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Der Mensch darf nicht Sklave sein

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„Der Mensch darf nicht Sklave der Dinge, Sklave der Wirtschaftssysteme, Sklave der Produktion, Sklave der Produkte werden“. Das ist eine der zentralen Aussagen der am 15. März im Vatikan veröffentlichten ersten Enzyklika Papst Johannes Pauls II., die der Würde und den Rechten der menschlichen Person gewidmet ist. In dem mehr als 100 Seiten starken Dokument mit dem Titel „Redemptor Hominis“ („Erlöser des Menschen“), ruft der Papst die Christen und alle Menschen zu einer Gewissenserforschung auf, ob die derzeitige Entwicklung der Welt tatsächlich zum Wohl der Menschen beitrage und ob sie das Leben auf dieser Erde wirklich menschlicher und menschenwürdiger mache. Maßstab der Beurteilung sei „der Vorrang der Ethik vor der Technik, der Primat der Person über die Dinge, die Überordnung des Geistes über die Materie“.

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„Der Mensch darf nicht Sklave der Dinge, Sklave der Wirtschaftssysteme, Sklave der Produktion, Sklave der Produkte werden“. Das ist eine der zentralen Aussagen der am 15. März im Vatikan veröffentlichten ersten Enzyklika Papst Johannes Pauls II., die der Würde und den Rechten der menschlichen Person gewidmet ist. In dem mehr als 100 Seiten starken Dokument mit dem Titel „Redemptor Hominis“ („Erlöser des Menschen“), ruft der Papst die Christen und alle Menschen zu einer Gewissenserforschung auf, ob die derzeitige Entwicklung der Welt tatsächlich zum Wohl der Menschen beitrage und ob sie das Leben auf dieser Erde wirklich menschlicher und menschenwürdiger mache. Maßstab der Beurteilung sei „der Vorrang der Ethik vor der Technik, der Primat der Person über die Dinge, die Überordnung des Geistes über die Materie“.

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Es sei das „Drama der heutigen menschlichen Existenz“, daß der Mensch immer mehr in Angst lebe, daß sich sein eigenes Werk „in radikaler Weise gegen ihn selbst kehren könnte“, heißt es in der Enzyklika. Er fürchte, daß seine Produkte „Mittel und Instrument einer unvorstellbaren Selbstzerstörung“ werden könnten, „vor der alle Katastrophen der Geschichte zu verblassen scheinen“.

Die „Entwicklung im sittlichen Leben und in der Ethik“, die der zivilisatorische Fortschritt erfordern würde, scheint „leider immer zurückzubleiben“. Es seien gewiß bedeutende Errungenschaften erzielt worden, doch „stimmen alle diese Errungenschaften ... mit dem moralischen und geistigen Fortschritt der Menschen überein?“

Und weiter wörtlich: „Macht der Mensch wirklich Fortschritte oder fallt er zurück? Überwiegt in der Welt das Gute vor dem Bösen? Wachsen in den Menschen und untereinander die Nächstenliebe, die Achtung vor den Rechten des anderen, oder nehmen vielmehr der Egoismus und die übertriebenen Nationalismen an Stelle einer echten Vaterlandsliebe zu, sowie das Streben, andere über die legitimen Rechte hinaus zu beherrschen, wie auch die Tendenz, allen materiellen und wirtschaftlichen Fortschritt allein zu dem Zweck auszunützen, um die Vorherrschaft über andere zu besitzen?“

Eine Zivilisation von rein materialistischem Charakter verurteile den Menschen, Sklave der Dinge zu sein, „wenn dies auch mitunter zweifellos gegen die Absichten und Programme ihrer maßgeblichen Führer geschieht“.

Während ein Teil der Menschheit im Uberfluß lebe, leide ein anderer Hunger und Not: „Der Umfang des Problems führt uns zur Prüfung der Strukturen und Mechanismen im Bereich der Finanzen und des Geldwertes, der Produktion und des Handels, die mit Hilfe von verschiedenen Druckmitteln die Weltwirtschaft beherrschen. Sie zeigen sich unfähig, die aus der Vergangenheit überkommenen Ungerechtigkeiten aufzufangen oder den Herausforderungen und ethischen Ansprüchen der Gegenwart standzuhalten“.

Die „dramatische Lage“, daß sich die „Zonen des Elends mit ihrer Last

„Die Strukturen der Weltwirtschaft zeigen sich unfähig, Ungerechtigkeiten aufzufangen oder den ethischen Ansprüchen zu genügen.“

An Angst, Enttäuschung und Bitterkeit unaufhörlich weiter ausdehnen“, dürfe uns nicht gleichgültig lassen: „Derjenige, der höchsten Gewinn daraus zieht, und derjenige, der davon Unrecht und Schaden leidet, ist in jedem Fall der Mensch“.

Das Fieber der Inflation und die Plage der Arbeitslosigkeit seien „weitere Symptome dieser schweren moralischen Unordnung auf Weltebene, die darum kühne und schöpferische Entscheidungen nötig macht, wie sie die Würde der menschlichen Person fordert“.

Die Verwirklichung dieser Aufgabe sei „nicht unmöglich“, stellt der Papst fest. Grundsatz, von dem man sich dabei leiten lassen müsse, sei das „Prinzip der Solidarität“. Dieses müsse die „wirksame Suche nach Institutionen und Mechanismen bestimmen“, sowohl im Bereich des Welthandels wie auch „im Bereich einer umfassenden und unmittelbaren Umverteilung der Reichtümer und ihrer Kontrolle“.

„Man wird auf diesem schwierigen Weg der unbedingt notwendigen Veränderung der Strukturen des Wirtschaftslebens nur dann Fortschritte machen, wenn eine wahre Umkehr des Geistes, des Willens und des Herzens stattfindet. Die Aufgabe erfordert den entschlossenen Einsatz der Menschen und Völker in Freiheit und Solidarität“.

Das notwendige wirtschaftliche Wachstum müsse „in die Perspektive einer ganzheitlichen und solidarischen Entwicklung der einzelnen Menschen und Völker einbezogen werden, sonst wird der Teilbereich wirtschaftliches Wachstum so übermächtig, daß er den gesamten Bereich des menschlichen Lebens seinen partiellen Erfordernissen unterordnet, dabei den Menschen erstickt, die Gesellschaft zerstört und schließlich in den eigenen Spannungen und Exzessen steckenbleibt“.

Für die „ungeheure Aufgabe“, die notwendigen Änderungen herbeizuführen, liege die Verantwortung einzig und allein beim Menschen selbst. Das Wort Christi müsse stets der

Maßstab für die menschlichen Handlungen sein: „Ich war hungrig, und ihr habt mir nichts zu essen gegeben; ich war nackt, und ihr habt mich nicht bekleidet“.

Diese Worte Christi enthielten „eine noch eindringlichere Mahnung, wenn wir daran denken, daß an Stelle von Brot und kultureller Hilfe den neuen Staaten, die zur Unabhängigkeit erwachen, Waffen und Zerstörungsmittel angeboten werden, die bewaffneten Auseinandersetzungen dienen sollen“, nicht etwa zur Verteidigung legitimer Rechte, sondern aus Chauvinismus und Neokolonalis-mus. „Wir alle wissen, daß die Gebiete, in denen Elend und Hunger herrschen, in kurzer Zeit hätten fruchtbar gemacht werden können, wenn die ungeheuren Geldsummen anstatt für Waffen zur Nahrungsmittelproduktion eingesetzt Worden wären“.

Johannes Paul II. würdigt die „großartigen Anstrengungen“ der Vereinten Nationen um die Menschenrechte, wobei sich die Mitgliedsstaaten verpflichteten, diese genau zu beachten. Daß diese Verpflichtung nahezu von allen Staaten übernommen und ratifiziert worden sei, „sollte eine Garantie dafür sein, daß die Menschenrechte in der gan-

„Das Wesen des Staates besteht darin, daß das Volk Herr seines eigenen Geschickes ist.“ zen Welt zum Grundprinzip aller Bemühungen um das Wohl des Menschen werden“.

Dennoch würden die Menschenrechte heute in weitem Maße verletzt. Dies stelle „ein unverständliches Phänomen des Kampfes gegen den Menschen dar, das auf keine Weise mit irgendeinem Programm, das sich selbst als humanistisch bezeichnet, in Einklang gebracht werden kann“.

„Wenn aber nun trotz dieser Voraussetzungen die Menschenrechte verletzt werden, wenn wir Zeugen von Konzentrationslagern, von Gewalt und Folterungen, von Terrorismus und Diskriminierungen sind, so muß das eine Folge anderer Vorbedingungen sein, die die Wirklichkeit der humanistischen Voraussetzungen in jenen modernen Programmen und Systemen bedrohen und oft zunichte machen. Somit drängt sich die Pflicht auf, diese Programme unter dem Gesichtspunkt der objektiven und unverletzlichen Menschenrechte einer ständigen Revision zu unterziehen“.

Die Menschenrechtserklärung der UNO sollte auch eine Grundlage für eine ständige Revision der Programme, Systeme und Regime schaffen - unter dem einzigen grundlegenden Gesichtspunkt, dem Wohl des Menschen, der Person und der Gesellschaft zu dienen: „Dieses muß als Grundfaktor des Gemeinwohls das wesentliche Kriterium für alle Programme, Systeme und Regime bilden“.

Sei dies nicht der Fall, seien menschliches Leid und „verschiedene Formen von Vorherrschaft, To-talitarismus, Neokolonialismus, Imperialismus“ die Folge, „die auch das Zusammenleben zwischen den Nationen gefährden“.

„Das Wesen des Staates als politischer Gemeinschaft besteht darin, daß die Gesellschaft, die ihn bildet, das Volk, Herr seines eigenen Geschickes ist“. Dieser Sinn werde nicht verwirklicht, wo „die Macht in einer bestimmten Gruppe allen anderen Gliedern der Gesellschaft aufgezwungen wird“. Die richtige Beteiligung der Bürger am politischen Leben sei „unter dem Gesichtspunkt des persönlichen Fortschritts des Menschen und der gesamtheitlichen Entwicklung seines Menschseins“ j ein Problem „von erstrangiger Bedeutung'*'.

Die Rechte der staatlichen Gewalt könnten nur auf der Grundlage der Achtung der objektiven und unverletzlichen Menschenrechte basieren. „Das Gesamtwohl, dem die Autorität im Staate dient, ist nur dann voll verwirklicht, wenn alle Bürger ihrer Rechte sicher sind. Andernfalls endet( man beim Zusammenbruch der Gesellschaft, gelangt man zum Widerstand der Bürger gegen die Autorität oder zu einem Zustand der Unterdrückung, der Einschüchterung, der Gewalt, des Terrors“.

Zu den unverletzlichen Rechten der menschlichen Person zähle auch das Recht auf Religions- und Gewissensfreiheit“, stellt der Papst fest. „Die Beschränkung der Religionsfreiheit und deren Verletzung stehen im Gegensatz zur Würde des Menschen und zu seinen objektiven Rechten“. Man könne nicht „eine Position hinnehmen, nach der nur der Atheismus Bürgerrecht im öffentli-

„Die Beschränkung der Religionsfreiheit steht im Gegensatz zur Würde des Menschen und seinen objektiven Rechten.“ chen und sozialen Leben besitzt, während die gläubigen Menschen fast aus Prinzip kaum geduldet oder als Bürger zweiter Klasse behandelt werden oder sogar der Bürgerrechte völlig beraubt sind“.

Der Papst richtet einen eindringlichen Appell an „diejenigen, von denen die Gestaltung des sozialen und öffentlichen Lebens abhängt“:

„Wir fordern von ihnen dringend die Achtung der Rechte der Religion und das Wirken der Kirche. Wir beanspruchen kein Privileg, sondern die Achtung eines elementaren Rechtes. Die Verwirklichung dieses Rechtes ist eine der grundlegenden Proben für den wahren Fortschritt des Menschen in einem jedem Regime, in jeder Gesellschaft,' in jedem System und in jeder Lage“.

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