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Feindliche Brüder?

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Die Regierungserklärung des Herrn Bundeskanzlers fand nicht allein treffende Worte über die Bedeutung der Kultur für Österreich, sondern es folgten ihr auch Taten: Dem Parlament soll der Vorschlag unterbreitet werden, dem Bundesministerium für Unterricht erhöhte Bezüge zuzuweisen. Freilich ist in vielen Sektoren der Nachholbedarf bereits so groß, daß die bewilligten Summen gewiß noch weit hinter den tatsächlichen Bedürfnissen zurückbleiben.

Als Kehrseite dieser betrüblichen Tatsache zeigt sich wenigstens der propagandistische Erfolg, daß sich immer zahlreicher und vernehmlicher Stimmen erheben, die die gegenwärtige

Situation von Lehre und Forschung als untragbar, ja als Vorläufer einer Katastrophe bezeichnen. Aus solchen taktischen Erfolgen können allmählich strategische werden; denn obwohl die Interessen der Wissenschaft weder durch zahlengewaltige Bünde oder wahlbeherrschende Organisationen vertreten werden, die mit den ihnen zu Gebote stehenden Stimmen einen unmittelbaren Einfluß auf die Regierungsparteien auszuüben vermögen, könnte nun doch endlich der Druck der öffentlichen Meinung Regierung und Nationalrat dazu bringen, sich zu einer grundsätzlichen Änderung ihrer Kulturpolitik zu entschließen und die Mittel neu zu verteilen.

Fehlen der Bereitschaft

Eine solche Auffassung wird vielfach als zu optimistisch gewertet. Der Vorsitzende der Österreichischen Hochschülerschaft zum Beispiel verweist darauf, daß eher mit einer Verschlimmerung als mit einer Verbesserung der Lage zu rechnen sei. Es fehle nicht nur an Mitteln, sondern auch an der Bereitschaft, den Hochschulen sowie dem Bildungswesen überhaupt einen angemessenen Anteil am Sozialprodukt zuzugestehen (Österr. Monatshefte 1963/1). Und unter dem Eindruck, daß nach vier-monatigem Kreißen der Berge wieder nur eine Maus geboren wurde, könnte man wohl eine solche mutlose Auffassung teilen, die deshalb besonders beachtlich ist, weil durch sie die Einstellung der Jugend dokumentiert wird.

Wissen wirkt Werte

Wenn wir trotzdem hoffen, das Steuer des Staatsschiffes ließe sich durch einen stärkeren Druck der Meinung auf den Kurs einer gesunden Kulturpolitik umlegen, so dürfte dafür wohl auch das allgemeine Umschlagen des Windes sprechen, das sich durch neue innerpolitische Barometer-bewagungen, bedingt durch die zu erwartende''■/Teuerung und dfe mit der Assoziierung verbundenen Probleme, vielleicht aber auch durch eine Neuordnung der Ost-West-Beziehungen, ankündigt. Solche folgenschweren Geschehnisse dürften wohl Regierung und Parlament zu dem längst fälligen „Gründlichmachen“ zwingen. Wenn die sich verschärfende Budgetkrise erst Maßnahmen zwecks Einsparung und Vereinfachungen in staatlicher Verwaltung und Organisation nach sich zieht, wird sich zwangsweise auch die Erkenntnis ergeben, daß wir nicht auf anderer Leute Kosten leben können, solange wir selbst arbeitsfähig sind.

In Unkenntnis und mangelnder Einsicht liegen die eigentlichen Wurzeln des Übels. Wann endlich wird sich die Erkenntnis durchsetzen, daß nur das Geistige die Aufwertung des Materiellen bedingt? Je intensiver der lebendige Geist die tote Materie zu veredeln vermag, desto höher steigt der Wert des umgeformten Urstoffes. Letzten Endes erweist sich die Wirtschaftsblüte der Industrieländer als nichts anderes denn eine materielle Dokumentation der frei entfalteten Wissenschaft, der in angewandte Entwicklung umgesetzten Forschung. Vom schnellen Gang des Fortschrittes zeugen Beispiele genug. So hat ein großes Unternehmen in der Deutschen Bundesrepublik errechnet, daß sich die Hälfte seines Gesamtumsatzes aus Erzeugnissen ergibt, die noch nicht älter als zehn Jahre sind. Mehr als die Hälfte aller Arbeiter in den Vereinigten Staaten wirken in Positionen, die erst in diesem Jahrhundert geschaffen worden sind. Und schließlich hat die Sowjetunion, die auf eine industrielle Überflügelung der USA innerhalb von wenigen Jahren hofft, zu Beginn der zwanziger Jahre sozusagen beim Nullpunkt begonnen. Wie stürmisch sich die Technik heute entwickelt, wie kurzlebig Produktionsverfahren und maschinelle Anlagen demgemäß sind, wie immer wieder neue Rohstoffe aus den Retorten der Chemiker geschaffen werden und wie sich die Wettbewerbsmöglichkeiten dadurch dauernd verschieben, das alles macht sich letzten Endes an dem Sozialprodukt und an den Existenzbedingungen des gesamten Volkes nachhaltig spürbar.

In vielen Ländern hat diese essen-

tielle Verbundenheit von Wissenschaft und Wirtschaft bereits zu erfolgreicher Zusammenarbeit geführt. So ist in der Deutschen Bundesrepublik der „Stifterverband für die deutsche Wissenschaft“ als Mittler zwischen Wirtschaft und Wissenschaft eingeschaltet. Seiner Initiative wiederum ist es zu verdanken, daß eine Schriftenreihe, „Forschung und Wirtschaft — Partner im Fortschritt“, in immer neuen Variationen die wechselseitigen Abhängigkeiten und Wirkungszusammenhänge aufzeigt, daß ferner ein Mitteilungsblatt, „Wirtschaft und Wissenschaft“, als Gemeinschaftsaktion der gewerblichen Wirtschaft zur Förderung von Forschung, Lehre und Studium erscheint, und daß endlich der Gesprächskreis „Wissenschaft und Wirtschaft“ gegründet wurde, dem über 100 Persönlichkeiten aus Wirtschaft und freien Berufen einerseits sowie aus Lehre und Forschung anderseits angehören. Diese treffen sich fallweise in zwanglos gebildeten Gesprächsgruppen, um nach gründlichen Beratungen „Empfehlungen“ an die zuständigen Stellen auszusenden, was sich dank der breiten Streuung der Prominenz von besonderer Durchschlagskraft erweist.

Und Österreich?

Zweifellos bestehen auch bei uns gewisse Ansätze zu solcher Zusammenarbeit: Die Vereinigung österreichischer Industrieller läßt öfter Fachgelehrte zu ihren Mitgliedern sprechen, der Österreichische Gewerbeverein hat sich die Veranstaltung solcher Vorträge sogar zur Pflicht gemacht, die Österreichische Akademie der Wissenschaften und viele Hochschulen verfügen über einen Stamm von Freunden, dem Notring der wissenschaftlichen Verbände Österreichs ist

ein Beirat von Prominenten aus Wirtschaftskreisen assoziiert, die Theodor-Körner-Stiftung ist mit der Gewerkschaft und die Innitzer-Stiftung mit der Caritas verbunden. Trotzdem fehlt ein umfassendes Korrelat zwischen Wirtschaft und Wissenschaft, zumal da die verschiedenen Versuchs- und Forschungsanstalten zu klarer Zielrichtung festgelegt sind. Obwohl in der Bundesrepublik die Forschungsinstitute viel weiter gestreut und mit ungleich stärkerer Durchschlagskraft ausgestattet sind, hat man dort die Schaffung eines Arbeitskreises ,.Wirtschaft und Wissenschaft“ für nötig erachtet, um eine engere und mannigfaltigere Tuchfühlung beider Partner zu erzielen.

Die Teilnehmerzahl eines solchen Arbeitskreises, „Wirtschaft und Wissenschaft“, wäre analog den Erfahrungen unseres Nachbarlandes in einen engeren und einen weiteren Kreis zu gliedern. Dem ersteren könnten obligatorische Vertreter von Industrie,

Gewerbe, Handels- und Arbeiterkammern sowie Gewerkschaftsbund einerseits und solche der Akademie, der Rektorenkonferenz, des Forschungsrates, des Notringes, der Boltzmann-Gesellschaft, der Körner- sowie der Innitzer-Stiftung anderseits angehören, während Vertreter der kompetenten Ministerien als Beobachter zu laden wären.

Nach beiden Richtungen sind die einer solchen Behandlung dienenden Themen kaum abzusehen; es gehört dazu zum Beispiel die Frage einer Eindämmung der Abwanderung, die Bereitstellung voll tauglicher wissenschaftlicher Kräfte für die neuen Anforderungen in der Industrie, die Erfahrungen der Wirtschaft mit Absolventen von höheren Schulen und von Hochschulen, die Steuergesetzgebung im Dienst der Forschungsinvestition, das Stipendienwesen und -Unwesen und das Studium von Ausländern im Dienst der Wirtschaft. Fragen unserer Hochschulen, die vorgetragen und

durch den Arbeitskreis weitergetragen werden sollten, liegen auf der Hand. Für eine Schwerpunktbildung empfiehlt sich, daß die Wirtschaft in engem Kontakt mit der Wissenschaft unmittelbar Probleme für die Forschung anmeldet, die sie gelöst sehen möchte, während zum anderen auch Ergebnisse der Grundlagenforschung oft einer aufgeschlossenen Praktik wertvolle Hinweise für neue fruchtbare Erschließungen zu geben vermögen. Ein solcher den beiderseitigen Interessen dienender Arbeitskreis ließe sich, wie ich glaube, ohne einen besonderen Aufwand an Mühe und Kosten ins Leben rufen.

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