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Macht und Verfassung

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Das Urteil des Verfassungsge-richthofes über die sozialistische Arbeiterkammergesetz-Novelle bietet einen geeigneten Anlaß, einmal über das Verhältnis von Macht und Verfassung in einer Demokratie einige Überlegungen anzustellen.

Wenn hier von „Macht“ gesprochen wird, so ist dieser Begriff im positiven Sinne zu definieren. Der Begriff der Macht widerspricht nicht dem Wesen der Demokratie. Macht im positiven demokratischen Sinne könnte man als die Kompetenz zur Regelung aller die Gemeinschaft betreffenden Belange definieren.

Auch in der Demokratie muß es Einrichtungen geben, die Normen setzen und für ihre Einhaltung sorgen können. Im Unterschied zum autoritären System verfugt über diese Einrichtungen aber nicht ein einzelner (Diktatur) oder eine kleine Gruppe (Aristokratie), sondern es sind dies die gewählten Repräsentanten des Volkes.

Es gibt noch einen Unterschied. Im autoritären System übt der Machtträger seine Kompetenz ohne Rücksicht auf die Volksmeinung aus. In der Demokratie kann die Macht nur in Ubereinstimmung mit der Mehrheit des Volkes ausgeübt werden. Setzen sich die gewählten Träger der Machtkompetenz in Gegensatz zum Willen der Mehrheit ihrer Wähler, so erfolgt in der Regel zum Termin der nächsten Wahlen eine Verschiebung in den Mehrheitsverhältnissen.

Es gibt aber auch den Fall, daß sich die Kompetenzträger in der Demokratie über die ihnen durch die Verfassung auferlegten Grenzen hinwegsetzen. Das kann mit und ohne Absicht geschehen. Die korrigierende Behörde ist dann jener Gerichtshof, dem nach der Verfassung die Pflicht auferlegt ist, durch Urteilsspruch die Verfassung wieder herzustellen.

Diesen Fall haben wir nun bei der sozialistischen Arbeiterkammergesetz-Novelle erlebt, die nicht nur als verfassungswidrig, also die Verfassung brechend, erkannt wurde, sondern auch ohne Zweilfel im Gegensatz zum Willen der Mehrheit der

österreichischen Wähler entstanden ist. Es hat auch schon früher Bundesgesetze oder Teile davon gegeben, die in einem Verfahren vor dem Verfassungsgerichthof wegen Verfassungswidrigkeit aufgehoben wurden, wobei aber der jeweilige Anlaß im Gegensatz zum vorliegenden Fall in der Regel von untergeordneter politischer Bedeutung gewesen ist.

Es ist klar, daß es das legitime Recht jeder Mehrheits partei in einem

Parlament ist, in allen Gesetzgebungsfragen, bei denen ein Konsens der Parteien nicht erzielt werden kann, zu entscheiden. Eine ganz andere Frage aber ist die, ob sich die Mehrheit in allen Fällen über die Auffassungen der Minderheit hinwegsetzen darf.

Die Antwort auf diese Frage läßt sich nicht durch gesetzliche Regelungen finden, sondern ist eine Frage der politischen Moral und des Ver-

antwortungsbewußtseins der Mehrheit. Gerade das hat sich auch bei der sozialistischen Arbeiterkammergesetz-Novelle wiederum deutlich gezeigt.

Die Absicht, die die Mehrheitspartei mit dieser Gesetzesnovelle verfolgte, war einzig und allein eine Verbesserung der sozialistischen Position bei den kommenden Arbeiterkammerwahlen. Bei allem Verständnis, das man für parteipolitische Maßnahmen in der Demokratie haben muß, kann aber die Inanspruchnahme der Gesetzgebung für rein parteipolitische Zwecke nicht als moralisch angesehen werden.

Diese sozialistische Arbeiterkammergesetz-Novelle ist daher, von ihrer Verfassungswidrigkeit ganz abgesehen, ein amoralisches Gesetz gewesen. In einer richtig gehandhabten Ausübung der einer Mehrheitspartei zustehenden Machtkompetenz müssen auch moralische Grenzen beachtet werden!

Wie steht es überhaupt bei den großen österreichischen Parteien mit dieser notwendigen moralischen Selbstbeschränkung? Jedermann, der die politischen Verhältnisse auch nur ein wenig kennt, weiß, daß sozialistische Parteien nicht nur in Österreich machtbewußter sind als bürgerlich-konservative. Das zeigt sich zum Beispiel auch darin, daß es in den europäischen Demokratien wiederholt zwar sozialistische, aber niemals bürgerlich-konservative Minderheitsregierungen gegeben hat, wenn man von Italien, wo die Verhältnisse bekanntlich ganz anders sind, absieht. Es zeigt sich aber auch in der Praxis der SPÖ.

Das neue österreichische Strafrecht ist gewiß ein ausgezeichnetes, modernes Gesetz. Es hätte an diesen Qualitäten nichts eingebüßt, wenn die sozialistische Mehrheit auf die sogenannte Fristenlösung verzichtet hätte. Ähnliches ist von der Familiengesetzgebung zu berichten.

Anders verhielt sich die ÖVP in den beiden Gesetzgebungsperioden, da sie über die parlamentarische Mehrheit verfügte. Dem Konkordat von 1934 erwuchs wie allen anderen österreichischen Staatsverträgen nach 1945 wieder volle Rechtskraft. Dennoch hat die ÖVP mit ihrer absoluten Mehrheit zwischen 1945 und 1949 auf seine Durchführung verzichtet, weil hier tiefgreifende weltanschauliche Differenzen mit der Sozialistischen Partei bestanden. Ebenso war es mit der Schulgesetzgebung, die erst dann realisiert wurde, als ein Konsens mit der SPÖ erreicht worden war.

Es mag nun sein, daß die Findung solcher moralischer Grenzen und die Durchsetzung ihrer Einhaltung für eine politische Partei manchmal schwierig ist. Dieser Fall wird etwa eintreten, wenn innerhalb einer Mehrheitspartei selbst über eine bestimmte Materie unterschiedliche Auffassungen bestehen. Hier gibt es einen Ausweg durch die Anwendung der direkten Demokratie, also durch die Frage an das Volk, ob dessen Mehrheit mit einer gesetzlichen Regelung einverstanden ist.

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