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Grundanliegen der österreichischen Katholiken

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Demokratie bedeutet, nach einem bekannten staatsmännischen Wort, Diskussion; Diskussion über die Anliegen, Sorgen, Grundfragen des Staates, des Volkes und einzelner Volks- und Interessengruppen. Demokratie lebt in der Diskussion: in der offenen Aussprache über diese äußeren und inneren Anliegen. Es ist schlecht um sie bestellt, wenn aus Angst vor Mißverständnissen und Mißdeutungen oder aus positionstechnischen Sorgen ein Bevölkerungsteil, eine Gruppe von Staatsbürgern, auch nur den Anschein erweckt, wesentliche Fragen aus den Augen zu verlieren beziehungsweise über ihre eigene Haltung in diesen im unklaren zu sein. Gerade andersdenkende und andersgesinnte Gesprächspartner haben in einer echten Demokratie ein Recht darauf, diese Haltung zu kennen und ihrerseits in Rechnung zu stellen.

Die katholische Bevölkerung Österreichs, deren Bedeutung für das staatliche Leben keiner Erklärung bedarf, besitzt einige für ihr religiöses Leben und Bekenntnis vitale Anliegen. Sie betreffen Bereiche, die nicht nur das höchste Interesse, sondern auch das demokratische Verständnis und Wohlwollen aller Staatsbürger verdienen, gleich, welcher Konfession und Partei sie sein mögen, da sich diese vielfältig berühren mit Grundfragen und Grundrechten der Gesamtheit.

Einer unserer leitenden Staatsmänner statuierte vor kurzem in der führenden Monatsschrift der Sozialisten: „Ob es uns angenehm ist oder nicht, der „Anschluß“ hat das selbständige Österreich Staats- und völkerrechtlich vernichtet. Wozu es ableugnen?“ Nun sind bekanntlich so gut wie alle großen staatsrechtlichen Fragen um das Schicksal unseres Österreichs, um seinen Staatsvertrag, seine Konstituierung als freie Nation, der Sphäre des Angenehmen und oft auch Annehmlichen entrückt — hier aber geht es doch um noch mehr als eine Frage des Geschmacks und der personalen Einstellung und Willensbildung: nämlich um die Frage des Sittlichen, der Ethik, der Moral, als Basis aller einem abendländischen Rechtsgefühl möglichen juridischen und staatsrechtlichen Entscheidungen. Soll der von der ganzen Welt heute als unsittlich und verbrecherisch erkannte, von internationalen Gerichtshöfen abgeurteilte Gewaltakt des Uberfalls auf Österreich nun von uns selbst noch nachträglich als heute gültiges Recht anerkannt werden? Nie und nimmer darf dies der Fall sein: wir würden uns selbst jeder sittlichen Grundlage für eine Rechtfindung und -sprechung im Heute und Morgen berauben, wenn wir das Verbrechen von gestern sanktionieren und als rechtliche Basis unserer heutigen „neuen“ Existenz ansehen wollten. Wenn dem aber nicht so ist, dann gibt es für uns nur eine lebensnotwendige sittliche und rechtliche Folgerung und Forderung: die Meintat der Besatzung von 1938 bis 1945 konnte die Funktion Österreichs zwar unterbrechen, nicht aber es staatsrechtlich vernichten. Unrecht darf nicht neues Recht setzen. Die Rechtskontinuität Österreichs ist damit ebenso gegeben wie die anderer von Hitler zeitweise besetzter Länder, und das heißt: wir haben uns, mag es uns nun angenehm oder unangenehm sein, der Gültigkeit der vorher abgeschlossenen völkerrechtlichen Verpflichtungen bewußt zu sein. Für den Katholiken bedeutet das die Rechtsgültigkeit des Konkordats. Jedes neue Gespräch mit Andersdenkenden in dieser Frage hat also hier anzusetzen, wobei unsere andersdenkenden Freunde bedenken mögen, welche Belastung sie auf sich nehmen, wenn sie, um der Konkordatsfrage aus dem Weg zu gehen, bereit sind, sittlich, moralisch und rechtlich die Tat Hitlers anzuerkennen. Jede Anerkennung öffnet hier die Tür für die Hitler von morgen und übermorgen, gleich welcher Farbe diese' auch immer sein mögen.

Österreich kann nur dann einigermaßen hoffen, in den gegenwärtigen weltumspannenden Auseinandersetzungen seinen Standpunkt mit Erfolg vertreten zu können, wenn es selbst ein klares, sittlich fundiertes Bewußtsein seines Rechts hat. Auf die Festigkeit seiner Moral und das Ethos des Staates kommt es also an. Dieses fußt aber auf der Sittlichkeit seiner Staatsbürger. Und diese wieder ruht auf der Erziehung, auf der Schule. Die Sorge der Katholiken um eine Schule, in der ein ewigen Normen verpflichtetes Sittensystem gelehrt wird, unerschütterlich und ungebrochen mitten in einer von tiefsten Erschütterungen und folgenschwersten Rechtsbrüchen aufgewühlten Zeit, ist also sehr wohl auch staatsbürgerlich begründet. Das vor kurzem auf Grund langer Beratungen der beiden Regierungsparteien zustande gebrachte Religionsunterrichtsgesetz darf nach Berichten aus mehreren Diözesen als ein erfreulicher Teilerfolg angesehen werden. Wir freuen uns, dies feststellen zu dürfen. Sich mit ihm aber als Endprodukt zu begnügen, hieße vor der Wirklichkeit die Augen verschließen. Ein, zwei Religionsstunden in der Woche können nicht mehr als einen Ton einklingen lassen in das viel-tönige Orchester der Erzieherstimmen, die auf unsere Jugend einwirken und sie lenken, leiten, führen wollen. Schwere Dissonanzen sind hier naturgemäß oft und oft die Folge. Wie soll der junge Mensch die gegensätzlichen Gewichte und Einflüsse aus Geschichte, Muttersprache und naturkundlichen Fächern selbständig zum Ausgleich bringen mit der einen Gegenstimme aus „Religion“? Wem soll er Glauben schenken, den vier, fünf, sechs positivistischen Stimmen oder der einen Stimme des Glaubens? Gerade der Religionsunterricht, allein als Einzelfach in einer ungläubigen Schule, erscheint demnach geradezu gefährlich für die innere Einheit der Bildung unserer Jugendlichen — nur die geschlossene katholische Schule vermag eine bruchlose Erziehung zu gewährleisten. Eine große Aufgabe — für das Heute und das Morgen — steht somit vor dem verantwortungsbewußten katholischen Volkskörper unseres Landes: dem bekennenden Katholiken — die bekennende Schule.

Wie die Welt im allgemeinen, so leidet Österreich im besonderen an den Folgen der Rechtszustände, die das Dritte Reich geschaffen hat: durch fremde und durch eigene Schuld. Als eine solche muß es wohl angesehen werden, daß wir auch heute noch die N S-Ehegesetzgebung — durch freiwillige Übernahme 1945 — besitzen, allein der Arierparagraph wurde gestrichen. Dieses staatliche Eherecht ist, wie der Wiener Universitätsprofessor Dr. W. Plöchl mehrfach ausgeführt hat, durch seinen Zwang zur Ziviltrauung und seine Strafsanktion gegen die Geistlichen verfassungswidrig, weil es die elementarste Glaubens- und Gewissensfreiheit des Staatsbürgers verletzt, nämlich seine Freiheit, ein Sakrament der Kirche zu empfangen ohne Einspruch des Staates. Wie ungeklärt hier auf diesem Gebiete die Verhältnisse sind, beweisen Vorkommnisse aus der letzten Zeit. In Tirol wurde ein Priester wegen Vollzug einer kirchlichen Trauung vor der zivilen Eheschließung vor Gericht geladen, er berief sich auf eine Weisung seines Bischofs und hat bisher keine Bestrafung erhalten. In einem Orte Oberösterreichs haben der Pfarrer und sein Kaplan ebenfalls solche Trauungen vorgenommen, wurden vor einem Schöffengericht angeklagt, verurteilt, ihr Verteidiger will nun den Prozeß vor den Verwaltungsgerichtshof bringen. Besonders schwierig ist hier deshalb die Situation, weil die 1938 von den Bischöfen ergangene Weisung, die kirchliche Trauung erst nach der standesamtlichen Eheschließung vorzunehmen, 1945 vorläufig in Kraft belassen wurde, in der Hoffnung auf eine baldige staatliche Änderung der NS-Ehegesetze.

Konkordat, Schule, Ehe: das sind die wesentlichen Punkte katholischer Forderungen, katholischer Fragen an Staat und Öffentlichkeit heute. Es ist die Aufgabe der österreichischen Katholiken, einen Erweis ihrer demokratischen Gesinnung und demokratischen Arbeitstüchtigkeit zu geben, indem sie ihren Gesprächspartnern Recht und Sinn, Maß und Ziel ihrer Wünsche, Beschwerden, Forderungen aufzeigen.

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