6548794-1947_30_07.jpg
Digital In Arbeit

Von der Freiheit des Menschen

Werbung
Werbung
Werbung

Die alte Freiheitslehre ist kein leerer Wahn, keine bloße Mode der Aufklärungszeit oder ein Requisit der Schrek-kensherrschaft der Französisdien Revolution, wie eine jüngste Vergangenheit uns wahrmachen wollte. Sic ist vielmehr ein oftmals geraubtes und immer wieder gewonnenes Gut, das für alle Menschen in der Heiligen Schrift verbrieft ist, welche die persönliche Freiheit fordert und die, freie Persönlichkeit will. Verkündet doch das Evangelium allen Menschen die Lehre von Menschenwert und Menschenwürde, die Gotteskindsdiaft jedes einzelnen, den Ausgleich von hoch und nieder, arm und reich.

Es ist darum näheliegend, daß die Menschen immer dann, wenn sie sich in ihrer Freiheit besonders bedroht fühlten, von neuem zur Botschaft des Neuen Testaments ihre Z'- fludit nahmen, welches für alle Zeiten die vollkommenste Verkündigung der freien Persönlichkeit darstellt.

Dies gilt vor allem für die Zeit der R e-formation, die — trotz aller offensichtlichen Unterschiede — insbesondere im Hinblick auf das Ringen um die Gestaltung einer wahren Freiheit unserer Gegenwart in h:hem Maße ähnlich ist. Den Gedanken menschlicher Freiheit und Selbstherrschaft, wie sie sich in der modernen Demokratie verkörpern, gab jenes Zeitalter den Grundton. Damals wie heute war ein großer Teil der Bevölkerung in seinem gewohnten Dasein von umstürzenden Veränderungen der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Ordnung bedroht. Denn der Zusammenbruch des mittelalterlichen Systems der feudalen Gesellschaft hatte zwar dem einzelnen Individuum die Befreiung von lästigen Schranken gebracht, sie beraubte aber zugleich auch den Menschen der schützenden Sicherungen, deren er sich bisher erfreut hatte. Er war nun von der Welt losgerissen, die sein Verlangen nach wirtschaftlicher und geistiger Sicherheit befriedigt hatte. Von der nunmehr fnei-stehenden Möglichkeit zum unabhängigen Handeln und Denken konnten allerdings nur die erfolgreichen Oberschichten der Gesellschaft Gebrauch machen. Diese profitierten vom aufsteigenden Kapitalismus in einem Maße, das ihnen wirklich Reichtum und Macht gab. Ihre Mitglieder konnten sich ausbreiten, herrschen, erobern und Vermögen zusammenraffen. Die neue Geldaristokratie konnte im Bunde mit dem alten Adel sich der Frucht der neuen Freiheit erfreuen und ein neues Gefühl der Lebensmeisterung und persönlichen Initiative gewinnen.

Dagegen konnten die niederen Klassen aus der neuen Freiheit nicht in gleicher Weise Macht und Sicherheit ziehen. Sie brachte ihnen nicht Stärke und Selbstvertrauen, sondern Isolierung und Erniedrigung und die wachsende wirtschaftliche und persönliche Unterdrückung seitens der herrschenden Klasse, deren luxuriöse Lebensweise sie mit zunehmendem Grolle erfüllte. Von einem neuen Verlangen nach Freiheit getrieben, von einer glühenden Hoffnung nach einer Verbesserung ihrer wirtschaftlichen Lage beseelt, gerieten sie in den Bann jener Bewegungen, die vor allem durch die Wiedererweckung urchristlichen Gedankengutes eine gewaltige Wirkung hervorriefen. Dies gilt auch für das Wirken Luthers und namentlich für die Schrift „Von der Freiheit eines Christenmensche n“, die man als die „Entdeckung des Menschenherzens“ bezeichnet hat. Der Wert der 'utherisdien Freiheitslehre für die gesamte Christenheit liegt „in der Stärke des Lebensbewußtseins, in der religiösen Glut, mit der hier zum erstenmal seit Paulus die christliche Freiheit als Frohe Botschaft erlebt und verkündet wurde *“.

Auch unsere Zeit ist eine Reformationszeit großen Stil. Auch sie ist von dem Sehnen erfüllt, die

Grundwahrheiten des Evangeliums zu neuer Lebendigkeit werden zu lassen. Haben doch die bitteren s Erfahrungen der lerzten Jahre weiteste Kreise davon überzeugt, daß nur die wahre christliche Lehre die Erlösung des einzelnen von aller Einsamkeit in der Welt zu bringen vermag und zugleich “die Erlösung der Menschen von der Bestie im Menschen selbst. „Recht geht vor Macht, darin liegt die unverlierbar große Umwertung durch das Evangelium, dieser Metaphysik der Menschenrechte, an denen, gleich der alten Willkür ungerediter Herrscher, auch die phrasenreiche neue Ideologie der Machtgier zuschanden wird.“

Der diese Worte schrieb, war ein Österreicher: Dr. Herbert von Stourzh (1889—1941). Er hinterließ uns unter dem Pseudonym Karl Sturzenegger ein Buch „H umanität und Staatside e“, das 19#8 in der Schweiz (Vita-Nova-Verlag, Luzern) ersdiienen und seit Kriegsende erst in wenigen Exemplaren nach Österreich gelangt ist. Da, noch aus dem Bestreben der Abwehr nationalsozialistischer Gefahr geschriebene Werk enthält zwar manches Zeitbedingte, doch überwiegt das Zeitlose oder zumindest das Säkulare, das auch seit 1938 nicht an Aktualität verloren hat.

Ein Wort Goethes an Eckerman bildet den Auftakt: „Mag die geistige Kultur nur immer fortschreiten, mögen die Natur-wissensdiaften in immer breiterer Ausdehnung und Tiefe wadisen und der menschliche Geist- sich erweitern wie er will, über die Hoheit und sittliche Kultur des Christentums, wie es in den Evangelien schimmert und leuchtet, wird er nicht hinauskommen!“

Von diesem Worte ausgehend, kritisiert der Verfasser die modernen Staatslehren und Staatsprobleme aus der Sicht der Lebenswahrheiten des Evangeliums, „wobei sich von dem erhabenen Gedanken der Gotteskindschaft aller aus zeigt, daß es weder proletarische noch bürgerliche Gewaltherrschaft geben darf, weder rote noch weiße Staatssklaverei, weder eine rote noch eine braune, weiße oder schwarze Sozialisierung der Seele; daß die allgemeinste Frage der Politik nur die Frage nach der gerechtesten Politik sein kann und der tiefste politische Gegensatz nur derjenige der Unfreiheit und der Freiheit sein wird.“ „Das Evangelium“, setzt der Autor auseinander, ..begründet keine Führergewalt oder Herrscherrechte, sondern die Menschenrechte: kein Herrenrecht, sondern das Bruderrech t.“

„Der Wille zur Macht ilt Wille zur Ohnmacht der anderen. Die ethische Reaktion hat es verstanden, das sittliche Bewußtsein vieler ^genannter Ge. bildeter zu trüben, eine demoralisierende Theorie des Faustrechtes auszubilden und Inhumanität gesellschaftsfähig zu machen. Eine diabolische Ästhetik der Gewalt hat es dahin gebracht, daß selbst gutmütigere Halbgebildete unserer Tage voller Undank die Begriffe der Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit ichmähen, ohne ru merken, daß sie den Ast absägen, auf dem sie sitzen.“

„Ungerecht ist alles, was diesem menschenbrüderlichen Denken, Fühlen und Wollen widerspricht, willkürlich die Freiheit aufhebt oder einschränkt. Wenn man erwägt, daß es ungerechte Gesetze gibt, und bedenkt, daß die Politik vielfach geradezu als ein Streben nach Abschaffung ungerechter, für ungerecht gehaltener und als ungerecht bezeichneter Gesetze erklärt werden kann, so begreift man, daß noch ein höheres Recht vorhanden ist als irgendein Summum jus, das, zeitlich und örtlich bedingt, sooft eine Suimma injuria darstellt. Dieses höhere Recht, vor dessen Gerechtigkeitsbegriffen so häufig das Recht der bloßen Rechtskunde nidit bestehen kann, ist eben das natürliche Recht, das Natur-recht, vor dem jedes besondere Recht ich zu bewähren hat und von. dem es erst seine Rechtfertigung erhält.“

„Das jeweilige raumgebundene Recht mit allen seinen gebietenden und verbietenden Gesetzen und Anordnungen geht teils unmittelbar, teils mittelbar auf das natürlich Recht zurück, ruht auf dem Urgrund dej von Natur aus Guten, soweit eben jenes konkrete Recbt — gerecht ist. An dem naturbedingt Guten findet alles gesetzte Recht das Maß einer Gerechtigkeit oder — Ungerechtigkeit So wird es denn möglich, von der Warte des natüi chen Rechtes aus di Vorgänge, Begebenheiten und Zustände erkennend zu beurteilen. Es kann geklärt und erklärt werden, was der humanitäre Kulturkreij einschließt und was er ausschließt. Gegenüber aller Politik der Brutalität im Nationalen und Sozialen begründet sich die Politik der Humanität, unangreifbar als Logik, Psychologie und Ethik, unabhängig von Grenzen, Klassen und Fronten.“

„Das Reich Gottes auf Erden zu fördern, darin besteht die Weltbürgerpflicht derer, die ihres Weltbürgerrechtes bewußt geworden sind. Es gilt,' unablässig und unerschütterlich das menschenbrüderliche Denken, Fühlen und Wollen zu wecken und zu stärken, hingegen jedem Mißbrauch des Geistigen und so auch des Staates zum Werkzeug des Bösen zu widerprechen und zu widerstehen. Immer wird auf die Angleichung des täglichen Rechtes an das ewige und natürliche hinzuwirken sein, in der Richtung zu einer Zeit hin, wo es keine Weltgeschichte, sondern nur mehr eine Kulturgeschichte geben kann.“

Diese Zitate vermögen nur einen schwachen Widerschein jener tiefen Weisheit Mi vermitteln, welche in dem bedeutsamen Buch des leider zu früh verstorbenen Autors enthalten ist. Bei gleichzeitiger meisterhafter Kritik der modernen Gesellschaftsprobleme verkündet es in edler Sprache die ewige Wahrheit der christlichen Freiheitslehre, die überall und zu jeder Zeit von allen Menschen verstanden wird, die guten Willens sind.

Das Buch spricht eine Spradie, die man in der ganzen Welt versteht. Sie aller Welt auch zu künden, wird unsere Aufgabe sein, die wir das Werk dieses österreichischen Denkers nicht nur als teures Vermächtnis zu bewahren, sondern auch lebendig weiterzugeben haben an die Zukünftigen.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung