"Solidarität muss globalisiert werden"

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Ende Oktober konnte - nach fünf Jahren Vorbereitungszeit - Kardinal Renato Raffaele Martino, der Präsident des Päpstlichen Rates Iustitia et Pax, das zunächst als "Sozialkatechismus" angekündigte "Kompendium der Soziallehre der Kirche" vorstellen. Mit seinen 525 Seiten der englischen Ausgabe - die deutsche Übersetzung steht noch nicht zur Verfügung - erweist sich das "Kompendium" als Grundlagendokument sozialer Verantwortung.

Während die bisherigen Sozialdokumente immer anlassbezogen waren und sich einzelnen Problemfeldern zugewandt hatten, wird hier erstmals eine Zusammenschau der Soziallehre der katholischen Kirche vorgelegt. Neu ist die theologisch-interdisziplinäre Perspektive, aus der, nach einer Grundlegung der Soziallehre, die Themen Familie, Arbeit, Wirtschaft, Politik, Internationale Fragen, Umwelt und Frieden dargelegt werden.

ein Dokument der Unterscheidung

Soziallehre wird nicht als geschlossenes Lehrsystem verstanden, sondern als ein "Instrument der Unterscheidung" in den aktuellen Fragen der Gesellschaft (Nr. 10). Soziallehre formuliert Grundsätze zur Urteilsbildung und Leitlinien für soziales Engagement im Sinne eines "integralen und solidarischen Humanismus" (Nr. 7). Dabei muss sich die Kirche der Frage nach ihrem gesellschaftlichen Auftrag und dem Zusammenhang zwischen Glauben und Eintreten für Gerechtigkeit stellen.

So sehr Soziallehre durch ihre Geschichte geprägt ist, muss sie offen bleiben für neue gesellschaftliche Entwicklungen und Erkenntnisse. Sie anerkennt den bedeutenden Beitrag der Human- und Sozialwissenschaften, mit denen sie in einem "freundlichen Dialog" stehen will (Nr. 76, 78).

Neue Herausforderungen

Unter den neuen gesellschaftlichen Entwicklungen, die das Sozialkompendium in den Blick nimmt, wird die grundlegende Veränderung der Arbeitsorganisation genannt. Globalisierung schafft neue Produktionsformen und neue Marktstrategien durch die Geschwindigkeit der Kommunikation und die Leichtigkeit der Transportmöglichkeiten (Nr. 310). Dass solche Entwicklungen notwendigerweise ihren Lauf nehmen müssten, ist ein Irrtum. Von Menschen gemacht, müssen sie auch durch menschliche Kreativität und verantwortliches Handeln gestaltet werden, um sie für das Wachstum der menschlichen Person, der Familie, der Gesellschaft und der ganzen Menschheit fruchtbar zu machen (Nr.317).

Vor der neuen Herausforderung einer Verselbstständigung des Marktes wie der internationalen Wirtschafts- und Finanzsysteme ist sowohl die Verantwortung der Staaten, als auch jene der internationalen Gemeinschaft einzufordern. "Solidarität muss globalisiert werden" (Nr. 321). Dies gilt auch für die neuen "Zeichen der Zeit" wie Sorge um die Bewahrung der Umwelt, die Bekämpfung der Armut, Überwindung des Terrorismus, und die Bemühung um Frieden.

Angesichts der raschen technischen und wirtschaftlichen Entwicklung sind Erziehung und kulturelle Bildung von entscheidender Bedeutung. Wenn nämlich Wirtschaft absolut gesetzt und Produktion und Konsum zum einzigen gesellschaftlichen Wert werden, so ist das nicht dem ökonomischen System als solchem anzulasten. Der Grund liegt vielmehr in einem sozio-kulturellen System, das die ethische und religiöse Dimension vernachlässigt (Nr. 375).

Ökumenischer und interreligiöser Dialog

Ein unüberhörbarer Imperativ im Sozialkompendium ist die Aufforderung zum ökumenischen und interreligiösen Dialog, für den sich Papst Johannes Paul II. beharrlich einsetzt. Vor allem die großen Fragen des Friedens und der Menschenrechte bedürfen der gemeinsamen Anstrengungen aller Konfessionen.

Für das Gespräch zwischen den christlichen Kirchen werden dabei die biblischen Zugänge zu den einzelnen Themenkapiteln eine gute Basis bilden können. Diese biblische Grundlegung von sozialethischen Aussagen stellt gleichfalls ein Novum in einem Dokument der Katholischen Soziallehre dar. Damit wird die in den vergangenen 100 Jahren in den päpstlichen Sozialrundschreiben entwickelte Soziallehre rückgebunden an die breite Tradition christlicher Sozialverkündigung, die in der biblischen Botschaft ihren Ursprung hat.

Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang, dass neben Texten der Konzilien und von kirchlichen Schriftstellern auch auf Dokumente des internationalen Rechts - wie die Charta der Vereinten Nationen und die Erklärung der Menschenrechte - Bezug genommen wird.

Sozial-Lehre, Sozial-Praxis

Der Schlussteil des Sozialkompendiums ist der Verbindung von Soziallehre und praktischem Handeln der Kirche gewidmet. Mit den Anliegen einer Inkulturation des Glaubens, einer Sozial-Pastoral, sozialer Bildung und - hier nochmals hervorgehoben - der Förderung des Dialogs im politischen wie im konfessionellen Bereich (Nr. 534- 537), werden erstmals in einem Sozialdokument die sozialen Dimensionen einer umfassend verstandenen Pastoral skizziert .

Die soziale Botschaft ist ein integraler Bestandteil christlicher Verkündigung und christlichen Lebens. Eine spezifische Verantwortung für die Umsetzung der Soziallehre kommt dabei den Laien zu - durch ihren Dienst in Kultur, Wirtschaft und Politik, unter den unterschiedlichen Bedingungen des Verhältnisses von Kirche und Staat.

Zielperspektive - so die Konklusion - ist der Aufbau einer "Zivilisation der Liebe": durch Liebe die Gesellschaft menschlicher, dem Menschen als Person gemäßer zu machen (Nr. 581ff.).

Der umfangreiche Text des Sozialkompendiums - mit einem analytischen Index von 165 Seiten - verlangt nach einer eingehenden Lektüre. So können sich traditionelle Aussagen im Blick auf die Fragen unserer Zeit in neuen Zusammenhängen erschließen und an Tiefe und Aussagekraft gewinnen.

Der Autor ist Mitglied des Jesuitenordens und Direktor der Katholischen Sozialakademie Österreichs.

Seit der Enzyklika "Rerum Novarum", die von Papst Leo XIII. 1891 veröffentlicht wurde, nehmen soziale Themen in der Verkündigung der katholischen Kirche einen wichtigen Platz ein. Bislang ist diese Katholische Soziallehre vor allem in markanten Dokumenten der Päpste des 20. Jahrhunderts präsent. Vor kurzem ist erstmals eine Gesamtschau, ein "Kompendium der Soziallehre", erschienen. alois riedlsperger analysiert das umfangreiche Dokument.

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