, so hieß es kürzlich in der FAZ, daß die zunehmende Verschuldung und die aufbrechenden sozialen Probleme beim deutschen Partner negative Auswirkungen auf den französischen Sanierungskurs haben werden. Deutschland ist Frankreichs Haupthandelspartner und die französische Wirtschaft braucht einen starken Kontrahenten.

Noch dazu stehen die grundlegenden Reformen, die Frankreich eine gute Vorstellung auch noch in weiterer Zukunft garantieren soll, immer noch aus. Die Subventionierung der Unternehmen ist immer noch hoch; die Investitionstätigkeit konzentriert sich nach wie vor auf die Eliminierung von Arbeitskraft durch Rationalisierungsinvestition. Die Firmen schaffen zuwenig zukunftsträchtige Arbeitsplätze, modernere Auffassungen, wonach Investitionen in Human-^kapital wesentlich wichtiger werden, setzen sich nur sehr langsam durch. Zunehmend fehlt höher qualifiziertes Personal.

Beregovoy hat sich als Premier vor allem den Abbau der Arbeitslosigkeit zum Ziel gesetzt. Beliebt ist er in seiner Partei, die ihm den harten Sparkurs der letzten Jahre verübelt, trotzdem nicht. Auch beim elitär erzogenen Administrationsadel kommt er nicht an, weil er keiner der ihren ist. Nicht umsonst hat man von Mitterrands letztem Aufgebot gesprochen. Man wird sehen, ob Beregovoy die Chance nützen kann. Viel Zeit bleibt ihm nicht.

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