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Privatinitiative als Menschenrecht

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Was können schon Unternehmer mit der katholischen Soziallehre anfangen? Dabei lassen sich hochaktuelle Bezüge zur wirtschaftlichen Gegenwart herstellen.

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Was können schon Unternehmer mit der katholischen Soziallehre anfangen? Dabei lassen sich hochaktuelle Bezüge zur wirtschaftlichen Gegenwart herstellen.

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Im Mittelpunkt der katholischen Soziallehre steht die menschliche Person. Die verantwortliche Selbstverwirklichung, getragen von der sittlichen Persönlichkeit, ist die erste Lebensaufgabe des Menschen. Er ist „dabei geleitet von der Selbstliebe mit dem Bestreben, für sich und die Seinigen zu sorgen. Wir sind gewohnt, diese Selbstliebe das Eigeninteresse zu nennen. Die Nächstenliebe fordert, daß aus Eigeninteresse nichts getan wird, was das berechtigte Eigeninteresse anderer beeinträchtigt. Dieses geordnete Eigeninteresse ist ein natürliches Recht des Menschen“ (Johannes Messner).

In Einklang mit diesem geordneten Eigeninteresse steht das Streben des Menschen nach gesellschaftlicher Stellung entsprechend seinen Anlagen und Möglichkeiten unter Verzicht auf Machtausübung von Menschen über Menschen, die die Menschenwürde verletzen könnte.

Ein wesentliches Merkmal, eine Voraussetzung für die Anerkennung dieses gesellschaftlichen Systems ist die Anerkennung der persönlichen Freiheit, die der Mensch zur Selbstverwirklichung braucht. Damit' fsfaucfi“ ^eSä'gt, daß jede die menschliche Person und ihre Freiheit völlig dem Staate unterordnende Stäätsauffas-sung mit dem Christentum unvereinbar wäre.

Das oberste Gesetz der staatlichen Ordnung ist nach der Christlichen Soziallehre das Gemeinwohl. Pius XII. hat das Gemeinwohl folgendermaßen definiert: „Es besteht in jenen äußeren Bedingungen, die für die Gesamtheit der Staatsbürger notwendig sind, zur Entfaltung ihrer Anlagen und Aufgaben, ihres materiellen, kulturellen und religiösen Lebens.“

Das Gemeinwohl ist Hilfe, aber nur Hilfe der Gesellschaft für den einzelnen und die kleineren Gemeinschaften. Der Staat darf sich nicht die Bereiche der Eigenverantwortung des einzelnen und der kleinen Gemeinschaften aneignen. Diese Beschränkung der Staatszugehörigkeit heißt Subsi-diaritätsprinzip.

Das Subsidiaritätsprinzip schützt die Rechte des Einzelmenschen gegenüber staatlichen Ubergriffen, aber auch die Freiheitsrechte der kleineren Gemeinschaften, wie der Familie, der Gemeinde, der Berufsverbände, der Gewerkschaften, der freien Vereine.

Die Kehrseite des Subsidiari-tätsprinzips ist allerdings die Verpflichtung des Staates, dort helfend einzuspringen, wo die Kraft des einzelnen oder der kleineren Gemeinschaft nicht ausreicht.

Das Gemeinwohl hat sich also an der Personalität des Menschen in Freiheit zu orientieren. Was heißt das für die Wirtschaft?

„Der Freiheitsraum des Menschen, aber auch jener der Gesamtgesellschaft kann sich nicht bloß auf einige unverbindliche Rechtsparagraphen stützen. Es braucht auch eine Basis in der materiellen Ordnung“ (Johannes Schasching). Diese Grundlage ist für die Soziallehre die Privateigentumsordnung.

Schon „Rerum novarum“ spricht vom „unverrückbaren und dauernden Eigentum“; dies gilt „nicht nur von den Dingen des unmittelbaren Verbrauches, sondern auch von den dauerhaften Gebrauchsgütern“. Es sind also nicht nur die Konsumgüter, sondern auch die Produktionsmittel, denen gegenüber der Mensch das Privateigentumsrecht ausüben kann und darf.

Messner meint dazu: „Das Privateigentum ist die Erstreckung der menschlichen Person in die materielle Welt bei der Erfüllung ihrer Lebensaufgaben, die in exi-stenziellen Zwecken begründet sind. Die naturrechtliche Forderung nach dem Privateigentum ergibt sich auch aus der Natur und dem Zweck der Gesellschaft, unter anderem aus der durch das Privateigentum gewahrten Sicherung der sozialen Freiheit der menschlichen Person; dabei ist vor allem an die materielle Abhängigkeit vom Staat zu denken, die in einer Gemeineigentumsordnung auftreten würde.“

Gerade die Anerkennung des Privateigentums bedingt auch das Recht der Verwendung dieses Eigentums zu Erwerbszwecken, also das Recht auf Privatinitiative.

„Wir können das Recht auf Privatinitiative mit doppeltem Grund als ein Menschenrecht bezeichnen: einmal folgt es unmittelbar aus dem Menschenrecht auf Eigentum, zum anderen bedeutet es den Anspruch auf die Entfaltung der Persönlichkeit“, meint Georg Bernhard Kripp.

Johannes XXIII. wird in seiner Enzyklika „Mater et magistra“ dazu deutlich. Er fordert: „Im Bereich der Wirtschaft kommt der Vorrang der Privatinitiative den einzelnen zu, die entweder für sich allein oder in vielfältiger Verbundenheit mit anderen zur Verfolgung gemeinsamer Interessen tätig werden.“

Und noch präziser: „Nach dem Subsidiaritätsprinzip sollte die öffentliche Hand die Privatinitiative in der Weise fördern und unterstützen, daß sie die von ihr selbst in die Wege geleiteten Unternehmungen sobald wie möglich privaten Händen zur Weiterführung überläßt.“

Durchaus beachtenswert scheint mir in diesem Zusammenhang eine Interpretation dazu, die Georg Bernhard Kripp in seinem Buch „Wirtschaftsfreiheit und katholische Soziallehre“ gibt: „Aus den eindeutigen Hinweisen, die .Mater et magistra' hinsichtlich des Verhältnisses der staatlichen Eingriffe zur Privatinitiative enthält, folgt die schwere

Pflicht für die Organe des Staates, nicht nur die unmittelbaren Folgen ihrer Maßnahmen, sondern auch deren psychologische Fernwirkungen zu bedenken. Beispiele zeigen, daß eine politisch motivierte — also in sich schon unbe-

Pflicht zur Gerechtigkeit rechtigte — Verstaatlichungsaktion den Anstoß zu einer Vertrauenskrise in der Wirtschaft geben kann, deren schädliche Auswirkungen in breitesten Kreisen lange Zeit hindurch spürbar sind. Die Frage nach solchen Fernwirkungen wird auch dort zu stellen sein, wo eine Verstaatlichung, für sich betrachtet, als gerechtfertigt erscheinen mag.

Im Zusammenhang mit Privatinitiative, Wettbewerb und Subsi-diaritätsverpflichtung des Staates ist jedoch eine Einschränkung zu erwähnen, die die Soziallehre hier dem wirtschaftlichen Geschehen auferlegt. Pius XI. umschreibt diese Einschränkungen in „Quadragesimo anno“ bereits mit der Verpflichtung zur „sozialen Gerechtigkeit und sozialen Liebe“.

Wenngleich einerseits der Wettbewerb als das einzig mögliche Mittel anerkannt wird, um diese soziale Gerechtigkeit der Wirtschaft zu realisieren, so muß doch gesehen werden, daß dieses fundamentale Ordnungsprinzip der Sozialwirtschaft selbst eines ordnenden Prinzips bedarf; es ist das, was Messner den „geordneten Wettbewerb“ nennt. Die soziale Gerechtigkeit soll also den

Wettbewerb nicht ersetzen, dieser ist vielmehr das Instrument zur Verwirklichung des sozial-ethischen Prinzips der Gerechtigkeit.

Wo liegen dann die vordringlichsten Aufgaben des Staates?

Er hat zunächst im Dienste des Gemeinwohls für die notwendigen rechtlichen Voraussetzungen im Bereich des Eigentumsrechtes und des Wirtschaftsrechts zu sorgen. Er hat beispielsweise auch Einrichtungen zu schaffen, wie etwa das Geldwesen und das Verkehrswesen.

Er hat Fragen der Zuordnung, der Förderung und Überwachung der wirtschaftlichen Tätigkeiten der verschiedensten Leistungsgruppen und ihres Anspruches auf ihren Anteil an dem von der Allgemeinheit erzielten Wirt-sehaftsertrag zu sorgen.

„Gemäß dem Gemeinwohlge-: setz besteht somit die Aufgabe des Staates in der: Ordnung, nichtin der Organisation der Wirtschaft, in der Förderung der Eigentätigkeit und des Eigentumserwerbs aller Gesellschaftsmitglieder, nicht in eigener Wirtschaftstätigkeit mit Wirtschaftseigentum, abgesehen von Ausnahmefällen, die dann durch die Gemeinwohlordnung ... oder durch die Subsidiaritätsordnung... begründet sein müssen“ (Johannes Messner).

Der Autor ist Geschäftsführer der Industriellenvereinigung, Landesgruppe Tirol, und Abgeordneter zum Tiroler Landtag.

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