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Um eine tolerante Demokratie

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Von der breiten Öffentlichkeit bisher kaum wahrgenommen, sind in den letzten Wochen zwischen den im Nationalrat vertretenen Parteien einige Änderungen des Bundesverfassungsrechtes abgesprochen worden, deren verfassungspolitische Tragweite gar nicht hoch genug eingeschätzt werden kann. Zum Teil sind die einschlägigen legistischen Maßnahmen bereits vom Gesetzgeber getroffen, zum anderen Teil werden sie zwar im Augenblick noch im Verfassungsausschuß beraten, doch ist auch ihre Verabschiedung noch vor der Sommerpause vorgesehen. Nachdem bereits die Bundes-Verfassungsnovelle von 1974 einige wichtige Neuerungen — insbesondere im Interesse der Bundesländer — brachte, ist damit knapp vor dem Ende der Legislaturperiode des Nationalrates nach jahrelanger Diskussion und auch Stagnation ein beträchtlicher verfassungspolitischer Durchbruch zu verzeichnen.

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Von der breiten Öffentlichkeit bisher kaum wahrgenommen, sind in den letzten Wochen zwischen den im Nationalrat vertretenen Parteien einige Änderungen des Bundesverfassungsrechtes abgesprochen worden, deren verfassungspolitische Tragweite gar nicht hoch genug eingeschätzt werden kann. Zum Teil sind die einschlägigen legistischen Maßnahmen bereits vom Gesetzgeber getroffen, zum anderen Teil werden sie zwar im Augenblick noch im Verfassungsausschuß beraten, doch ist auch ihre Verabschiedung noch vor der Sommerpause vorgesehen. Nachdem bereits die Bundes-Verfassungsnovelle von 1974 einige wichtige Neuerungen — insbesondere im Interesse der Bundesländer — brachte, ist damit knapp vor dem Ende der Legislaturperiode des Nationalrates nach jahrelanger Diskussion und auch Stagnation ein beträchtlicher verfassungspolitischer Durchbruch zu verzeichnen.

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Von größter Bedeutung ist zweifellos die Verfassungsbestimmung des künftigen „Bundesgesetzes über die Aufgaben, Finanzierung und Wahlwerbung politischer Parteien (Parteiengesetz)“, mit der die in der österreichischen Rechtsordnung bisher nur in Einzelregelungen angesprochenen politischen Parteien eine umfassende verfassungsrechtliche Basis erhalten sollen. Die Verfassungsbestimmung des Art. I des erwähnten Bundesgesetzes soll lauten:

„§ 1 (1) Die Existenz und Vielfalt politischer Parteien ist ein wesentlicher Bestandteil der demokratischen Ordnung der Republik Österreich (Art. 1 B-VG).

(2) Zu den wesentlichen Aufgaben der politischen Parteien gehört die Mitwirkung an der politischen Willensbildung.

(3) Die Bildung von politischen Parteien im Rahmen der verfassungsmäßigen Ordnung ist frei; sie besitzen Rechtspersönlichkeit.

(4) Die politischen Parteien haben Satzungen (Statuten) zu beschließen und zu veröffentlichen, aus denen ersichtlich ist, welchen Zweck sie

verfolgen, welches ihre Organe sind und welche hievon zur Vertretung nach außen befugt sind, sowie welche Rechte und Pflichten die Mitglieder besitzen.“

Als das Bundes-Verfassungsgesetz von 1920 ohne nähere Regelung der politischen Parteien konzipiert wurde, entsprach dies den damaligen Verhältnissen und verfassungspolitischen Vorstellungen. Noch hatten die politischen Parteien nicht annähernd ihre heutige Bedeutung und Macht erlangt, noch galt die liberale Trennung von Staat und Gesellschaft. Allgemein wurden die Parteien damals dem gesellschaftlichen Bereich zugeordnet, so daß ihr Einbezug in die Verfassung nicht angebracht erschien. Die Verfassung setzte sie voraus. Nicht nur in Österreich hat sich seither die Situation grundlegend geändert. Die weithin sichtbaren Tendenzen zu einer Vergesellschaftung des Staates, aber auch zu einer Verstaatlichung der Gesellschaft haben in den Parteien zumindest einen ihrer Brennpunkte. Mit der nunmehrigen Verfassungsinitiative ist die Republik Österreich

übrigens keineswegs an der Spitze der Entwicklung. Schon seit 1949 enthält auch das Bonner Grundgesetz in seinem Art. 21 wesentliche Bestimmungen über politische Parteien, die über die österreichische Regelung zum Teil noch hinausgehen. Vor allem wird hier auch das Modell der streitbaren Demokratie realisiert, wonach Parteien, die sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung stellen, der Kampf angesagt wird. Österreich bleibt hingegen auf dem Boden der toleranten Demokratie. Nur über das Vereinsgesetz könnten staatsfeindliche Parteien — unter Umständen — beseitigt werden.

Die weiteren Bestimmungen des Parteiengesetzes seien nur kurz gestreift, weil sie, von einer Ausnahme abgesehen, einfachgesetzlicher Natur sind und damit zumindest nicht zur Verfassung im formellen Sinn gehören werden. Im einzelnen werden durch Art. II gesetzliche Regelungen geschaffen, denen zufolge die im Nationalrat vertretenen politischen Parteien oder politische Parteien, die bei einer Nationalratswahl zumindest 1 v. H. der gültigen Stimmen erhalten haben, einen Anspruch auf Zuwendungen für die Zwecke der Öffentlichkeitsarbeit erhalten. Dem Gedanken folgend, daß finanzielle Unterstützungen für den Zweck der Öffentlichkeitsarbeit der politischen Parteien nur dann vertretbar sind, wenn sie nicht gleichzeitig zu einer Erhöhung der Ausgaben für Wahlwerbung führen, werden durch die Art. II und IV gesetzliche Bestimmungen geschaffen, mittels derer die Wahlwerbungskosten politischer Parteien — zunächst bei der Nationalratswahl 1975 — begrenzt, überwacht und veröffentlicht werden sollen. Die bisher von Bund und Ländern nur für Teilbereiche geregelte Parteienfinanzierung wird also nunmehr auf eine allgemeine Basis gestellt. Sie wird auch finanziell weitaus bedeutsamer. Konkret soll für den Zweck der Öffentlichkeitsarbeit der politischen Parteien ein Betrag in jener Größenordnung ausgeschüttet werden, wie er auch für die beabsichtigte Presseförderung vorgesehen ist. Zu diesem Zweck sollen die im Nationalrat vertretenen politischen Parteien jährlich einen Sockelbetrag von 4 Millionen Schilling (1975 nur 2 Millionen) erhalten. Die verbleibenden Mittel (im Jahre 1976 zirka 38 Millionen Schilling, 1975 jedoch nur die Hälfte) werden auf die genannten Parteien, entsprechend dem Verhältnis der für sie bei der jeweils vorangegangenen Nationalratswahl abgegebenen Stimmen, verteilt; dies sind ab 1976 zirka 8 Schilling pro Wähler.

Noch fehlt freilich nach Ansicht der Regierungspartei ein wichtiger Stein im Gesetzeskonzept: die Begrenzung der steuerlichen Abzugsfähigkeit von Mitgliedsbeiträgen an bestimmte Vereinigungen. Über die betreffende Regierungsvorlage für eine Novelle zum Einkommensteuergesetz berät gegenwärtig ein Unterausschuß des Finanz- und Budgetausschusses des Nationalrates. Ob die in der vorliegenden Fassung vor allem für die ÖVP einschneidende Novelle in dieser Form Gesetzeskraft erlangen wird oder ob die SPÖ noch Raum für einen Kompromiß läßt, kann im Augenblick noch nicht abgesehen werden.

Die zunächst nur für die Nationalratswahlen 1975 geltende Beschränkung der Wahlkampfkosten ist von dem Gedanken der bindenden Selbstbeschränkung der im Nationalrat vertretenen politischen Parteien getragen. Die Einhaltung der von ihnen mindestens acht Wochen vor dem Wahltag zu veröffentlichenden Gesamtwerbeaufwände wird überprüft und veröffentlicht. Uberschreiten die politischen Parteien die von ihnen nach Parteiengesprächen zu veröffentlichenden Gesamtaufwände der letzten fünf (!) Wochen vor dem Wahltag um mehr als 10 Prozent, so sind 50 Prozent jenes Betrages, um den der Gesamtwerbeaufwand überschritten wurde, von

den Zuwendungen für Zwecke der Öffentlichkeitsarbeit abzuziehen.

Rechtsschutz und Kontrolle

Zwar kam zwischen den Großparteien keine Einigung über die Volksanwaltschaft zustande, so daß diese der Zweidrittelmehrheit im Nationalrat bedürftige Materie zurückgestellt' werden mußte. Auch die anderen Teile der bereits verabschiedeten Regierungsvorlage für eine weitere Novelle zum Bundes-Verfassungsgesetz sind aber verfassungspolitisch bedeutsam. Von zahlreichen Einzelheiten abgesehen, die alle auf einen Ausbau der Verwaltungsgerichtsbarkeit und der Verordnungs-sowie der Gesetzesprüfung durch den Verfassungsgerichtshof abzielen, hier aber nicht näher behandelt werden sollen, sind zwei Neuerungen von besonderem Interesse:

Die Einführung einer wenn auch etwas eingeschränkten „Popularklage“, mit der künftig jedermann unter bestimmten Bedingungen Gesetze und Verordnungen beim Verfassungsgerichtshof anfechten kann, während bisher eine solche Normprüfung vom einzelnen Bürger bestenfalls nur indirekt und unter großem Zeitaufwand provoziert werden konnte. Voraussetzung wird lediglich sein, daß die Verordnung oder das Gesetz ohne Fällung einer gerichtlichen Entscheidung oder ohne Erlassung eines Bescheides für die betreffende Person wirksam geworden ist.

Die Legitimation eines Drittels der Mitglieder des Nationalrates, beim Verfassungsgerichtshof die Aufhebung eines Bundesgesetzes wegen Verfassungswidrigkeit zu beantragen. Bisher konnte die Opposition im Nationalrat ihre Bedenken wegen Verfassungswidrigkeit eines zu verabschiedenden Bundesgesetzes nur argumentativ vorbringen, jedwede Sanktion fehlte. Letztlich mußte eine Landesregierung gefunden werden, die sich zur Anfechtung des Gesetzes bereit erklärte. Die auch im Dreiparteienantrag für eine neue Geschäftsordnung des Nationalrates zum Ausdruck kommende Stärkung der „Minderheitenrechte“ findet damit wohl ihre stärkste Ausprägung.

Der Landesverfassungsgesetzgeber wird ermächtigt, für seinen Bereich zu bestimmen, daß ein Drittel der Mitglieder des Landtages Landesgesetze gleichfalls beim Verfassungsgerichtshof anfechten kann. — Interessant ist ferner auch, daß künftig Gesetze im Rahmen der Gerichtsbarkeit nicht nur vom Obersten Gerichtshof, sondern auch von jedem zur Entscheidung in zweiter Instanz berufenen Gericht angefochten werden können. Immer wieder erwies es sich als unbefriedigend, daß etwa das Oberlandesgericht Wien, das in Leistungsstreitsachen der Sozialversicherung als letzte Instanz fungiert, ein von ihm anzuwendendes Gesetz nicht beim Verfassungsgerichtshof anfechten konnte, obwohl der Instanzenzug hier nicht zum Obersten Gerichtshof geht. <

Ausbau der Minderheitenrechte

Die von Montesquieu konzipierte Gewaltenteilung zwischen Parlament, Regierung (Verwaltung) und Gerichtsbarkeit funktioniert im modernen Parteienstaat nur noch beschränkt. Vor allem, wenn eine Partei im Parlament die absolute Mehrheit hat und damit auch die Regierung allein bildet, ist das Spannungsverhältnis zwischen Parlament und Regierung stark abgebaut. Sieht man von Verfassungsgesetzen ab, zu denen die Regierungspartei die Zu-

stimmung zumindest eines großen Teiles der Opposition braucht, beherrscht der Wille der Regierungspartei Parlament und Regierung in gleicher Weise. Zudem verfügt die Regierungspartei im Parlament gegenüber den anderen Parteien über einen gewaltigen Informationsvorsprung, weil sie den gesamten Apparat der Ministerien in der Hand hat. Schon dies sind gewichtige Gründe für eine Stärkung der parlamentarischen Rechte der Oppositionsparteien. Mehr als dreijährige Arbeiten eines Dreiparteienkomitees haben nun zu einem gemeinsamen Initiativantrag für ein Bundesgesetz über die Geschäftsordnung des Nationalrates (Geschäftsordnungsgesetz 1975) geführt, das gemeinsam mit einer korrespondierenden Verfassungsnovelle als einen seiner Hauptpunkte die Stärkung der Position der Minderheitsparteien enthält. Formell ist das Geschäftsordnungsgesetz zwar ein einfaches Bundesgesetz, doch kommt seine Bedeutung schon dadurch zum Ausdruck, daß es — eine Besonderheit — nur mit der für Bundesverfassungsgesetze geltenden qualifizierten Mehrheit beschlossen werden kann. Der Gesetzentwurf bringt darüber hinaus eine völlige Neufassung des Gesetzestextes und enthält auch sonst gegenüber dem Geschäftsordnungsgesetz von 1961 eine Reihe von bemerkenswerten Änderungen, die an dieser Stelle aber nicht näher behandelt werden können.

Von den neu vorgesehenen Minderheitenrechten seien folgende hervorgehoben: Während, schriftliche Anfragebeantwortungen eines Ministers bisher nur auf Grund eines Beschlusses des Nationalrates besprochen wurden, wird dies künftig auch dann geschehen müssen, wenn es mindestens zwanzig Abgeordnete verlangen. Im Zusammenhang mit den nunmehr in der Geschäftsordnung verankerten parlamentarischen Enqueten wird vorgesehen, daß ein Antrag auf Abhaltung einer Enquete vom Präsidenten auf die Tagesordnung der nächstfolgenden Sitzung des Hauptausschusses gesetzt werden muß, wenn es ein Drittel der Ausschußmitglieder verlangt. In der Fragestunde konnte bisher nur der Fragesteller bis zu zwei Zusatzfragen an den Minister richten. Künftig sollen auch andere Abgeordnete, jedoch höchstens drei, je eine weitere Zusatzfrage stellen können.

Die hier nur in den wichtigsten Punkten behandelten Gesetzeswerke gehen zum Teil auf lange Vorarbeiten des Bundeskanzleramtes-Verfas-sungsdienst und auf Vorschläge zurück, die von maßgeblichen Exponenten der Parteien, aber auch aus der Wissenschaft schon vor Jahren gemacht wurden. Auch der großen Oppositionspartei kann ein gutes Zeugnis ausgestellt werden. Die ÖVP hat dort, wo ihr die Verhandlungsergebnisse, die ja zum erheblichen Teil auf ihre eigenen Initiativen zurückgingen, sachgerecht erschienen, ihre für das Zustandekommen der Verfassungsänderungen notwendige Zustimmung gegeben oder zugesagt Anders als die Regierung Klaus, deren verfassungspolitische Initiativen vor 1970 im wesentlichen am Widerstand der damaligen Opposition scheiterten, könnte die amtierende Bundesregierung somit auf verfassungspolitische Erfolge hinweisen. Sie wird aber gut beraten sein, wenn sie das nunmehr knapp vor der Finalisierung stehende Gesetzeswerk als Erfolg gemeinsamer Bemühungen aller im Nationalrat vertretenen Parteien ansieht.

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