Ein klares Wort für Liebe und Wahrheit

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In seiner dritten Enzyklika nimmt Papst Benedikt XVI. grundsätzlich zu theologischen und den globalen Themen Stellung. Das päpstliche Rundschreiben trifft auf breites Interesse und auf eine durchwegs positive Aufnahme.

Eine Stellungnahme der Kirche zur rechten Zeit – so meinten einige der ersten Kommentatoren zur Sozialenzyklika Benedikt XVI. „Caritas in veritate“. Zur rechten Zeit nicht nur in Anbetracht des am Tage nach der Veröffentlichung im italienischen L’Aquila geplanten Gipfelgesprächs der 8 wichtigsten und mächtigsten Industrienationen, die sich mit den Einbrüchen der weltweiten Finanzmärkte und den damit verbundenen Problemen der Weltwirtschaft auseinanderzusetzen hatten. Zeitgerecht vor allem in Anbetracht der drängenden Probleme einer Welt, die gekennzeichnet ist durch zunehmende Armut, Ungleichheit und Ungerechtigkeit, durch Klimawandel und Globalisierung.

Bezeichnend für Benedikt XVI. ist sein Ansatz bei der zentralen frohen Botschaft des christlichen Glaubens: Gott ist die Liebe. Wie in seinem ersten Rundschreiben, „Deus Caritas est“, entfaltet, ist diese Wahrheit auch der Ansatzpunkt für eine Auseinandersetzung mit den gesellschaftlichen Fragen der Gegenwart: „Die Liebe ist der Hauptweg der Soziallehre.“ Von der Liebe geleitet, gilt es, der Wahrheit in den verschiedenen Gesellschaftsbereichen nachzugehen, um zu wirklichkeitsgerechten Orientierungen und ethischen Urteilen zu kommen.

Benedikt versteht dabei seine Aussagen in Kohärenz mit der Tradition der Katholischen Soziallehre. So gibt es nicht „eine vorkonziliare und eine nachkonziliare (Soziallehre), die sich von einander unterscheiden, sondern eine einzige, kohärente und stets neue Lehre.“ Das Konzil markiert keinen Bruch in den Aussagen des Lehramts, vielmehr ihre Vertiefung.

Überraschend inhaltsreich

Das Leitthema des Rundschreibens „über die ganzheitliche Entwicklung des Menschen in der Liebe und in der Wahrheit“ greift das Rundschreiben „Populorum progressio“ von Paul VI. 1967 über die Entwicklung der Völker auf. Über vierzig Jahre später erweist sich dieses Rundschreiben als ähnlich grundlegend für die heutigen Fragen der Menschheitsentwicklung wie „Rerum novarum“ 1891 für die Epoche der Industrialisierung in den europäischen Ländern. Diese Fragen von heute werden überraschend inhaltsreich dargelegt und differenziert beurteilt:

Armut und Unterentwicklung, Situation der Familie und Arbeitswelt, Migration, die geänderte Rolle von Staat und Unternehmen, Krise der Finanzmärkte, Energieproblematik, Entwicklungszusammenarbeit, Bevölkerungswachstum, Umweltverantwortung, Technologietransfer u. a. m.

Benedikt thematisiert die Ambivalenz gesellschaftlicher Gegebenheiten und Entwicklungen. So unterscheidet er bei der Beurteilung von Gewinn, wie weit dieser sowohl bei seiner Erzielung wie seiner Verwendung einem sinnvollen Zweck dient, oder aber zum Selbstzweck wird und die Gefahr in sich birgt, Vermögen zu zerstören und Armut zu schaffen. Im Blick auf die Führung von Unternehmen ist entscheidend, ob allein auf die Interessen der Eigentümer geachtet wird oder auch auf Arbeitnehmer, Kunden, Zulieferer und Gemeinden, die ebenfalls zum Leben des Unternehmens beitragen.

Absage an Engführung

Benedikt warnt, nicht „den gesamten Entwicklungsprozess allein der Technik zu überlassen, denn auf diese Weise würde ihm die Orientierung fehlen“. Es braucht vielmehr eine grundlegend sozial ausgerichtete Entwicklung. Im Unterschied zu einer Verabsolutierung des technischen Fortschritts wäre es aber ebenso verhängnisvoll, die Nützlichkeit von Entwicklung überhaupt zu leugnen und als allgemeinen Verfall anzusehen, dagegen die Rückkehr der Menschheit zum ursprünglichen Naturzustand zu erträumen.

Aus der Perspektive der Liebe, die den einzelnen Menschen und die ganze Menschheit in den Blick nimmt, wird eine ganzheitliche Entwicklung zum zentralen Anliegen.

Für die Wirtschaft heißt dies, dass „wahrhaft menschliche Beziehungen in Freundschaft und Gemeinschaft, Solidarität und Gegenseitigkeit auch innerhalb der Wirtschaftstätigkeit und nicht nur außerhalb oder ‚nach‘ dieser gelebt werden können“. So stellt sich auch die Frage der Gerechtigkeit in allen Phasen des Wirtschaftens. Für die Frage der Globalisierung bedeutet dies, sie nicht nur als sozio-ökonomischen Prozess zu sehen. „Die Wahrheit des Globalisierungsprozesses und sein grundlegendes ethisches Kriterium sind in der Einheit der Menschheitsfamilie und in ihrem Voranschreiten im Guten gegeben.“

Markt, Staat, Zivilgesellschaft

In dieser mehrdimensionalen Sicht wird deutlich, wie eine exklusive Kombination Markt-Staat den Gemeinschaftssinn zersetzt. Deshalb bedarf es solidarischer Wirtschaftsformen, wie sie von der Zivilgesellschaft entwickelt werden. „Neben den gewinnorientierten Privatunternehmen und den verschiedenen Arten von staatlichen Unternehmen sollen auch die nach wechselseitigen und sozialen Zielen strebenden Produktionsverbände einen Platz finden.“

Ein solches Zusammenspiel von Markt, Staat und Zivilgesellschaft schafft Raum für Unentgeltlichkeit als Ausdruck dafür, dass das Leben – im Unterschied zu einer produktivistischen und utilitaristischen Sicht des Daseins – ein Geschenk ist. Hier erschließt sich hinter Detailfragen wieder die ganzheitliche Sicht des Menschen in seiner Ausrichtung auf Transzendenz und Leben in Beziehung.

Die Dringlichkeit von Reformen

Benedikt ruft auf, „angesichts der großen Probleme der Ungerechtigkeit in der Entwicklung der Völker mutig und ohne Zögern zu handeln“. Unter der Vielfalt konkreter Reformmaßnahmen werden dabei eine Neugestaltung der Globalisierung, die Regelung der Finanzmärkte, Initiativen des ethische Investments, eine Reform der Organisation der Vereinten Nationen, großzügigere Finanzhilfen der reichen für die armen Länder, aber auch sozialpolitische Maßnahmen gegen Armut und Ausgrenzung und Initiativen zur Stärkung demokratischer Lebensformen genannt. Dennoch bleibt vieles ohne verbindlichere Konkretisierung. In den allgemein gehaltenen Aussagen werden die spezielle Situation der Frauen und ihr entscheidender Beitrag für eine ganzheitliche Entwicklung nicht sichtbar.

„Ohne Wahrheit, ohne Vertrauen und Liebe gegenüber dem Wahren gibt es kein Gewissen und keine soziale Verantwortung.“ Diese Überzeugung durchzieht das Rundschreiben „Caritas in Veritate“ und artikuliert sich in den ethischen Reflexionen und Bewertungen der jeweiligen Themen. Die bedrängenden gesellschaftlichen Fragen der Gegenwart sind Ausdruck eines fundamentalen Defizits an Ethik. Die Herausforderung der Krise ist auch eine Chance, dass die Menschen Verantwortung für eine ganzheitliche Entwicklung übernehmen und so ihrer Berufung in der einen Menschheit entsprechen.

* Der Autor ist Mitarbeiter der Katholischen Sozialakademie Österreichs

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