6889587-1979_41_03.jpg
Digital In Arbeit

Die Menschenrechte als Maß der Politik

19451960198020002020

Höhepunkt der Amerika- Reise des Papstes war die Rede vör der Generalversammlung der Vereinten Nationen. Vor rund 2000 Vertretern sämtlicher souveräner Staaten der Erde griff Johannes Paul II. den Friedensappell seines Vorgängers Paul VI. auf. Eingangs erinnerte der Papst an die langjährige Mitarbeit des Heiligen Stuhls im Forum der Vereinten Nationen, auch wenn es Wesen und Ziel der besonderen geistlichen Mission der Kirche mit sich brächten, daß sich ihre Teilnahme an den Aktivitäten der UN von der anderer Staaten tief unterscheide. Die Einladung an ihn beweise, daß die Organisation der Vereinten Nationen die religiös-moralische Dimension der menschlichen Probleme anerkenne und respektiere, um die sich die Kirche mit Hilfe ihrer Botschaft der Liebe kümmert. Aus den weiteren Ausführungen des Papstes zitieren wir im Auszug:

19451960198020002020

Höhepunkt der Amerika- Reise des Papstes war die Rede vör der Generalversammlung der Vereinten Nationen. Vor rund 2000 Vertretern sämtlicher souveräner Staaten der Erde griff Johannes Paul II. den Friedensappell seines Vorgängers Paul VI. auf. Eingangs erinnerte der Papst an die langjährige Mitarbeit des Heiligen Stuhls im Forum der Vereinten Nationen, auch wenn es Wesen und Ziel der besonderen geistlichen Mission der Kirche mit sich brächten, daß sich ihre Teilnahme an den Aktivitäten der UN von der anderer Staaten tief unterscheide. Die Einladung an ihn beweise, daß die Organisation der Vereinten Nationen die religiös-moralische Dimension der menschlichen Probleme anerkenne und respektiere, um die sich die Kirche mit Hilfe ihrer Botschaft der Liebe kümmert. Aus den weiteren Ausführungen des Papstes zitieren wir im Auszug:

Werbung
Werbung
Werbung

Sie alle sind die Vertreter der Menschen, praktisch aller Menschen dieser Erde. Konkrete Menschen, Gemeinschaften und Völker, die die gegenwärtige Phase ihrer Geschichte durchleben und zugleich in die Geschichte der ganzen Menschheit verwoben sind, mit ihrer Individualität und der Würde der menschlichen Person, mit einer eigenen Kultur, mit persönlichen Erfahrungen und Sehnsüchten, Spannungen und Leiden.

Von hier aus begründet sich jegliche politische Aktivität auf, nationaler oder internationaler Ebene: letztlich kommt sie „vom Menschen her”, wird sie „durch den Menschen” ausgeübt, geschieht sie „für den Menschen”. Wenn jene Aktivität sich von dieser grundlegenden Beziehung und Sinnrichtung entfernt…, verliert sie dadurch einen großen Teil ihrer Existenzberechtigung…

(Die allgemeine Erklärung der Menschenrechte) ist ein Meilenstein auf dem langen und schwierigen Weg der Menschheit Wir dürfen den menschlichen Fortschritt nicht nur am Fortschritt der Wissenschaft und der Technik messen ..sondern gleichzeitig und mehr noch am Primat der geistigen Werte und am Fortschritt des moralischen Lebens.

Die Regierungen und Staaten der Welt haben begriffen, daß sie sich zusammenschließen müssen, wenn sie sich nicht gegenseitig angreifen und zerstören wollen. Der wahre Weg zu dieser Einheit… führt an jedem einzelnen Menschen vorbei: durch die Festlegung, die Anerkennung und Achtung der unveräußerlichen Rechte der Personen und Völkergemeinschaften.

Während ich bereit bin, jeden Schritt oder konkreten Versuch zur Beilegung des Nahostkonfliktes zu würdigen, möchte ich doch daran erinnern, daß solche Schritte wertlos bleiben, wenn sie nicht wirklich Grundstein für eine allgemeine und umfassende Friedenslösung in der Region darstellen, für einen Frieden, der sich unbedingt auf die gleiche Anerkennung der Rechte aller gründen und dabei notwendigerweise die Beachtung und gerechte Lösung des Problems der Palästinenser einschließen muß … Ich wünschte mir auch ein besonderes Statut, das unter internationalen Garantien den Respekt vor der einzigartigen Natur Jerusalems sichern soll.

Ebenso beunruhigen uns die Informationen über die Entwicklung der Rüstungen, die alles übersteigen, was bisher an Mitteln und Auswirkungen von Kampf und Zerstörung bekannt war … Auch der Widerstand gegenüber konkreten praktischen Vorschlägen einer wirklichen Abrüstung … beweist, daß es zusammen mit dem Friedenswillen, den alle erklären und die meisten wünschen, zugleich … auch dessen Gegenteil und sogar seine Verneinung gibt.

Die fortwährenden Vorbereitungen zum Krieg, auf die die Produktion von immer zahlreicheren stärkeren und komplizierteren Waffen in verschiedenen Ländern hindeutet, zeigen, daß man zum Krieg bereit sein soll, und bereit sein bedeutet, in der Lage zu sein, ihn auch zu provozieren. Bedeutet auch, das Risiko auf sich zu nehmen, daß in irgendeinem Augenblick irgendwo jemand den fürchterlichen Mechanismus einer allgemeinen Zerstörung in Bewegung setzen könnte.

Darum ist eine ständige und noch energischere Anstrengung notwendig, schon die Möglichkeiten, einen Krieg zu provozieren, zu beseitigen. Dabei geht es darum, auf Haltungen und Überzeugungen, Absichten und Interessen der Regierungen und Völker einzuwirken. Diese Aufgabe betrifft jede Gesellschaft, jedes Regime, jede Regierung.

Die Kriegslust in ihrer ursprünglichen, grundlegenden Bedeutung keimt und reift dort, wo die unveräußerlichen Menschenrechte verletzt werden. Das ist eine neue Sicht der Sache des Friedens … die das Entstehen des Krieges und auch seine Substanz in allen möglichen Formen der Ungerechtigkeit erblickt. Diese greift ja zunächst die Menschenrechte an. Hierdurch zerreißt sie die organische Einheit der sozialen Ordnung und’ erschüttert schließlich das gesamte System der internationalen Beziehungen.

Jede Analyse muß von den gleichen Prämissen ausgehen: daß jedes menschliche Wesen eine Würde be sitzt, die niemals, wenn auch die Person jeweils in einem konkreten sozialen und geschichtlichen Kontext lebt, herabgesetzt, verletzt oder zerstört werden darf, sondern die im Gegenteil geachtet und geschützt werden muß, falls man wirklich Frieden aufbauen will. *

Die allgemeine Deklaration der Menschenrechte und die juridischen Hilfen auf internationaler wie nationaler Ebene versuchen … ein allgemeines Bewußtsein für die Würde des Menschen zu wecken und wenigstens einige der unveräußerlichen Rechte des Menschen zu definieren:

• Das Recht auf Leben und Freiheit und auf die Sicherheit der Person,

• das Recht auf Nahrung, Kleidung und Wohnung, auf Gesundheit, Erholung und Freizeit,

• das Recht auf freie Meinungsäußerung, auf Erziehung und Kultur,

• das Recht auf Freiheit der Gedanken, des Gewissens und der Religion sowie das Recht, seine Religion privat und in der Öffentlichkeit, für sich allein und in Gemeinschaft, zu bekennen,

• das Recht, seinen Lebensstand zu wählen, eine Familie zu gründen und alle notwendigen Voraussetzungen dafür zu haben,

• das Recht auf Eigentum und auf Arbeit, auf angemessene Arbeitsbedingungen und einen gerechten Lohn,

• das Recht ctuf Versammlung und Zusammenschluß,

• das Recht auf Bewegungsfreiheit und freien Ortswechsel im Innern und nach außen,

• das Recht auf die Staatsbürgerschaft und auf den Wohnsitz,

• das Recht auf politische Mitbestimmung und das Recht auf Teilnahme an der freien Wahl des politischen Systems des eigenen Volkes.

Das Gesamt der Menschenrechte entspricht der Substanz der Menschenwürde in ihrem umfassenden Verständnis und nicht in einer Beschränkung auf nur eine einzige Dimension. Sie beziehen sich auf die Befriedung der wesentlichen Bedürfnisse der Menschen, auf die Ausübung seiner Freiheit, auf seine Beziehung zu anderen Personen. Aber immer und überall sind sie auf den Menschen bezogen, auf seine volle Wirklichkeit als menschliches Wesen.

Die erste Art einer systematischen Bedrohung der Menschenrechte hängt mit der Verteilung der materiellen Güter zusammen, die in den einzelnen Gesellschaften wie auch auf weltweiter Ebene oft ungerecht ist..

Wir müssen uns deshalb bewußt werden, daß die ökonomischen Spannungen, die in den einzelnen Ländern oder zwischen den Staaten oder ganzen Kontinenten bestehen, in sich wesentliche Elemente enthalten, die die Menschenrechte einschränken oder verletzen, so die Ausbeutung der Arbeit unfLvielfälti- ger Mißbrauch der Menschenwürde.

Daraus folgt, daß das grundlegende Kriterium für einen Vergleich zwischen den sozialen, ökonomischen und politischen Systemen nicht das der beherrschenden Macht sein darf, sondern das des menschlichen Wertes sein muß, das Maß, in dem jedes von ihnen wirklich imstande ist, die verschiedenen Formen einer Ausbeutung des Menschen möglichst zu verringern und zu beseitigen und dem Menschen durch seine Arbeit nicht nur die gerechte Verteilung der unerläßlichen materiellen Güter zu sichern, sondern auch eine seiner Würde entsprechenden Teilnahme am ganzen Produktionsprozeß und am gesellschaftlichen Leben selbst. Wir dürfen nicht vergessen, daß der Mensch, wie sehr er auch zum Überleben von den Vorräten der materiellen Welt abhängt, doch nicht ihr Sklave sein darf.

Als Unruheherde bestehen oft weiterhin die schrecklichen Ungleichheiten zwischen Menschen und Gruppen in übertriebenem Reichtum auf der einen Seite und der zahlenmäßigen Mehrheit der Armen und Verelendeten auf der ändern Seite, die ohne Nahrung, Arbeitsplatz und Schule in großer Zahl zu Hunger und Krankheit verurteilt sind.

Eine gewisse Besorgnis ruft aber auch hervor, daß manchmal die Arbeit radikal vom Eigentum getrennt ist und der Mensch seiner Arbeitsstätte gleichgültig gegenübersteht, weil ihn nur ein Arbeitsvertrag mit ihr verbindet, ohne die Überzeugung, zugunsten eines eigenen Wertes oder für sich selbst tätig zu sein.

Es ist bekannt, daß der Graben zwischen der übertrieben reichen Minderheit und der großen Menge der Armen ein schweres Krankheitssymptom im Leben jeder Gesellschaft darstellt. Das gleiche muß man von dem Graben sagen, der einzelne Länder und Regionen der Erde trennt. Gibt es einen anderen Weg, diese schwere Ungleichheit zu überwinden, als durch eine planvolle Zusammenarbeit aller Nationen?

Hierzu ist vor allem eine Einheit nötig, die sich an echter Friedensbereitschaft inspiriert. Alles aber wird abhängen davon, ob diese Unterschiede und Kontraste im Bereich des Besitzens von Gütern systematisch und mit wirklich durchgreifenden Mitteln verringert werden, ob von der ökonomischen Weltkarte die Zonen des Hungers, der Unterernährung, der Verelendung, der Unterentwicklung, der Krankheit und des Analphabetismus verschwinden werden. Und ob die friedliche Zusammenarbeit nicht neue Bedingungen der Ausbeutung, der ökonomischen und politischen Abhängigkeit bringen wird, die nur eine neue Form des Kolonialismus wären.

Man kann den Menschen aber auch in seiner inneren Beziehung zur Wahrheit verletzen, in seinem Gewissen, in seinen persönlichsten Überzeugungen, in seiner Weltanschauung, in seinem religiösen Glauben wie auch im Bereich der bürgerlichen Freiheiten, für die die Gleichheit der Rechte entscheidend ist ohne Diskriminierung auf Grund von Abstammung, Rasse, Geschlecht, Nationalität, Konfession, politischer Überzeugung.

Gleichheit der Rechte meint den Ausschluß der verschiedenen Formen der Privilegierung der einen und Diskriminierung der ändern, seien es Personen, die derselben Nation ęntstammen, seien es Menschen verschiedener Geschichte, Nationalität, Rasse oder Überzeugung.

Zusammen mit der Annahme von rechtlichen Formeln, die im Prinzip die Freiheiten des menschlichen Geistes, wie die Gedankenfreiheit, das freie Wort, die Religionsfreiheit und Gewissensfreiheit garantieren, existiert oft eine Struktur des gesellschaftlichen Lebens, in der die Ausübung dieser Freiheiten den Menschen dazu verurteilt, ein Bürger zweiter Klasse zu werden, die eigenen Möglichkeiten eines gesellschaftlichen Aufstiegs, des beruflichen Weiterkommens oder des Zugangs zu leitenden Stellen beeinträchtigt zu sehen, ja die Möglichkeit zur freien Erziehung der eigenen Kinder zu verlieren.

Die UNO hat 1979 zum Jahr des Kindes erklärt… Die Sorge für das Kind noch vor seiner Geburt, vom ersten Augenblick seiner Empfängnis an, in den Jahren der Kindheit und der Jugendzeit ist die erste und grundlegehde Probe für das Verhalten des Menschen zum Menschen.

Mögen die staatlichen Autoritäten die wahren Rechte eines jeden Bürgers respektieren und sich dadurch um des Gemeinwohls willen des Vertrauens aller erfreuen. Mögen alle Nationen, auch die kleinsten und jene, die noch keine volle Souveränität besitzen oder denen sie gewaltsam genommen wurde, sich in voller Gleichheit zusammen mit den ändern in der UNO einfinden können. Möge die UNO immer das oberste Forum für den Frieden und die Gerechtigkeit bleiben, der maßgebende Ort für die Freiheit der Völker und der Menschen in ihrer Sehnsucht nach einer besseren Zukunft.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung