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Wehrpflicht - Gewissensfreiheit

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Der Krieg ist nie ein gerechtes Mittel der Politik. Auch kann der Krieg an sich nicht „gerecht“ genannt werden. Nur insoferne der Krieg ein letztes Mittel der Notwehr eines in einem Staat geeinten Volkes ist, kann diese Notwehr berechtigt sein und damit als gerecht bezeichnet werden. Man sollte daher viel besser statt dem „gerechten Krieg“ von gerechter Verteidigung sprechen.

Realistisch, müssen wir selbst Im Zeitalter der Atomwaffen bleiben. Es gibt Mächte und Gewalten in der Welt oder kann sie geben, die — würden sie nicht durch Abschrek-kung zurückgehalten — eine totale Weltherrschaft aufzurichten streben. In den unterworfenen Ländern würden sie dann eine Herrschaft der Gewalt, der Unfreiheit und Unmenschlichkeit, der brutalen T Unterdrückung selbst der religiösen und sittlichen Freiheitsrechte auslösen. Noch gibt es gegen solch. Gefahren in der

Völkerfamilie keinen wirksamen Schutz.

Zum Schutz der höchsten Güter im Leben eines Volkes, die ein Leben für jeden Bürger erst menschlich wertvoll machen, müssen wir bereit sein! Die Verteidigung, auch mit den Mitteln des Krieges, kann daher zur Pflicht werden.

Sieht nun ein Staat keinen anderen Weg, diese Verteidigungsbereitschaft herbeizuführen als durch die allgemeine Wehrpflicht, dann — und nur dann — ist die Einziehung aller Staatsbürger eines bestimmten Alters zum Militärdienst sittlich zu rechtfertigen.

Eine objektive sittliche Verpflichtung für die Gemeinschaft bindet nach dem Gemeinwohlprinzip an sich auch jeden einzelnen. Die Tatsache, daß das Gewissen des einzelnen die nächste und entscheidende Instanz dafür ist, was dieser als sittlich erlaubt und richtig in seiner konkreten Lage ansieht, entspricht aber der Würde der menschlichen Person. Es ist daher im Laufe der Geschichte und Entwicklung der Menschenrechte ein unbezweifelhaf-ter Fortschritt, daß die religiöse und sittliche Freiheit des Gewissens in Grundfragen der menschlichen Existenz heute anerkannt wird. Für das Gewissen eines Einzelnen ist es aber durchaus denkbar, daß er mit den objektiven Erfordernissen der Verteidigung des Gemeinwohls einerseits und dem konkreten Spruch seines Gewissens, kein Menschenleben zu töten, in einem Konflikt steht, den er nur durch Kriegsdienstverweigerung mit der Waffe glaubt lösen zu können. Die Einführung eines Alternativdienstes für solche Fälle von Gewissensentscheidungen gegen den Militärdienst mit der Waffe ist daher heute das Merkmal eines fortschrittlichen Rechtsstaates. Die Infragestellung des Krieges durch einzelne Bürger wird sicherlich auch auf eine Mobilisierung des Weltgewissens zum Frieden hin wirken.

Die Ermöglichung dieser Infragestellung ist eindeutig auch der Hinweis, ob ein Mensch in einem totalitären System oder in einem Rechtsstaat lebt. Die Freiheit des Gewissens hat immer noch die staatliche Omnipotenz herausgefordert. Eine urchristliche und altehrwürdige Wurzel dieses Rechts zum Alternativdienst ist das Privilegium des Klerus seit den Zeiten Konstantins, nicht zum Dienst mit der Waffe beim Militär eingezogen zu werden. Man konnte sich nicht vorstellen, daß ein Mann, der sein ganzes Leben in den Dienst der Werte der Religion und der Nächstenliebe stellt, zum Kriegshandwerk gezwungen werden darf. Dieses Privileg müßte aber heute auf alle Menschen ausgedehnt werden, die den Kriegsdienst nicht mit ihrem Gewissen vereinbaren können

Die Anerkennung dieser Gewissensfreiheit und die Ermöglichung eines solchen Alternativdienstes sollte anderseits die Verantwortlichen nicht zu dem Kurzschluß führen, es werde damit die sittliche Pflicht zur Selbstverteidigung eines Volkes untergraben werden. Eine Staatsgemeinschaft, die eine solche Auffassung vom Gewissen jedes einzelnen Menschen hat, wird auch jene sittlichen Werte entfalten, die die Einsicht in die Erfordernisse des Schutzes des Vaterlandes und den

Verteidigungswillen der Jugend eines Volkes heben und stärken.

Dieser Verteidigungswille wird aber zugleich nach immer besseren Alternativen und Möglichkeiten der Verteidigung der höchsten Werte einer Gemeinschaft suchen. Landesverteidigung ist heute vielmehr auch eine geistige Aufgabe und hängt mit dem kulturellen Lebenswillen eines Volkes zusammen, als daß sie nur in einem gleichmacherisch geführten Präsenzdienst ihren Ausdruck finden könnte.

Das Zweite Vatikanische Konzil hat in der Pastoralkonstitution über die Kirche in der Welt von heute diese Lage der Menschheit zwischen Krieg und Frieden realistisch gesehen. Es hat sich das Freiheitsrecht der Kriegsdienstverweigerung und des Ersatzdienstes dafür aus Gewissensgründen ebenso zu eigen gemacht. So widersprüchlich es vielleicht zunächst erscheinen mag, nur auf Grund einer solchen Sicht kann ein Konzil dann auch den Satz schreiben: „Wer als Soldat im Dienst des Vaterlandes steht, betrachte sich als Diener der Sicherheit und Freiheit der Völker. Indem er diese Aufgabe recht erfüllt, trägt er wahrhaft zur Festigung des Friedens bei.“ Die allgemeine Wehrpflicht wurde nämlich zu wiederholten Maßen für den Militarismus mißbraucht. Darum muß im Mittelpunkt jedwedes sittlich zu rechtfertigenden Wehrdienstes nicht an letzter Stelle auch die Friedensidee stehen.

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