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Solidarische Haftung

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In den letzten Jännertagen hält die durch ihre Zahl und das Maß ihrer Verantwortlichkeit in Führerstellung stehende Koalitionspartei ihren Bundesparteitag. Man mag eine solche Tagung als Appell, als eine politische Inventuraufnahme, als Standort- und Kurskontrolle auffassen, immer wird sie Sinn nur erreichen als redliche, rückhaltlose, das Wesen der Partei in der Demokratie erfassende Selbstprüfung. Nicht Regie und äußerlicher Verlauf vermögen ihren Wert zu bestimmen, sondern nur die sittliche Haltung, in der sich die Führer und Mandatsträger einer auf christlichem Grundsatzboden stehenden Partei in gleicher Weise wie über das Geleistete und Erreichte auch über Unterlassenes, Mängel und Irrtümer Rechenschaft geben, und wäre es nur zum Dank an die Hunderttausende stiller, kleiner Leute, die jahraus, jahrein draußen auf Grund ihrer Gesinnungsgemeinschaft und ihrer Treue den Kleinkampf für ihre Überzeugung führen. Jeder Bundesparteitag hat aufs neue den Titel dieser großen Gemeinschaft — der Volkspartei — zu bestätigen. Jawohl, es ist wieder einmal Zeit, sich in der Volkspartei diese Verpflichtung in Erinnerung zu rufen, warum man diesen Namen der Gemeinschaft auf die Stirne geschrieben hat. »Wir, die Volkspartei — wollte doch jener Entscheid sagen — »wollen nicht eine Klassenoder Standespartei sein. Das Volk ist ein Ganzes, die Gesamtheit der im gleichen Staatsgebiet zur Schicksalsgemeinschaft verbundenen Menschen. Nicht das Gewerbe, nicht die Arbeiterschaft oder der Bauernstand, nicht irgendeine hündische Vereinigung ist das Volk. Jedes dieser Volksglieder ist unentbehrlich und aus der gegenseitigen Ergänzung, in dem Willen zueinander zu stehen und miteinander zu bestehen, empfängt das Volk seine Existenz. Diese Ganzheit widerzuspiegeln, sie praktisch vorzuleben, solltė immer das Vorhaben unserer staatsbürgerlichen Gemeinschaft sein. In diesem Sinne nennen wir uns Volkspartei. — So und nicht anders lautete die Auskunft und die getroffene Wahl. So haben es auch die Hunderttausende verstanden, die mit dem Stimmzettel in der Hand die Begründer der Volkspartei wurden. Unser Land hatte eine harte Schule hinter sich und jeder wußte, wie es auf dem Boden des Abgrundes aussieht. Nie war soviel Elan in unserem öffentlichen Leben als in dem Beginnen für die zweite österreichische Republik. Den Menschen war es blutig ernst bei dem Verlangen nach einer Heimstätte ehrlicher, gesunder r Demokratie. Entspricht die Entwicklung, die allmählich unser politisches Leben genommen hat, dem damaligen Plan?

Es ist eine wichtige Angelegenheit, darauf Antwort zu suchen. Sind wir nicht durch pine Fehldeutung berufsständischer Interessenvertretung in einer viel gefährlicheren Abirrung begriffen, als die Kritikerdem von Dollfuß unternommenen berufsständischen Versuch nachsagen? Nur ein tragisches Mißverständnis vermöchte die auseinanderstrebenden Erscheinungen dem Verfolg des berufsständischen Prinzips zuzuschreiben. Das Wesen der berufsständischen Ordnung ist die organische Gliederung, hingerichtet auf die harmonische Zusammenfassung in der übergeordneten Einheit, dem gemeinsamen Volkskörper. Was sich bei uns im Raume der hündischen Gestaltung vollzieht, zeigt eher die Merkmale eines Aufspaltungsprozesses, eines Auseinanderlebens, das nicht zuletzt seinen Ausdruck findet darin, daß die Volksvertretung, unsere parlamentarische Demokratie, einen guten Teil ihrer Souveränität abgegeben h."’; sie hat wohl nicht die Gesetzgebung an ein Kammersystem abgetreten, jedoch die oftmals den Entscheid bestimmende Vorarbeit, Wenn man mit Recht das Anschwellen des Klassenegoismus beklagt, so liegt eine Ursache in der von der Verfassung nicht vorausgesehenen, weitgediehenen Verschränkung der Volksvertretung mit dem ständischen Element. Diese Entwicklung ist dadurch verschärft, daß sie auch in das Parteiwesen eingedrungen ist. Die Worte der ernsten Mahnung, die jüngst an dieser Stelle F. A. Westphalen in bezug auf die gesamtstaatliche Erscheinung schrieb, dürfen nicht überhört werden: „Die Einheit unserer politischen Existenz scheint oft nicht viel mehr zu sein, als ein befristeter Kollektivvertrag zwischen gegnerischen Gruppen. Die Ganzheit des Volkes entschwindet in dem Maße aus dem Blickfeld, als auch innerhalb der politischen und weltanschaulichen Gesinnungsgemeinschaften hündische Trennung an Stelle der Einheit tritt und an Stelle des Volksmannes und seiner persönlichen Fühlung mit der Bevölkerung der hündische Apparat der Sekretariate eingeschaltet wird. Dieser Umtausch wird durch das bestehende Wahlsystem begünstigt, das schon bei der Parteilistenaufstellung zum Proporz, zur ständischen Aufspaltung verleitet und das Verständnis dafür verwischt, daß der Gewählte der Sachwalter des ganzen Volkes ist und der Beruf des Gewählten diese Pflicht nicht klassenmäßig und gewerkschaftlich begrenzen kann.

Wie keiner anderen politischen Kraft kommt der Volkspartei der Beruf zu, unser öffentliches Leben aus der Zersplitterung des Volksganzen zu retten. S i e wird hier um ihr Daseinsprinzip kämpfen müssen. Sie hat ihr Ziel mit dem Worte Solidarismus weniger sprachlich schon, als deutlich abgesteckt. In diesem Jahr wird sie und werden ihre Gliederungen beim Wort genommen werden. Seit unser Land wieder eine freie Volksvertretung hat, waren ihrem verantwortungsbewußten Handeln nicht so schwerwiegende Aufgaben auferlegt, wie sie ihr in dem begonnenen Jahr obliegen. Nach dem Ende der Hitlerherrschaft hatte sie eine böse Hinterlassenschaft zu liquidieren und Hunger und Kriegsverwüstung zu überwinden. Österreich erhielt vielfältigen und planmäßigen, großzügigen Beistand, und wir sind dafür erkenntlich. In der nächsten Zeit, da sich die ERP-Hilfe voraussichtlich auf einen geringen Bruchteil verringert, wird unsere Wirtschaft, die staatliche und die private, auf sich selbst gestellt sein, gesteuert von Einsichten und Entschlüssen, die irgendwie jeden Österreicher, das ganze Volk angehen werden. Niemand . würde uns helfen, wenn wir uns dieser Bestandprobe unserer Existenz leichthin entziehen wollten. So manches, was uns auferlegt sein wird, wie die Verwaltungsreform und die Herstellung eines tragbaren Staatshaushaltes, die Ausschaltung unfruchtbarer Investitionen, die Vereinfachung des üppigen Lebensstandards von allerlei Zeitgenossen in diesem, arm gewordenen Staate, ist schon längst fällig. Was zu tun obliegt, ist zur Stunde noch wichtiger als der Staatsvertrag. Und nichts. wird uns- hergezaubert werden, wir müssen das .Notwendige selbst schaffen. Und dafür werden wir alle haften. Keinem ärgeren Feind könnten wir dabei begegnen als dem Klassenegoismus.

Der Gemeinschaftsgeist der solidarisch Haftenden ist aufgerufen. Sieht der Bundesparteitag der Volkspartei hier nach dem Rechten, so wird sein Einsatz an einer schicksalhaften Schwelle unseres Landes denkwürdig bleiben.

Einkehrtag einer Partei? Er wäre zeitgemäß.

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