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„An Grundwerten ausriditen“

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Im demokratischen Staat vermögen die Bürger nur selten ihre Rechte unmittelbar auszuüben. Man kann nicht jeden Gesetzesentwurf einem Volksentscheid unterwerfen. Ein so schwerfälliges Verfahren würde das staatliche Leben lähmen. Die Bürger wählen deshalb in der repräsentativen Demokratie ihre Vertreter, die als Abgeordnete im Parlament leichter handlungsfähig sind.

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Im demokratischen Staat vermögen die Bürger nur selten ihre Rechte unmittelbar auszuüben. Man kann nicht jeden Gesetzesentwurf einem Volksentscheid unterwerfen. Ein so schwerfälliges Verfahren würde das staatliche Leben lähmen. Die Bürger wählen deshalb in der repräsentativen Demokratie ihre Vertreter, die als Abgeordnete im Parlament leichter handlungsfähig sind.

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Um die Stimmen der Wähler für sich zu gewinnen, verkünden die Wahlkandidaten ihr „Programm“. Dabei bekennen sich mehrere Kandidaten zu demselben Programm, weil eine einheitliche Kräftegruppe im Parlament, das heißt: eine politische Partei, mehr Einfluß besitzt als die einzelnen alleinstehenden Abgeordneten. Die Wahlprogramme gehen meistens von den gesell- sehaftlichen Bedürfnissen aus, stellen Leitbilder zur Gestaltung des gesellschaftlichen Lebens auf und enthalten Forderungen und Versprechungen, die das Interesse der Wähler ansprechen sollen. Politische Parteien sind in einer Demokratie eine Selbstverständlichkeit und vermögen überdies Garanten der bürgerlichen Freiheit zu sein. „Wie hilflos wären wir dem Staat ausgeliefert“, meint Hans Peters, „wenn nicht in ihm und neben ihm, sich gegenseitig bekämpfend, die zahlreichen Mächte der Religion, der Wirtschaft, der sozialen Gruppen und die von allen diesen mehr und weniger getragenen politischen Parteien existierten.“

Die Christen sind Glieder der Kirche und zugleich Staatsbürger. Für ihr Verhältnis zu den politischen Parteien gelten vier Grundsätze:

Den ersten Grundsatz hat das Zweite Vatikanische Konzil aufgestellt: Die Christen sollen ein Vorbild dafür sein, „wie man aus Gewissensverantwortung handelt und sich füf das Gemeinwohl elhsetzt“. In einer Demokratie wird sich die Verantwortung für das allgemeine Wohl auch durch die parteipolitische Mitarbeit bewähren müssen. Fehlt das lebendige Zeugnis der Christen in den verschiedenen Lebensberei- ohen — auch in der Parteipolitik —, so werden andere Kräfte eindringen und sich durchsetzen. Die Christen dürfen sich nicht in die spirituali- stische reine Kirchlichkeit einer introvertierten Kultgemeinde zurückziehen.

Zweiter Grundsatz: Der gläubige Christ wird sich in seiner parteipolitischen Tätigkeit an den christlichen Grundwerten ausrichten. Heute wird nicht selten gesagt, nur die Anhänger säkularisierter Weltanschauungen seien berechtigt, parteipolitisch tätig zu werden, nicht jedoch die Bekenner des christlichen Glaubens, jedenfalls nicht nach den Grundsätzen ihres Glaubens. Wenn katholische Bürger politische Entscheidungen treffen wollten in den Fragen der Erziehung, des Schulwesens, des Familienrechtes, des Strafrechtes, müßten sie ihren Glauben daheim lassen und nach säkularisierten Leitbildern banideln. Alles andere sei „politischer Katholizismus“. Dieser Vorwurf ist undemokratisch und beleidigend. In der demokratischen, weltanschaulich pluralistischen Gesellschaft ist auch der Christ berechtigt, an der Gestaltung des öffentlichen Lebens aus seiner christlichen Überzeugung mitzuwirken.

Dritter Grundsatz: Es steht jedem Katholiken frei, sich jeder politischen Partei anzuschließen, sofern diese Partei die sittlichen Grundwerte anerkennt und den gesellschaftlichen Auftrag der Kirche nicht ablehnt. Aus diesem Grundsatz folgt, daß ein gläubiger Katholik eine Partei nicht unterstützen kann, die antireligiöse und inhumane Ideologien vertritt und die sittlichen Grundwerte, wie den Schutz des Lebens, vor allem des ungeborenen Lebens, oder die Institution der Ehe und Familie in Theorie und Praxis untergräbt.

Vierter Grundsatz: Da das Grundrecht der Vereinsfreiheit allen Bürr gern zusteht, ist es christlichen Bürgern nicht .verwehrt, sich, wenn ihnen das angebracht erscheint, zu einer eigenen politischen Partei zu- sammenzuschließen. Eine solche Partei ist keine „kirchliche Einrichtung“, sondern eine politische Partei, für die wie für jede Partei das Wort des Konzils gilt: „Die politischen Parteien müssen das fördern, was ihres Erachtens nach vom Gemeinwohl gefordert wird; sie dürfen niemals ihre Sonderinteressen über dieses Gemeinwohl stellen.“ Wenn sich eine von christlichen Büpgem gegründete Partei „christlich“ nennt, so bedeutet das nicht kirchliche Bevormundung, sondern Bekenntnis zur christlichen Wert- ordnungi i-Hier gilt- das Wort; des Zweiten Vatikanums: „Die Gläubigen haben Rechte und Pflichten, insofern sie zur Kirche gehören“, und andere Rechte und Pfliditen „als

Glieder der menschlichen Gesellschaft“. Sie werden beide .yhaimo- nisch miteinander zu verbinden suchen“ und auf diese Weise die Kirche „an jenen Stellen und in den Verhältnissen gegenwärtig und wirksam machen, wo die Kirche nur durch sie Salz der Erde werden kann“.

Die Stellung der Kirche — als des mit hierarchischen Ämtern ausgestatteten Leibes Christi — zu den politischen Parteien wird durch die Grundsätze bestimmt, die allgemein das Verhältnis der Kirche zu Staat, Politik, Wirtschaft und den übrigen Kuiturbereichen regeln.

Hier gelten folgende fünf Grundsätze:

Erster Grundsatz: Um der irrigen Meinung keinen Vorschub zu leisten, Partei und Kirche seien dasselbe, wäre es vom Standpunkt der Kirche begrüßenswert, wenn die Haltung aller oder doch mehrerer ‘ Parteien es zulleße, daß die Katholiken ihnen ohne Gewissensbedenken beitreten könnten. Die Erfahrung lehrt nämlich, daß eine politische Einheitspartei der Katholiken — trotz aller

Betonung ihres nichtkonfessionellen Charakters — leicht mit Kirche und Christentum gleiohgesetzt wird. Da sich jedoch die verschiedenen Parteien mehr oder weniger positiv zu den sittlichen Grundwerten und zum gesellschaftlichen Auftrag der Kirche verhalten können, wird die eine

Partei ein näheres Verhältnis zur Kirche haben als eine andere — bis hin zur völligen Ablehnung der Kirche durch eine militant antireligiöse Partei.

Zweiter Grundsatz: Die Kirche, die den politischen Parteien den Dialog anbietet, ist kraft ihres Wächter- und Hüteramtes verpflichtet, die sittlichen Grundwerte, ohne die ein Zusammenleben nicht möglich ist, zu verkünden. Der Pluralismus in den sittlichen Grundwerten besitzt keine integrierende Kraft. Im Gegenteil, ein totaler Pluralismus würde sich zerstörerisch auswirken. Die Kirche ist gesandt, „Gerechtigkeit und Liebe“ zu verkünden und „kraft ihrer Universalität ein enges Band zwischen den verschiedenen menschlichen Gemeinschaften und Nationen zu bilden“. Sie sucht nach dem Verbindenden und bekennt, „daß alle Menschen, Glaubende und Nicht- glaubende, zum richtigen Aufbau dieser Welt, ln der àie gemeinsäm leben, Zusammenarbeiten müssen“.

Dritter Grundsatz: Die Kirche ist verpflichtet, warnend und protestie rend ihre Stimme zu erheben, wenn Parteien in Theorie oder Praxis elementare Rechte des Menschen, etwa das Recht auf Leben, Freiheit und körperliche Unversehrtheit, antasten. Ich erinnere an Kardinal von Galen und an den gemeinsamen Hirtenbrief der deutschen Bischöfe vom Oktober 1943, der an Hand der Zehn Gebote der von der NSDAP beherrschten Regierung des sogenannten „Dritten Reiches“ ihre Übergriffe vorhielt: „Keine irdische Macht“, so heißt es in diesem Hirtenbrief, ,,darf das Leben eines Unschuldigen frevelhaft verletzen und vernichten. Wer ein solches Leben anigretft, greift Gott selber an. Tötung (Unschuldiger) ist in sich schlecht, auch wenn sie angeblich im Interesse des Gemeinwohls verübt würde: an schuld- und wehrlosen Geistesschwachen und -kranken, an unheilbar Siechen rmd tödlich Verletzten, an erblich Belasteten und lebensuntüchtigen Neugeborenen, an unschuldigen Geiseln und entwaffneten Kriegs- und Strafgefangenen, an Menschen fremder Rassg und Abstammung“. In den Jahren 1970 bis 1973 haben die deutschen Bischöfe immer wieder vor dem Unheil gewarnt, das dem deutschen Volk durdi die strafrechtliche Freigabe der Abtreibung und der Pornographie, durch die Aushöhlung des Jugendschutzes und durch eine den Zerfall der Ehe und Familie fördernde Gesetzgebung droht.

Vierter Grundsatz: Wenn die Kirche den poditisohen Parteien gegenüber für Recht und Würde des Menschen eintritt, tut sie es kraft ihrer Verkündigungsautorität und ihres Öffentlichkeitsauftrags, nicht kraft einer irgendwie verstandenen Zwangsautorität. Die Jünger Jesu soUen Prediger, nicht Rächer sein. „Wo man euch nicht aufnimmt und auf eure Worte nicht hört, da ver-j laßt das Haus und die Stadt und schüttelt den Staub von euren Füßen“ (Mt 10, 141. Gewalt und Frohe Botschaft sind unversöhnliche Gegensätze. Die Kirche wird als der fortlebende Christus den Kreuzweg der verfolgten Kirche gehen.

Fünfter Grundsatz: Die Kirche wirö zu .politftchen Frägäh- to’ denen Christen,’ •ünbesohadfet’rihres’’ Glaubens, verschiedener Meinung sein können, nicht autoritativ Stellung nehmen.

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