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Der Kulturkampf fand nicht statt

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Am 18. Juli 1962 hat der österreichische Nationalrat die Verfassungsgesetznovelle über das Schulwesen mit den Stimmen der Koalitionsparteien angenommen und damit die Basis für die Schulreform geschaffen, deren erste Gesetze am 25. Juli dem Parlament vorgelegt wurden. Diese wurden seit Jahren geplant und vorbereitet. Differenzen im Stadium ihrer Vorberatung ergaben sich bekanntlich weniger zwischen den beiden großen Parteien oder zwischen Staat und Kirche als unter der Anhängerschaft, das heißt zwischen den verschiedenen Interessenvertretern innerhalb der Volkspartei und den Sozialisten. Besonders die katholische Lehrerschaft glaubte lange, dem vom Unterrichtsministerium vorgelegten Konzept ihre Zustimmung verweigern zu müssen. Daher begrüßte das katholische Lager auch den Schulvertrag zwischen Österreich und dem Vatikan, der die letzte Hürde für die Schulreform beseitigte, zum Teil nur mit ..gedämpfter Genugtuung“. Eine ähnliche Reaktion ist übrigens auch in manchen Kreisen der SPÖ. wie zum Beispiel bei den „Kinderfreunden“, bemerkbar.

Die pädagogischen, organisatorischen oder finanziellen Aspekte, die sich aus der bevorstehenden neuen Regelung ergeben werden, sollen an dieser Stelle jedoch nicht erörtert werden, um den hierfür kompetenten Fachleuten nicht vorzugreifen. Das! was hier zur Diskussion gestellt wird, ist folgendes: Das österreichische Schulgesetz 1962 wird die Entwicklung des österreichischen Schulwesens und der Pädagogik wesentlich beeinflussen und damit ein kulturhistorisch bedeutsames Ereignis sein. Darüber hinaus ist die Art seines Zustandekommens ein Novum in der österreichischen politischen Geschichte. Um es als solches recht zu verstehen und zu würdigen, ist es allerdings notwendig, auf das Werden der österreichischen Schulgesetzgebung in der Vergangenheit zurückzugreifen.

In der ersten, bis zum Hochmittel-alter reichenden Periode der Geschichte der österreichischen Schulen waren diese als Kloster- oder Pfarrschulen vom Staat völlig unbeeinflußte, ausschließlich kirchliche Institutionen. Mit dem Aufblühen der Städte und dem Erstarken des Landesfürstentums begann auch die weltliche Obrigkeit ihr Interesse dem Schulwesen zuzuwenden. In dieser bis zum Ende des 18. Jahrhunderts reichenden Periode bestand in der Organisation des Unterrichts zwischen Staat und Kirche ein friedlicher Dualismus, der auch durch die Theresianische Schulreform nicht grundlegend verändert wurde. Maria Theresia prägte zwar den Satz: „Die Schule ist allemal ein Politikum“, das heißt also Sache des Staates. Sie bediente sich aber nicht nur geistlichen Rates bei der Schaffung der allgemeinen Volksschule, sondern auch der Hilfe des Klerus bei der Durchführung ihrer Schulreform. Ähnliches gilt von Joseph II. und dessen Nachfolgern. Der Josephinisohe Staat hat zwar die Kirche in vielen Belangen bevormundet und gegängelt, ihre Dienste aber gerade im Unterrichtswesen stark in Anspruch genommen und ihr daher auch in diesem Bereich — besonders unter Kaiser Franz — entsprechende Wirkungsmöglichkeiten gesichert.

Erst nach der Revolution von 1848 greifen in der staatlichen Verwaltung Bestrebungen nach einer Beschränkung des kirchlichen Einflusses auf die Schule um sich, wie sie unter anderem der „Entwurf der Grundzüge des öffentlichen Unterrichts“ des damaligen Unterrichtsministers Sommaruga zeigt. Daher hat der Episkopat der Monarchie im Frühjahr 1849 in einer Eingabe an das neue Innenministerium die Wahrung des leitenden Einflusses der Kirche auf die Volksschulen, die dieser „ihren Ursprung verdanken“, sowie auf die Lehrerseminare nach den Grundsätzen der bisherigen Schulverfassung verlangt. Die Bischöfe wiesen ferner darauf hin, daß ein großer Teil des Schulfonds aus dem von Joseph II. eingezogenen Vermögen der geistlichen Bruderschaften stamme. Sie beanspruchten daher auch entscheidenden Einfluß bei der Anstellung der Lehrer, deren materielle Lage nach ihrer Meinung dringend einer Verbesserung bedurfte.

Die Sorge, des Episkopats um die Wahrung^ des kirchlichen Einflusses auf das Schulwesen wurde mit dem Abschluß des Konkordats vom 18. August 1855 hinfällig, in dessen Artikel VII und VIII der Kirche die Beaufsichtigung aller Schulen und der Lehrerschaft überlassen wurde. Das Konkordat war jedoch von dem sogenannten neoabsolutistischen System abgeschlossen worden, das die demokratischen Errungenschaften der Revolution von 1848 einschließlich des ersten österreichischen Parlaments liquidiert hatte. Das Ziel dieses Systems war ein starker, autoritär gelenkter habsburgischer Einheitsstaat. Seine Stützen waren die Armee, die Beamtenschaft und die von den Fesseln des Josephinischen Staatskirchentums befreite Kirche. Die liberalen Gegner des Neoabsolutismus bekämpften daher auch das Konkordat, das ihnen als Symbol des Sieges der Reaktion erschien. Manche Historiker haben daher sogar in dem Abschluß des österreichischen Konkordats von 18 5 5 den Beginn der europäischen Kulturkampfwelle gesehen. •

In Österreich begann der offene Kampf gegen Kirche und Konkordat erst nach den militärischen Niederlagen von Magenta und Solferino, 1859, die zum Zusammenbruch des neoabsolutistischen Systems führten. Die Anfänge der konstitutionellen Ära sind weitgehend von der parlamentarischen und publizistischen Auseinandersetzung um das Konkordat bestimmt. Bis 1866 war den Liberalen jedoch kein entscheidender Erfolg beschieden. Erst die Berufung des sächsischen Ministers Beust nach der Katastrophe von Königgrätz, 1866, hat die grundlegende Wandlung in der Haltung Franz Josephs bewirkt, der sich bis dahin als starker Schützer des Konkordats erwiesen hatte. Beust erreichte im Herbst 1867 die öffentliche Absage des Monarchen an den Episkopat, sich persönlich weiterhin für die Aufrechterhaltung des Konkordats einzusetzen. Eine Revision dieses Vertrags im Sinne von Zugeständnissen an die Liberalen war aber von der Kurie entschieden abgelehnt worden, so daß der Weg zu einem Bruch vorgezeichnet war.

Nach der Sanktion der Staatsgrundgesetze vom Dezember 1867, die jeder gesetzlich anerkannten Kirche und Religionsgesellschaft das Recht der gemeinsamen, öffentlichen Religionsübung und der selbständigen Verwaltung ihrer inneren Angelegenheiten zusicherten, sie gleichzeitig aber „wie jede Gesellschaft“ den allgemeinen Staatsgesetzen unterwarfen.“ W der Fall des Konkordats nur noch eine Frage der Zeit. Schon von Ende Oktober 1867 an hatten im Abgeordnetenhaus erbitterte Redegefechte über Ehe- und Schulgesetz stattgefunden. Doch die kirchliche Partei, in der vor allem Tiroler, Slowenen und Polen hervortraten, unterlag bald der liberalen Mehrheit. Anfang November konnte das Abgeordnetenhaus beide von ihm angenommenen Gesetzentwürfe dem Herrenhaus überweisen, das am 23. März dem Ehe-, am 3. April dem Schul- und am 14. Mai 1868 dem interkonfessionellen Gesetz zustimmte. Franz Joseph sanktionierte alle drei Gesetze am 25. Mai 1868 mit starken Bedenken: „Wenn solche Gesetze dann zum Üblen ausschlagen — Sie können gehen; ich nicht!“

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