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Nicht herrschen, sondern dienen

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Denn so wie heute jeder Staatsbürger in Österreich die Freiheit hat, sich zur Kirche zu bekennen oder sie abzulehnen, so kann die Kirche in diesem Land ihre Aufgabe in Freiheit erkennen und erfüllen. Für die Kirche kann es hier weder um ein politisches, noch um ein soziologisches Geschäft gehen. Sie kann damit nicht herrschen, sondern nur dienen wollen. Wenn man will, so läßt sich die integrierende Funktion der Kirche in der österreichischen Gegenwart sogar bis in den politischen Bereich ausdehnen. Sie kann auch hier sich bemühen, das Gemeinsame, das Verbindende, die friedliche Zusammenarbeit zu betonen. Es soll damit nicht einem Nebeneinander, nicht einem Gegeneinander, sondern einem Miteinander ehrlicher Partnerschaft im heutigen Verhältnis von Staat und Kirche das Wort geredet werden.

Ich fasse das bisher Gesagte zusammen: Die gesellschaftlichen Funktionen, die der Kirche in einem demokratischen Staatswesen zufallen können, sind:

• Die Verteidigung von unabhängigen Rechtsgrundsätzen; das heißt, es ist ihre Aufgabe, die Rechtsordnung und das Recht jenseits menschlicher Willkür immer wieder in Erinnerung zu rufen, die moralischen Ordnungskräfte zu unterstützen und vor jeder Überwältigung des Rechtes durch die

Macht unablässig zu warnen — plus ratio quam vis.

• In der pluralistischen Demokratie gehört es zu ihrer gesellschaftlichen Funktion, öffentliches Gewissen im Dienste des Gemeinwohles zu sein, alle Sonderinteressen den Gesamtinteressen unterzuordnen. Dazu gehört auch die Wahrung der rechten Wertordnung und die Stärkung der sittlichen Kräfte in einer technischen Welt.

• Mit besonderer Bezugnahme auf Österreich habe ich mir erlaubt, eine dienende und integrierende Funktion der Kirche hervorzuheben.

Pacem in terris

Was hier unter Bezugnahme auf Österreich in kurzen Worten über das Verhältnis von Kirche und Staat hinsichtlich der gesellschaftlichen Funktion der Kirche im demokratischen Staat gesagt werden kann, das findet sich noch besser, tiefer und grundlegender, ins Weltweite erhoben, in der letzten Enzyklika des Papstes Johannes XXIII., die mit den Worten „Pacem in terris“ beginnt.

Zum erstenmal findet sich in diesem Dokument in klarer und bestimmter Form eine Stellungnahme zur Demokratie.

In diesem Rundschreiben bekennt sieh der Papst ausdrücklich zur Pflicht der Bürger, am öffentlichen Leben teilzunehmen, und zwar im Sinne eines

demokratischen Staates, der gleichzeitig Verfassungsstaat und Rechtsstaat ist. Die Enzyklika spricht außerdem davon, daß die Verfassung eines jeden Staates festgelegt, daß die Rechte und Pflichten zwischen Bürgern und Staatsbehörden nicht durch Willkür bestimmt werden. Die Menschen unserer Zeit verlangen, daß ihre unverletzlichen Rechte durch die Staatsverfassung garantiert und die staatlichen Behörden ihr Amt nach verfassungsgemäßen Richtlinien ausüben. Die gegenseitigen Beziehungen der Staaten dürfen nicht durch Waffengewalt, sondern müssen nach den Gesetzen der Wahrheit und der Gerechtigkeit, nach den Grundsätzen der gesunden Vernunft geregelt werden. Also auch hier „plus ratio quam vis“.

In den pastoralen Weisungen des Schlußkapitels handelt er von den Beziehungen zwischen Katholiken und Nichtkatholiken auf wirtschaftlichem, sozialem und politischem Gebiet. Beide Teile müssen nach den Gesetzen der Vernunft und natürlichen Wohlanständigkeit zusammenarbeiten. Die Katholiken sollen sich dabei selber treu bleiben, den anderen aber mit echtem Wohlwollen begegnen, um mit vereinten Kräften das zu schaffen, was von Natur aus gut ist und zum Guten gewendet werden kann. Und weil auch der Mensch, der im Irrtum befangen ist, nicht aufhört, ein Mensch zu sein, und seine persönliche Würde nicht verliert, ist zwischen Irrtum und dem irrenden Menschen zu unterscheiden.

Keine Zukunft der Demokratie ohne Kirche

Wenn dieses Dokument ein so überraschendes und weltweites Echo gefunden hat, so liegt es wohl nicht zuletzt auch daran, daß wir im päpstlichen Rundschreiben die gesellschaftliche Funktion der Weltkirche im Rahmen einer noch besseren Völker- und Staatengemeinschaft betont finden. Im Interesse des Zusammenlebens aller Nationen und Völker ist die gemein-schaft- und friedenstärkende Funktion einer universalen Kirche von nicht geringer Bedeutung.

Um welche Aufgaben der Kirche es sich dabei handelt, kann man auch daraus ersehen, daß der italienische Staatsrechtslehrer und seinerzeitige Unterstaatssekretär Gaetano M o s c a in seinen auch außerhalb Italiens sehr beachteten „Elementi di scienza poli tica“ bei seiner Analyse der Entwicklung der Demokratie in der Massengesellschaft zu dem Ergebnis kommt, die Demokratie könne ohne die Kräfte des Christentums mit seiner gefestigten Wertordnung und ohne die Kräfte der Kirche als des sicheren Bollwerks dieser Wertordnung keine Zukunft mehr haben.

Die gesellschaftliche Funktion der Kirche ist daher ein Dienst am Gemeinwohl, an der Gemeinschaft und an der Friedensordnung im kleinen' wie im großen, von dem der erste Satz der Enzyklika spricht: „Der Friede auf Erden, nach dem alle Menschen jederzeit sehnlichst verlangen, kann nur dann begründet und gesichert werden, wenn die von Gott festgesetzte Ordnung gewissenhaft beobachtet wird.“

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