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Unterricht besteht nicht nur aus Schulen

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Vorerst aber wollen wir uns näher ansehen, was dem Unterrichtsministerium an Mitteln und Organisation dafür zur Verfügung steht. Der unten abgedruckte Dienstplan hilft uns vor- tief'fliöh dabei, Aus ihm können wir sehr schnell ersehen — wenn wir es nicht schon längst gewußt haben —, daß dem Unterrichtsministerium auch Bereiche und Tätigkeiten obliegen, welche den Begriff Unterricht auf imposante Weise ausdehnen. Die Sektion II beschäftigt sich mit der Förderung der Kunst, die Sektion IV mit Sport, außerschulischer Erziehung der Jugend und des Volkes überhaupt, die Sektion VII mit dem Kultus, das heißt der Pflege, Förderung und Verbreitung von Religion, soweit die verschiedenen Religionsgesellschaften und Kirchen staatlicher Unterstützung dabei bedürfen. Eine eigene Sektion, Nr. VIII, ist den Bundestheatern eingeräumt. Das steht, wenn man es genau bedenkt, nicht im entsprechenden Verhältnis zum Umfang, in welchem andere Kunstzweige, wie Film und Rundfunk und Literatur, denen „unter anderem“ eine Abteilung der Sek tion II dient, von der Bevölkerung in Anspruch genommen werden. Freilich datiert die Sektion „Bundestheaterverwaltung“ aus einer Zeit, in der der Film noch keine so große Rolle wie heute gespielt' und der Massenrundfunk überhaupt nicht existiert hat. Überhaupt ist aus dem immer weiteren Hinzukommen neuer, außerschulischer Bereiche unter die Obliegenheiten des Ministeriums viel von der historischen Gesamtentwicklung unserer Kulturpolitik zu erkennen.

Die erste Art zentraler Unterrichtsverwaltung wurde von Kaiserin Maria Theresia vor 200 Jahren mit der Studien-Hofkommission geschaffen. Die noch völlig versplit- terten und von dem Mittelalter entstammenden ständischen Institutionen und autonomen Stellen unterhaltenen Elementarschulen, Klostergymnasien und die wenig planhaft und wenig wissenschaftlich geführte und von privaten Spenden abhängige Universität wurden zu einem System vereinigt, welches die erste zentral gelenkte nationale Erziehung Österreichs ermöglichte. Freilich wurde hier in geistiger

Hinsicht von dem erst aufklärerischen, später aber obskurantistischen Absolutismus viel zu zentral und ohne individuelle Lehrfreiheit gelenkt. 1849 kam das erste richtige Unterrichtsministerium, und sein Leiter, der Graf Thun-Hohenstein. Es verwirklichte (durchaus nicht mit einem Schlage und auch nicht alle, aber viele) erzieherische Bestrebungen der revolutionären Bewegung, die zu 1848 geführt hatte. Insbesondere ist darauf hinzuweisen, daß ein gewisses Maß von Lehrfreiheit durch das dem Professorenkollegium eingeräumte Vorschlagsrecht für die Besetzung der Lehrkanzeln erreicht wurde. Freilich hat sich später herausgestellt, daß damit auch noch lange nicht die Gewähr gegeben ist, daß immer die Besten berufen werden; es hängt letzten Endes immer wieder davon ab, welcher Geist im Professorenkollegium vorherrscht. Es kann hier nicht von den zahlreichen Reformen der Ära Thun-Hohenstein im Unterrichtswesen gesprochen werden — hierzu gehörte zum Beispiel die Einführung des achtjährigen, durchgängigen Lehrplans in den Gymnasien —, sondern vor allem von der Ausdehnung der Kompetenzen des Ministeriums in jener Zeit. Dazu gehörte aber vor allem die Übernahme des — vordem dem Innenministerium unterstellten — Kultus, die von der Auffassung des Zusammenhanges zwischen Religion, sittlicher Kultur und Unterricht getragen wurde. Später kam ein wachsendes Maß an Kunstförderung (zum Beispiel die Etablierung der Akademie der bildenden Künste als staatliche Hochschule) mit weitaus weniger Einmischung, als sich spätere Regierungen und Systeme rühmen konnten.

Die Erste Republik, deren erster Staatssekretär für Unterricht Otto Glöckel war. brachte eine große Zahl in ihrer Zeit heiß umstrittener Reformen, auf die hier nicht näher eingegangen werden soll. Durcjij die Neugestaltung des Staates*' fiel dėri Unterrichtsministerium mit 1918 die Obsorge für die bis dahin der kaiser lichen Hofverwaltung unterstehenden Museen, Archive, Sammlungen und Hoftheater zu. Die Republik brachte auch die Volksbildung, die in der Monarchie vornehmlich eine Angelegenheit privater Vereine war, sowie den Sport, der zuerst und bis 1919 dem Ministerium für Soziale Verwaltung unterstand, unter die Verantwortung des Unterrichtsministeriums.

Wie in anderen Ministerien, wird auch im Unterrichtsministerium — entsprechend der in der Verfassung vorgesehenen Rechte und Pflichten der Bundesländer und Gemeinden — nur ein Teil der ihm unterstehenden Einrichtungen tatsächlich geleitet. So besteht — abgesehen von den speziellen Autonomierechten der Hochschulen — zwischen diesen und der Sektion I ein direktes Verhältnis, während bei der Administration der mittleren und unteren Schulen durch die Sektion V die Länder und Gemeinden durch Landes- und Stadtschulräte eingeschaltet sind. Die Bundeserziehungsanstalten und eine Reihe anderer Schulen unterstehen direkt dem Ministerium.

Eine der Hauptarbeiten des Ministeriums ist die in einem demokratischen Staat so komplizierte und mühselige, aber dafür um so wichtigere Vorbereitung der Betreuung der legislativen Angelegenheiten des Erziehungswesens. Das geschieht durch die Sektion III (für Hochschulen und Wissenschaft durch Sektion I), welche auch für die rechtlich administrativen und dienstrechtlichen Angelegenheiten in dem von Sektion IV und V verwalteten Bereich sorgt. Die gesetzgeberische Arbeit anderer Ministerien betrifft oft in erster Linie direkt nur bestimmte Bevölkerungskreise — zum Beispiel die Landwirtschaft, die Handels- und Gewerbetreibenden, die Arbeitnehmer. Nicht so im Unterrichtswesen. Hier geht es um das künftige Sinnen und Denken des ganzen Volkes, für dessen Blühen und Gedeihen mit die Unterrichtsgesetze auf lange Zeit hinausreichende Voraussetzungen schaf- ■ fen müssen. Ein Fehler im Finanzgesetz läßt sich oft von einem Jahr zu;n anderen korrigieren. Nicht so .im " Unterricht; Ja überhaupt '■ nicht iri der Kulturpolitik eines Staates. Das ist ja auch der Hauptgrund für den langen zähen Kampf, der in den letzten zehn Jahren von den politischen Exponenten um die neue Unterrichtsgesetzgebung geführt wird, in welcher beide Richtungen den geeigneten Humus für ihre respektiven Ideen und Vorstellungen vorbereitet sehen wollen.

Überholung der Standpunkte

Hierzu kommt ganz allgemein heute, auf der ganzen Welt, daß fast alle Staaten versuchen, ihr Unterrichtswesen auf die ungeheuer gewachsenen Anforderungen umzustellen. Geeignete Bedingungen und Voraussetzungen für die Entwicklung von Wissenschaft und Technik zu schaffen, ist heute zu einem Hauptobjekt staatsmännischer Bestrebungen geworden. In den Vereinigten Staaten bemüht man sich in den letzten drei Jahren, vollen Überblick über Möglichkeiten und Aufgaben zu gewinnen. In der, Sowjetunion, von welcher der technologische Stimulus ausging, ist man durchaus nicht mit dem bisher Erreichten zufrieden und versucht die ganze wissenschaftliche Organisation zu überprüfen. Und in Großbritannien beschäftigte sich unlängst das Unterhaus fast eine ganze Woche lang mit nahezu allen Gebieten, die etwas mit Wissenschaft zu tun haben, und mit der Frage, was getan werden muß, um sämtliche wissenschaftlichen Ressourcen zu fördern und zu erweitern. In der gleichen Woche im Juli versammelten sich führende in- und ausländische Gelehrte in Oxford zu einem internationalen Symposium über die geistigen, sozialen und materiellen Bedingungen, welche für die wissenschaftliche Forschung günstig oder abträglich sind. Man sieht der Veröffentlichung der Resultate dieses Symposiums mit großer Spannung entgegen. Und — gemessen an der allerorts sich darbietenden Problematik - hat man das Gefühl, daß die bei uns geführte jahrelange Diskussion zwar für die Klärung der respektiven Standpunkte nötig, aber in der Gesamthaltung kleinlich ist. Denn worum geht es denn in Wirklichkeit? Im großen und ganzen bestehen zwei Aufgaben für die industriell entwickelten Länder: 1. Die Umstellung des Erziehungswesens auf die Erfordernisse der zweiten industriellen Revolution. 2. Die Gewinnung einer neuen ideellen Grundlage, sowohl für unsere gesamte Erziehung als auch für den derzeit auseinandergebrochenen Zusammenhang zwischen den einzelnen Wissenschaften. Mit der Lösung der zweiten Aufgabe hängt auch die Lösung des derzeit scheinbar nicht zu bewältigenden Problems der Aufhäufung von Lehrstoff in den Mittelschulen und das Problem der Ent- seelung des Hochschulstudiums zusammen. Wie sich diese Aufgaben und Probleme im besonderen bei uns darbieten, darüber soll in einem weiteren Artikel gesprochen werden.

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