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Zur Krise wissenschaftlicher Forschung in Österreich

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Die wissenschaftliche Forschung ist in Österreich fast ausschließlich auf seine Hochschulen beschränkt. Die Mittel dazu werden bestritten aus den Dotationen, die den einzelnen Instituten vor allem vom Unterrichtsministerium zuerkannt werden, die sogenannten Auditoriengelder und Laboratoriumstaxen bilden eine nicht unwichtige Ergänzung, sie werden unmittelbar von den Studierenden entrichtet. Daß diese Mittel niemals hinreichend waren und sind, habe ich seit meiner Studienzeit bis zur Gegenwart feststellen können. Wie sich eine unzureichende Förderung auswirken kann, zeige ein Beispiel für viele:

Als um die Wende 1900 die physikalische Chemie ihren Anfang genommen und zu einem Grundpfeiler der Chemie und Physik wurde, konnten sich österreichische Hochschulen an dieser kaum beteiligen. Der Grund lag darin, daß die Methodik dieses Wissenszweiges neue Laboratoriumseinrichtungen erforderte, neue Apparate, Instrumente waren notwendig, die alle Geldmittel verlangten, die nicht zu erreichen waren. Es fehlte nicht an akademischen Lehrern in der damaligen Monarchie, die diesen neuen Zweig wirksam zu fördern imstande gewesen wären. Dies bewirkte die beachtenswerte Erscheinung, daß sich zu dieser Zeit in Österreich ein besonderer Zweig der physikalischen Chemie entwickeln konnte, der ein Minimum an Laboratoriumseinrichtungen und apparativer Ausgestaltung verlangte. Die Reaktionskinetik in Lösungssystemen, ein Gebiet, das theoretische Schwierigkeiten bietet, kam hier zur Entwicklung. Dieses Gebiet haben hervorragende österreichische Chemiker lange Zeit fast souverän beherrscht und gefördert. Doch konnte man nicht dabei bleiben, schon zu Beginn des ersten Weltkrieges war man sich darüber klar geworden, und es ist zur Verbesserung damals verhältnismäßig viel getan worden. Es war jedenfalls eine beachtenswerte Leistung der Lehrer dieser Zeit, der Notlage in günstigster Richtung auszuweichen. Doch den Vorsprung anderer Länder auf dem allgemeinen Gebiet physikalisch-chemischer Forschung hat Österreich bis heute noch nicht einholen können.

Ende 1918 wurde die Forderung nadi weiterer Ausgestaltung wissenschaftlicher Laboratorien immer größer. So unglaublich es klingt, sind schon während des ersten Weltkrieges fundamentale neue, sich ausweitende Wissensgebiete entstanden: Rönt- genspektrographie, die Atommechanik, die Radioaktivität (Entdeckung von Kernreaktionen), die Auswirkung des so wichtigen Ammoniakprozesses und andere katalytisch durchführbare Gasreaktionen treten in den Vordergrund wissenschaftlichen Interesses. Dann folgen in der Entwicklung der Quantentheorie neue Erkenntnisse: immer mehr wird das Atom in seinen Einzelheiten erkannt, die allgemeine Umwandelbarkeit der chemischen Elemente wird Tatsache. In der organischen Chemie wird das Gebiet der Vitamine und Hormone durch fundamentale Arbeiten erschlossen. Physiologie, Biologie und die noch weiter damit zusammenhängende medizinische Forschung erfahren dadurch eine so weite Bereicherung ihres Feldes, daß es nur an genügenden Arbeitskräften fehlt, sich den „Quellen des Lebens” zu nähern. Alle diese Gebiete stehen, mit noch unübersichtlichen Fäden verknüpft, in der Gegenwart vor uns.

An der gewaltigen Entwicklung wissenschaftlicher Forschung kann gegenwärtig kein Kulturland achtlos vorübergehen. Man muß erkennen, daß die Förderung der Forschung . naturwissenschaftlicher Richtung heute anders erfolgen muß als noch vor einem Jahrzehnt. Wirft man einen Blick zurück, so hat man dies in vielen Ländern schon vorher, bald nach 1918, erkannt. In Deutschland entstand die Kaiser-Wilhelm- Gesellschaft 1912, die Notgemeinschaft Deutscher Wissenschaft 1920, aus der sich später die Deutsche Forschungsgemei: - schaft entwickelt hat; lauter Einrichtungei., die sich bewährt haben. In den Vereinigten Staaten entstehen gerade unter diesem Eindruck das National Research Council (mit reichlichen Spenden aus der Industrie bedacht). Diese Institution hat eine sehr glückliche Entwicklung genommen, die sich in der Zeit von 1938 bis 1945 hervorragend bewährte. In anderen Ländern standen schon vorher reichliche Mittel zu wissenschaftlicher Entwicklung zur Verfügung, das Nobel-Institut in Stockholm, groß angelegte Institute besaß bereits Holland und England. Die Schweiz hat ihre Hochschulen stets mit reichlichen Mitteln ausgestattet, ihre Förderung ist auch gegenwärtig beispielgebend. Dies nur einige Beispiele. Alle genannten Institute und Einrichtungen waren so beschaffen, daß in den genannten Ländern wirksamste Mitarbeit an der Forschung möglich war.

Österreichs Forschung war niemals in einer glücklichen Lage, es fehlte hier vollständig der in anderen Ländern zu findende Mäzen irgendeiner Gestalt — der Staat allein hatte für alle Forderungen der zahlreichen Hochschullaboratorien und Institute aufzukommen; nur sehr wenig konnte von anderer Seite, zum Beispiel von der Akademie der Wissenschaften, zur Verfügung gestellt werden. Die hohe Stellung der Wissenschaft in Österreich Hat sich diese selbst mit geringsten Mitteln erobert. Dieses Selbsterschaffen der Werte aber hat seine Grenzen. Wenn unsere Wissenschaft auch nur teilweise Schritt halten soll mit der großen Welt — und das wollen wir alle —, so muß eine besondere Förderung einsetzen. Wie es damit gegenwärtig steht, kann man den Aasführungen des Präsidenten der österreichischen Akademie der Wissenschaften entnehmen, die bei der feierlichen Sitzung im Mai 1948 gemacht wurden. Seit vielen Jahrzehnten konnte diesmal die Akademie keinen Preis für wissenschaftliche Leistungen mehr verteilen, es stehen keine Mittel mehr zur Verfügung, wissenschaftliche Arbeiten zu fördern, und selbst der Drude von Arbeiten muß eingestellt werden. Das Leid unserer Hochschullaboratorien zu schildern, muß ich mir versagen.

Es müssen größere Summen der wissenschaftlichen Forschung zur Verfügung gestellt werden als bisher. Mit diesen jedoch ist allein noch nicht alles getan: die Mittel müssen an der richtigen Stelle, zur richtigen Zeit und in entsprechendem Ausmaß den einzelnen Forschern zur Verfügung gestellt werden. Das kann jedoch nur durch eine entsprechende „Organisation” erreicht werden. Diese könnte im Rahmen unserer Akademie der Wissenschaften geschaffen oder unter deren Mitwirkung errichtet werden. Die Organisation soll aus einer kleinen Zahl von tätigen Forschern bestehen, die den verschiedenen Wissenschaftszweigen angehören, der aber auch Vertreter maßgeblicher Ministerien, vor allem des Unterrichtsministeriums, angehören müßten. Dieser Forschungsrat wird sich besonders vor Augen halten, daß die Forschung frei und unabhängig bleiben muß, ihr weder in der Wahl des Arbeitsfeldes noch in der Methode ihrer Bearbeitung irgendwelcher Zwang angetan werden kann. Daß dies möglich ist. bezeugen auf das beste die bisher tätigen Einrichtungen ähnlicher Art in den verschiedenen europäischen Staaten und in den Vereinigten Staaten. Diese auf eine Selbstverwaltung der Wissenschaft herauskommende Einrichtung ist gegenüber jeder fehlerhaften Auswirkung gesichert. Die Förderung wissenschaftlicher Forschung ist hier im allgemeinsten Sinne zu verstehen: sie umfaßt nicht nur unmittelbar tätige Arbeit des Forschers, sondern sie soll auch zur Heranziehung junger Kräfte an unseren Hochschulen dienen. Wird schon auf der Hochschule durch die Diplomarbeit und Dissertationen eilte bestimmte Auslese fähiger Arbeiter möglich, so ist es eine ihrer schönsten Aufgaben, sich solche Kräfte auch zu erhalten. Welch betrübende Erfahrung muß man oft machen: ein begabter Schüler muß das Institut verlassen, da ihm hier nicht die Möglichkeit geboten werden kann, weiter zu arbeiten; weder freie Assistentenstellen noch andere Mittel sind vorhanden, ihn an das Institut zu binden.

Es ist hier nicht möglich, die Bedeutung eines zentralen Forschungsrates auseinanderzusetzen. Daß er für die gesamte Wirtschaft fruchtbringend sein muß, die weniger denn je der Wissenschaft entbehren kann, ist einleuchtend.

Es wäre bei der Erstellung des Staatshaushaltes ein Posten „W issenschaftliche Forschung” neu einzureihen und besonders hervorzuheben. Daß der Staat allein als ein besonderer Förderer der Wissenschaft in der Zukunft in allen Ländern au ft re ten wird, lassen die Bestrebungen erkennen, die sich gegenwärtig in den Vereinigten Staaten entwickeln. Diese Feststellung ist von einer ganz besonderen Bedeutung, da sie ein so reiches Land betrifft, in dem nur die p r i v a t e Förderung der Wissenschaft bis in die letzten Jahre von entscheidender Bedeutung gewesen ist. Ja, die Forscher in diesem Lande vermieden und lehnten es ab, staatliche Unterstützung ihrer Arbeiten überhaupt anzunehmen, da dies zu einer „reglementation of Science” führe. Ich hatte bei meinem wiederholten Aufenthalt in den Vereinigten Staaten oft Gelegenheit, dies an Ort and Stelle zu hören, zu sehen — und das Land, wo die Verhältnisse so lagen, zu beneiden. Gegenwärtig jedoch hat sich, soviel man sieht, das alles gründlich geändert. Zum Teil ist dies darauf zurückzuführen, daß die Mittel für den Betrieb wissenschaftlicher Forschung, wie überall, auch in diesem Lande so hoch geworden sind, daß die privaten Zuschüsse nicht mehr genügen und die gestifteten Fonds rasch abnehmen. Es ist möglich, daß ein Teil an Stellen fließt, die mit technischen Problemen beschäfigt sind, wo Aussicht besteht, bald Vorteile zu erzielen. Den Höhepunkt staatlicher Unterstützungen einer allerdings kriegsbedingten Forschung bildeten die 2 Milliarden Dollar, die in der Zeit 1941 bis 1945 ausgegeben wurden: sie führten zur Konstruktion der Atomenergiewaffen, denen bald große friedliche Anwendungen folgen werden. Die Leistung der OSRD (Office of scientific Research and Development) war und wird von historischer Bedeutung für alle Zukunft bleiben.

Man denke nicht daran, daß in der Zukunft die Entwicklung österreichischer Forschung von sich aus allein noch einmal aus der Not hinausfinden könnte. Gegenwärtig, und noch mehr in der Zukunft, ist wissenschaftliche Forschung: Anwendung einer hochentwickelten experimentellen Technik, denn ohne diese kann sie nur ein Scheindasein fristen mit allen seinen bösen Folgen. Vor solchem Tatbestand aber stehen wir in Österreich, wenn nicht bald wirksame und zielbewußte Abhilfe in irgendeiner Form einsetzt

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