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Gef ährlidie Wege

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Die Kunst des erfolgreichen Staatsmannes bewährt sich in der Mäßigung. Die sozialistischen Gewinner des 22. Februar haben sich leider zu solcher Staatsmannschaft nicht bekannt. Gewiß ist ein Zuwachs von 195.000 Stimmen ein beträchtliches Geschenk. Doch ihm haftet ein Vorbehalt an: Ob man es verdient, das muß man erst erweisen. Denn nun beginnt die Aufgabe, die Verpflichtung, die Einlösung des erhaltenen Auftrages, das Haus Oesterreich, die Heimstatt des ganzen Volkes, auf festen Grund zu stellen, Gesetzgebung und Verwaltung, die geistigen und materiellen Lebensbedürfnisse, Wirtschaft und Geldwesen zu sichern, durch Ordnung und Zuverlässigkeit der Staatsführung unsere Freiheit zu schützen und so auch mitzutun, daß der öster-teichischc Beitrag zum Weltfrieden von kritischem Posten aus geleistet werde.

Um dies alles geht es. Jetzt ist die Stunde der wirklichen Staatsmänner da. Der bisherige Verlauf ist nicht großartig. Wenn jetzt Bemühungen im Gange sind, die knappe relative Mehrheit der Volkspartei im Parlament gegenüber der zweiten Koalitionspartei durch irgend einen -üund mit der Gruppe der „Unabhängigen“ zu verbessern, so kann den mit der Kabinettsbildung betrauten bisherigen Bundeskanzler wahrlich zuletzt der Verdacht einer Neigung für eine Liaison solcher “Art treffen, augenscheinlich aber verzweifelt man im Führerstand der Volkspartei an dem Unternehmen, zu einem annehmbaren Koalitionsabkommen mit dem sozialistischen Partner zu gelangen. Man verlangt einen gegen Rabulisterei und Untreue geschützten Vertrag, der einen vereinbarten Arbeitsplan und die Loyalität im gegenseitigen Verhalten gewährleistet. Wird tatsächlich ein anständiger Partnerschaftsvertrag der beiden großen Parteien unmöglich, dann wird die sozialistische Führung mit einer sehr schweren Verantwortung belastet. Sie selbst nötigt dann zu einem Auskunftsmittel, das die allerwenigsten ernsthaft wollen; es erinnert an den Sportler, der mit einem Gipsverband am Fuß auf gefährlichem Hochge-birgsgelände eine Abfahrt unternimmt, mit dem Risiko, sich diesmal beide Beine oder auch den Hals zu brechen. Es gibt nicht allzu viele gute Kenner der inneren Geschichte des österreichischen Parlamentarismus, doch in welche Katarakte unsere Demokratie in den dreißiger Jahren durch das Scheitern der Ver-stindigungsversuche und die daraus geborenen Notstandkonstruktionen gestürzt wurde, das müßte doch vielen, die heute zwischen Frieden oder schwerer Krise zu wählen haben, in warnender Erinnerung stehen. Das Gute, das vor dem Wahltage in den Reihen der „Unabhängigen“ Geltung versprach, ist fast restlos ausgefallen und was unter dem sächsischen Führer überblieb, wird wahrscheinlich heute oder morgen wie ein Bologner Fläschchen zerschellen. Das Schicksal eines Staates, mitbestimmt von einem sehr gebrechlichen Wesen — man kann nur mit Furcht daran denken. Kein Wunder, daß in den Kommentaren zur Lage schon die Möglichkeit nahe bevorstehender Neuwahlen erwogen wird. Frivolität wäre es, wenn ins Spiel Spekulation auf die parteipolitische Chance sich mischen würde. Was dann käme, wenn der Zeiger der Waage noch weiter nach links fiele, wäre die Radikalisierung von links und rechts und ein neuer schwerer Riß durch die Gemeinschaft.

Noch sind die Dinge im Flusse. Einer Dreierkoalition verweigert die bisherige zweite Koalitionspartei den Beitritt. Damit zeichnen sich die Umrisse einer entstehenden unheimlichen Situation ab. Ihr zu begegnen, ist jetzt die Anforderung an die Verantwortlichen.

Der christliche Staatsbürger hat Grund, sehr nachdenklich zu sein. Haben wir noch einen gesicherten Standort, wenn die öffentlichen Dinge um uns labil werden? Was ist getan oder versäumt worden, um ihn zu festigen, nicht nur den-Standort in unseren Kulturstätten und Sakristeien, sondern auch im Staat und im Gemeinleben? Eine ganze Armee ist dem Sozialismus zugewandert. Wirkliche Sozialisten, gelernte Marxisten? Zum größten Teile nicht. Gerade deshalb ist diese Stimmenverlagerung nach links so ernst und darf nicht mit oberflächlichen Trostsprüchen abgetan werden. Sie hat ihre tiefen, zum Teil soziologischen Ursachen: In dem Schrumpfungsprozeß der konservativen agrarischen Wählcrmasse, in der rasch fortschreitenden Infiltration der Dorfgemeinde mit industrieller Bewohnerschaft, aber auch in dem Uebergrei-fen einer wohldisziplinierten sozialistischen Organisation und ihrer emsigen Schulungsarbeit in die Randzonen der Städte und Fabriksorte. Jawohl, der Schulungsarbeit, die oft genug gar nicht so harmlos ins Weltanschauliche tendenziös und polemisch abirrt. Ihr steht von christlicher Seite — im großen gesehen — keine ähnlich umfassende und methodische Wirksamkeit entgegen. Nicht selten ist die notwendige Aktion durch die mißverständliche Pauschalformel behindert, daß die Politik nichts mit Religion zu tun habe, obwohl es einleuchtend ist, daß det' Staat in der Weltordnung nicht ein Gebilde im luftleeren Raum darstellt, sondern daß er aufsteigend von der Familie und Gemeinde zur großen Gemeinschaft ein Glied der sittlichen Ordnung ist, in den wesentlichen Lebensäußerungen also den sittlichen Gesetzen unterliegend. Deshalb wird der Christ auch immer vortreten müssen, wo die Vergötzung des Staates, diese seine heidnische Verwandlung, mit der die Versklavung der Menschen beginnt, abzuwehren ist. Wir werden es nur vermögen, wenn wir für die politische Erziehung des christlichen Menschen sorgen, für seine Ertüchtigung für das öffentlich e L e b e n........

Wir stehen vor einer Grenze. Jeder denkende Christ hat eine Vorstellung, was drüben liegt. Schwerlich wird ^der neugewählte Nationalrat dic#Vierjahrzeit seiner normalen Gesetzgebungsperiode erreichen. Es heißt zugreifen, nicht morgen — heute, so lange das Heute • uns gehört. Schaffen wir Organe für die weltanschaulich festfundierte Einführung vor allem der jungen Generation in das Mi tdenkenundMit-arbeiten in der Gemeinschaft, und tun wir etwas Ernstliches für die zu uns gehörige Presse. Wir haben auf sie fast vergessen, die unsere Stimme ist, deren Beruf es sein soll, zu überzeugen, zu weisen, zu gewinnen. Vor allem aber: Machen wir ernst mit der Anwendung der Richtlinien des Katholikentages! f.

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