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Staat und Kirche in neuer Freiheit

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Der Abschluß des Staatsvertrages hat auch das Problem des Verhältnisses von Staat und Kirche neuerlich in den Vordergrund gerückt. Verpflichtet sich doch Oesterreich im Artikel 6 feierlich, „alle erforderlichen Maßnahmen zu treffen, um allen unter österreichischer Staatshoheit lebenden Personen ohne Unterschied von... Religion den Genuß der Menschenrechte und der Grundfreiheiten, einschließlich der Freiheit der... Religionsausübung... zu sichern“. Und Artikel 26 statuiert die Verpflichtung „Vermögenschaften, gesetzliche Rechte oder Interessen“, die seit dem 13. März 193 8 durch die nationalsozialistische Gewaltherrschaft „Personen, Organisationen oder Gemeinschaften“ entzogen wurden, „zurückzugeben und diese gesetzlichen Rechte und Interessen mit allem Zubehör wiederherzustellen“. Wo dies nicht mehr möglich ist, muß angemessene Entschädigung geleistet werden. Was hier in der rechtlichen Formulierung in die Augen springt, sind jedoch nur Teilausschnitte eines viel größeren Problems, das seit 1945 ungelöst die große Linie der österreichischen Politik belastet: Die Neuordnung des Verhältnisses von Kirche und Staat in Oesterreich. Es ist eine Frage, die nicht nur die katholische Kirche berührt, sondern alle Kirchen und Konfessionen, die durch die nationalsozialistische Gewaltherrschaft Einbußen erlitten haben. Diese Frage gewinnt heute besondere Aktualität, da die Durchführungsgesetzgebung zum Staatsvertrag zum Teil zeitlich befristet ist. Es wäre daher an der Zeit, zu einer generellen Neuregelung des Verhältnisses von Kirche und Staat zu kommen, um den Beweis zu erbringen, daß die Zweite Republik wirklich ehrlich auf dem Boden der Grundfreiheiten und Menschenrechte steht. In den zehn Jahren seit 1945 ist genügend Abstand gewonnen worden, um zu erkennen, was im neuen Staat aus der Vergangenheit übernommen werden soll, und wo ein neuer Anfang zu machen ist. Der Einwand der Uebergangsperiode, der Besatzungszeit, des Vorranges wirtschaftlicher Lebensnotwendigkeiten ist heute nicht mehr am Platz. Entscheidend ist heute mehr denn je die Tat, deren Ausführung bei gutem Willen nicht mehr verzögert werden kann.

Die Bischofskonferenz der katholischen Kirche hat in ihrem Weißbuch alle Grundfragen, die sie betreffen, eindeutig klargelegt. Die evangelische Kirche A. und H. B. hat zu wiederholten Malen die gesetzliche Neuregelung ihres Verhältnisses zum Staat angemeldet und zahlreiche andere brennende Fragen dargelegt. In gleicher Weise haben die Altkatholiken und die Israelitischen Kultusgemeinden, die gleich den Protestanten und Katholiken zu den Hauptgeschädigten der nationalsozialistischen Herrschaft auf kultuspolitischem Gebiet zählen, ihre Forderungen und Wünsche dargetan. Wenn man dagegen die Bilanz der kultuspolitischen „Befreiung“ seit 1945 zieht, so kommt man zur betrüblichen Feststellung, daß der Staat, von wenigen Einzelheiten abgesehen, schwerstem im Verzug geblieben ist.

Auch dem uneingeweihten Beobachter muß auffallen, daß seit 1945 auf kultuspolitischem Gebiet eine Stagnation eingetreten ist. Während auf kirchlicher Seite zunächst geduldiges — ja übergeduldiges — Zuwarten geübt und dann die offene Bereitschaft zur Neuregelung immer wieder betont wurde, blieb der Staat grundsätzlich ablehnend. Worin ist die eigentliche Ursache dieses Mißverhältnisses zu suchen? Zunächst wohl in der Grundhaltung der österreichischen politischen Parteien. Der Sozialismus hat seit 1945 in sich den linken Flügel des alten liberalen Stocks absorbiert, also jene Kreise, deren politische Philosophie im Schlagwort gipfelt: „Lieber rot als schwarz.“ Man fand beim antikonfessionellen marxistischen Stammhalter als liberaler „Antiklerikaler“ den guten Vetter und freute sich der wiedererkannten geistigen Verwandtschaft. Der rechte Flügel der Liberalen, antimarxistisch in seiner Grundhaltung, stieß zur OeVP und betonte dort die Priorität wirtschaftlicher vor kulturellen Fragen. Bündisch meist einflußreicher als der konfessionell orientierte Parteifreund, wurde auch dort seine Stimme oft gewichtiger als die des kirchentreuen Gesinnungsgenossen. Was an unentwegten Liberalen übrigblieb, trat zum VdU, wo man auch antiklerikal sein kann nach Herzenslust und nach links schwenkt, wenn es im Landtag oder Parlament zur Abstimmung in „Kulturkampffragen“ kommt. Und die Kommunisten? Die brauchen auch in unserem Zusammenhang nicht erörtert zu werden.

Das Spiegelbild dieser weltanschaulichen Situation ist die Regierungskoalition. Man stellt kultuspolitische Fragen nicht in den Vordergrund. Wohl treten bei Budgetberatungen und allgemeinen Debatten regelmäßig OeVP-Redner

für kirchliche Angelegenheiten ein und der sozialistische Koalitionspartner macht dann auch seinen freiheitlichen Gefühlen Luft; aber doch nur so weit, daß daraus keine Verpflichtung entsteht, wie dies am jüngsten Parteitag wieder offen dargetan wurde. Grundsätzlich aber erfuhr dadurch die Politik bisher keine Aenderung.

Es ist notwendig, den Kern des Problems hier so eindeutig bloßzulegen, nicht nur, um die Lage richtig zu erkennen, sondern auch, um dem wiederholten Vorwurf — der auch im Ausland geäußert wird — zu begegnen, als wäre das Verhalten verschiedener Persönlichkeiten und Regierungsmitglieder, deren Treue zur Kirche für jeden Einsichtsvollen außer Zweifel steht, nur ein Lippenbekenntnis ohne tieferen Inhalt. Die Darlegung schildert den Ernst der

Es darf daher nicht Wunder nehmen, daß wir heute, nach zehn Jahren der Zweiten Republik, in Kultusfragen die Nazigesetze noch immer am stärksten verankert sehen. Sie werben als „freiheitlich“ maskiert, auch wenn sie das Gewissen des Staatsbürgers schwer belasten. Daher keine Klärung der Konkordatsfrage, staatlicher Zwang im Eherecht, ungelöste Schulgesetzgebung und materielle und administrative Beschränkung der konfessionellen Schulen, keine Militärseelsorge, Verschleppung der zahlreichen Rechts- und Vermögensfragen und der Diözesanerrichtung im Burgenland, Behinderung der freien Religionsausübung in Spitälern, Jugendheimen usw., Benachteiligung der konfessionellen Krankenanstalten und in der Bereinigung der Rückgabeansprüche kirchlicher Vermögenswerte und Ver-

wärtigen Zustand aufrechtzuerhalten, obwohl er mit dem Geist der Verfassung und des österreichischen Rechts in Widerspruch steht. Der Wirrwarr um das Konkordat ist nur ein Beispiel — auch dort, wo es sich um unbestritten abwendbare Bestimmungen handelt, herrscht auf weiten Strecken Unsicherheit. Seit Jahren sind trotz eingehender Fachgutachten die Vermögensansprüche der Salzburger Erzdiözese, die sich gegen nationalsozialistische Enteignungsmaßnahmen richten, unerledigt. Die Handhabung des Kirchenbeitragsgesetzes war wiederholt Anlaß zur Kritik. Wer aber nur etwas Einblick in die Verhandlungen hat, die sich aus den durch den Staatsvertrag aufgeworfenen kirchenpolitischen Fragen ergeben, weiß um ministerielle Hürden. Auch diese Liste ließe sich verlängern.

Bundesminister Dr. D r i m m e 1 hat zu wiederholten Malen das alte Schlagwort des großen liberalen Staatsmannes und Widersacher Roms C a v o u r aufgegriffen und von der „Freien Kirche im freien Staat“ gesprochen. Diese Worte aus dem Munde eines Ministers, der dem katholischen Lager entstammt, haben im In- und Ausland Aufsehen erregt. Wer aber glaubte, daß der Minister, dem die Kultusangelegenheiten anvertraut sind, damit auch den Weg Cavours beschreiten wollte, wurde von Dr. Drimmel seither enttäuscht. Dr. Drimmel hat die heutige Situation für den Staat beschämend und für die Katholiken untragbar erklärt. Lind so ist tatsächlich die Lage für alle Oesterreicher, gleichgültig, ob sie gläubige Glieder einer Kirche oder Religionsgemeinschaft sind, oder echte Liberale, die der Kirche fernstehen. Nur der Kirchenfeind — auch jener hinter dem noch immer vorhandenen Eisernen Vorhang — kann zufrieden sein. Ist das aber wirklich demokratischer Fortschritt?

Demokratie besteht nicht darin, daß die Macht des Staates die Grundfreiheiten des Menschen nur soweit toleriert, als es der Politik der einen oder anderen Partei erträglich oder förderlich erscheint. Die Grundfreiheiten bestehen immer und sind unantastbar durch die Mandatszahl. Das gilt von Artikel 6 des Staatsvertrages und von den längst bestehenden Normen unserer Verfassung, die sie an Alter teilweise, als aus der Monarchie übernommen, weit übertreffen. Es ist jedoch nicht die Norm, sondern der Wille, sie zu erfüllen, der erst unsere Freiheit garantiert.

Wir alle müssen und mußten lernen. Die Zeit des Josefinismus ist genau so vorüber wie die bürgerlich-liberale Tendenz des ausklingenden 19. Jahrhunderts, die auch bei uns, wenn auch mit schwächerem Erfolg, unter dem Motto der Trennung von Kirche und Staat die Kirchen zu rechtlich beschränkten Vereinen machen wollte. Auch das zweifelhafte Experiment des christlichen Ständestaates ist vorbei. Demokratie kann nur in Freiheit leben, in dr Freiheit der Menschen, die die Träger der Demokratie sind. Glaubensfreiheit aber ist ohne Kirchenfreiheit undenkbar. Die Kirche existiert nicht aus dem Willen des Staates, sondern aus jenem Gottes. Und das auch dann, wenn man Gott nicht kennen will.

Es war erfreulich zu lesen, daß die OeVP sich in einer parteiamtlichen Aussendung auf den Boden des Konkordats stellt und für eine zeitgemäße Novellierung eintritt. Sie erwartet — wie es in der Aussendung heißt —, „daß die zu-

ständigen Faktoren in geeigneter Weise Verhandlungen aufnehmen, um dieses Ziel zu erreichen“. Si'e erwartet? Das ist zuwenig: Sije muß ihren Mandataren und Vertrauensmännern in der Regierung den Ansporn zur. Initiative geben. Das Erwarten genügt heute ni(jht mehr.

Das Ver-hältnis von Kirche und Staat bedarf einer Neuregelung. Der Staat ist es seinen Bürgern und seiner wiedergewonnenen Freiheit schuldig. Der Fall, daß Menschen ohne priesterlichen Beistand sterben müssen, weil das Telephon hierfür im Spital nicht benützt werden durfte, ist erschütternd. Er wiegt mindestens so schwer wie der Gesinnungsterror, der Arbeiter brotlos macht. In beiden Fällen wurde Freiheit und Menschenwürde mit Füßen getreten. Diese Freiheit wird täglich neu gefährdet, solange wir zu keiner gerechten Regelung des Verhältnisses

von Kirche und Staat kommen. Die Kirche hat die Hand geboten. Wann wird der Staat sie

nehmen?

Wir dürfen vor dem Ernst der Lage die Augen nicht verschließen. Was zu fordern ist, ist eine Klärung der politischen Situation und eine rechtliche Bereinigung der schwebenden Fragen. Rechtsunsicherheit schafft Rechtsunklarheit. Diese Unklarhiit aber ist ein gefährlicher Feind der Freiheit. Die Demokratie darf aber nicht so verstanden werden, daß die Politik das Recht auf schwankenden Boden stellt. Der katholische Staatsmann und Präsident der Republik Vietnam Diera hat kürzlich bei der Amtsübernahme “als Präsident der Republik sehr beherzigende Worte gesprochen, als er sagte: „Demokratie ist nicht eine Gruppe von Texten und Gesetzen, die gelesen und angewendet werden. Sie ist im wesentlichen eine Geisteshaltung, eine Lebensart mit dem größten Respekt gegen-

über jedem menschlichen Wesen, gegenüber uns selbst, also auch gegenüber unserem Nachbarn. Sie verlangt ständige Selbsterziehung, sorgsame Praxis, bewegliche und . geduldige Aufmerksamkeit, um ein harmonisches Gleichgewicht zwischen den wünschenswerten verschiedenen Auffassungen der Menschen und der unvermeidbaren Kompliziertheit der Wirklichkeit zu erreichen. Demokratie verlangt von jedem vort' uns daher eine unvergleichlich größere Anstrengung, Verständnis und guten Willen, als irgendeine andere Regierungsform.“

Diese Idee, ausgesprochen von einem Staatsmann des Fernen Ostens, gilt auch für unser Oesterreich. Nur wenn alle Beteiligten diese Auffassung der Demokratie vertreten, wird wahre Religionsfreiheit in Oesterreich herrschen. Gibt es aber keine Religionsfreiheit bei uns, dann bleiben wir unfrei auch in unserer neugewonnenen Freiheit.

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