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Die siebziger Jahre haben begonnen

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Die siebziger Jahre haben begonnen: Gewiß noch nicht nach dem Gregorianischen Kalender, wohl aber in der gedanklichen Konzeption der Bundesregierung und der Regierungspartei, die sich bereits seit nun bald drei Jahren bei ihren Initiativen und Beschlüssen von dem Blick auf die siebziger Jahre und auf die kommenden Jahrzehnte leiten lassen. Im Zeichen der Versachlichung der Politik, der wissenschaftlichen Durchdringimg der einzelnen Materialien ist es denn auch gelungen, in den Zeiten der Koalition durch viele Jahre unerledigt gebliebene Probleme so zu lösen, wie es im allgemeinen öffentlichen Interesse lag. Ich will mich im folgenden auf einige Fragen aus dem Bereich der Wirtschaftspolitik beschränken. Hier hat ja die Bundesregierung entscheidende Maßnahmen bereits in den vergangenen Monaten gesetzt, so hauptsächlich auf den Gebieten der Budgetpolitik, der Investitionsförderung und der aktiven Arbeits-marktpolitik. Maßnahmen zur Verbesserung der Infrastruktur, zur Förderung der privaten Investitionstätigkeit und, wenn möglich, auch zur steuerlichen Entlastung der Betriebe werden weiterhin erforderlich sein und von keiner Seite als „Wahlgeschenke“ klassifiziert werden können.

Bekanntlich ist ja in Österreich die Eigen-finanzierungsquote relativ gering und die Privatwirtschaft hat im Wege von Emissionen nur schwer Zugang zum heimischen Kapitalmarkt. Um diesem Mangel zu begegnen, der durch die bestehenden steuerlichen Begünstigungen nicht ausgeglichen werden kann, werden die Unternehmer künftig der zwischenbetrieblichen Kooperation und der Beteiligungsfinanzierung ein größeres Augenmerk zuwenden müssen.

Einzelwirtschaftlich gesehen, konfrontieren die Auswirkungen der verschärften Wettbewerbsbedingungen die Führungen der Betriebe mit einer Vielzahl von Problemen. Moderne Produktionsweisen und verschärfte Konkurrenzlage zwingen in vielen Bereichen zu einer Spezialisierung der Produktion, einer Technisierung des Produktionsapparates und zu einer Intensivierung der Forschungs- und Entwicklungstätigkeit. Allgemein ist deshalb ein starkes Anwachsen des Kapitalbedarfes festzustellen. Für Österreich, dessen Volkswirtschaft eine überwiegende klein- und mittelbetriebliche Struktur aufweist, ist besonders die zwischenbetriebliche Kooperation von Bedeutung.

In meinem Ressort wird überdies derzeit intensiv an der Schaffung einer Informationsstelle für in- und ausländische Investoren gearbeitet. Dieses Instrument soll der österreichischen Unternehmerschaft ein Hilfsmittel dazu sein, leichter als bisher durch Beteiligungsfinanzierung eine bessere betriebliche Kapitalstruktur zu erzielen.

In diesem Zusammenhang muß ich die von der sozialistischen Opposition zum Gegenstand eines Volksbegehrens gemachte Absicht erwähnen, in Etappen die 40-Stunden-Woche einzuführen. Hier wird sich die Vertretung der Arbeitnehmer auf der Grundlage der gegebenen wirtschaftlichen Verhältnisse entscheiden müssen, ob sie eine Verbesserung der Einkommen oder eine Vermehrung der Freizeit anstrebt. Beides zur selben Zeit wird Ohne ernste Schädigung der Wirtschaft kaum durchführbar sein. Die ansonsten zu gewärtigenden Substanzverluste würden freilich nicht zuletzt die Arbeitnehmer selbst treffen, da die Wettbewerbssituation, insbesondere auf den Außenmärkten, stark verschlechtert würde und es zu einem Rückgang des Wirtschaftswachstums und damit auch des Beschäftigtengrades kommen müßte. Für das laufende Jahr bestehen jedenfalls alle Voraussetzungen für ein Anhalten der Konjunktur. Man rechnet mit einer Wachstumsrate von 5 Prozent, und endlich auch mit einer stärkeren Expansion bei den Investitionen. Mit dem erwarteten Leistungszuwachs läge die österreichische Wirtschaft nur knapp unter der für die EWG prognostizierten Wachstumsrate, anderseits aber über jener der EFTA-Partner.

In der Handelspolitik ist das österreichische Ziel, einen Vertrag besonderer Art mit der EWG zu erreichen, nach wie vor unverändert aufrecht. Hier wird die internationale Entwicklung auf dem Gebiete der Integration aufmerksam verfolgt, um im gegebenen Falle sich anbahnender Gespräche die österreichischen Interessen von Anbeginn wirksam anmelden und vertreten zu können. Das strukturelle Handelspassivum wird es auch in den kommenden Jahren geben und ebenso das Bemühen, einen möglichst großen Teil davon durch den Devisenbringer Nummer 1, den Fremdenverkehr, abzudecken. Die österreichische Fremdenverkehrswerbung im Ausland auf eine neue, finanziell gesicherte und ausreichende Basis zu stellen, bleibt gleichfalls ein Anliegen der nächsten Zeit.

Dem bereits im Vorjahr dem Parlament und der Öffentlichkeit vorgelegten Verkehrskonzept wird in Kürze ein nicht minder wichtiges, nämlich das Energiekonzept, folgen. Ein interministerielles Komitee arbeitet an diesem Konzept schon seit einiger Zeit. Zunächst war es notwendig gewesen, Untersuchungen über die einzelnen Energieträger — Kohle, Erdöl, Gas, Elektrizität — anzustellen. Die Berichte über die erstgenannten drei Energieträger waren freilich bald durch in der Zwischenzeit eingetretene Änderungen, wie Stillegung der Lakog, Erdgasimporte aus der UdSSR, AWP-Verträge und Beschluß über den Bau einer Raffinerie in der Steiermark, teilweise überholt und mußten überarbeitet werden. Auf Grund der Ergebnisse aller vier Teilberichte und einer vom Institut für Wirtschaftsforschung erstellten Energiebedarfsprognose bis 1975 — mit Tendenzen bis 1980 — werden sich die notwendigen Maßnahmen für eine gesamtösterreichische Energiepolitik ergeben. Ziel des Energiekonzeptes ist eine billige, sichere und ausreichende Versorgung der österreichischen Wirtschaft mit frei gewählter Energie. Ein Feld aktiver Mitwirkung des Handelsministeriums war das in Fertigstellung begriffene Raumordnungskonzept der Bundesregierung. Hier ging es für mein Ressort hauptsächlich darum, Standortprobleme der Industrie und des Fremdenverkehrs darzulegen sowie Beiträge für die Leitlinien und ein Aktionsprogramm auf dem Gebiete der Bergbau- und Energiepolitik zu leisten.

Ein Gesetzeswerk, das das Handelsministerium und zahlreiche andere Stellen seit Jahren beschäftigt, ist die Reform der österreichischen Gewerbeordnung. Die Arbeiten am ersten, dem sogenannten Allgemeinen Teil, sind nun so weit fortgeschritten, daß ich den Entwurf voraussichtlich Ende März dem Ministerrat werde vorlegen können. Dieser erste Teil einer neuen Gewerbeordnung wird die alle Gewerbe betreffenden Vorschriften und die Bestimmungen über die sogenannten Nebenrechte der Gewerbetreibenden enthalten. Anschließend werden die Arbeiten am Besonderen Teil, der die Vorschriften für die einzelnen Gewerbe enthalten soll, weitergehen. *

Die Bestimmungen über die Erweiterung der Nebenrechte sollen zu einer Erweiterung der geltenden Vorschriften über den Berechti-gungsumfang der Gewerbetreibenden führen. Diese Vorschriften stehen derzeit noch einer rationellen Ausnützung der Betriebsmittel im Wege. Mit der Reform in dem erwähnten Sinne soll den Zielsetzungen der Wirtschaftspolitik der Bundesregierung auf einem weiteren Gebiet Rechnung getragen werden. Wie zu erwarten war, hat freilich gerade die Frage der Nebenrechte in“ den betroffenen Kreisen von Handel und Gewerbe heftige Diskussionen ausgelöst, und die endgültige Gestaltung des Gesetzes wird naturgemäß vom Ergebnis der Verhandlungen im Handelsausschuß des Parlaments abhängen.

Jahrelanger Vorarbeiten hat auch das nunmehr einvernehmlich mit der Opposition zustande gebrachte Berufsausbildungsgesetz bedurft. Die Neuregelung der Lehrlingsausbildung erfüllt einen weiteren Punkt des Regierungsprograrnmes von 1966. Das Gesetz wird die berufliche Mobilität verbessern, das Nebeneinanderbestehen österreichischer und ehemals deutscher Rechtsvorschriften durch eine für den Lehrherrn und für den Lehrling leicht verständliche Rechtslage ersetzen, die Lehrberufe taxativ aufzählen und damit ihre Wahl erleichtern. Die Bedeutung des Lehrlingswesens für die Heranziehung und Ausbildung des von der österreichischen Wirtschaft benötigten Nachwuchses an Fachkräften ist daraus zu ersehen, daß jeder zweite Jugendliche im Alter zwischen 15 und 18 Jahren seine berufliche Ausbildung als Lehrling erhält.

So haben die siebziger Jahre in der Realisierung großer Gesetzesinitiativen und mit der Vorbereitung weiterer Gesetzeswerke und Konzepte in Wahrheit längst begonnen. Allen Menschen unseres Landes, jedem Österreicher soll es in den nächsten Jahren noch besser gehen. Vergessen wir freilich nicht, daß vor dem Wohlstand die Leistung steht!

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