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Das Bild vom neuen Soldaten

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Wenn die staatsbürgerlich-erzieherische Aufgabe in unserer jungen Demokratie nicht verfehlt sein soll, müssen wir gerade von der jüngsten Vergangenheit die Schleier des Vergessens, des Mißverstehens und des Falschverstehenwollens wegziehen. Nur die nüchterne und freimütige Erörterung auch der am stärksten mit Emotionen geladenen Fragen kann zu einer Reinigung der Atmosphäre und zu den Ansätzen einer Tradition in unserem Staat führen, die sowohl demokratisch wie auch österreichisch ist.

Österreich hat sich im Jahre 1945 zur Demokratie und nach dem Staatsvertrag darüber hinaus zur Neutralität bekannt. Diese Bekenntnisse schließen ein, daß unser Staat den Krieg als Praktik seiner Außenpolitik geächtet hat.

Das österreichische Soldatsein gipfelt heute also nicht darin, für einen „Führer“ oder „Obersten Kriegsherrn“ einen Angriffskrieg, einen Eroberungskrieg zu führen, sondern unsere Heimat, unser freies demokratisches Staatswesen, unsere Neutralität gegen jeden Angreifer mit der Waffe in der Hand und mit allen Mitteln zu verteidigen. Die Grundlage unserer Landesverteidigung ist das H a n d e 1 n in Notwehr. In dieser Einstellung und nicht in einer obrigkeitlichen Soldatentradition muß der Wehrwille unseres Volkes wurzeln. Unser Wehrwille richtet sich gegen keinen Nachbarn. Er wird sich jedoch gegen jeden wenden, der mit Waffengewalt in unser Staatsgebiet einzufallen versuchen sollte. Daß man zu einem solchen Handeln entschlossen ist, braucht nicht vor dem Herrgott oder einer künstlich aufgebauten Obrigkeit feierlich versichert werden. Ein solches Handeln ist das summierte Recht der Notwehr der einzelnen Menschen unseres Staates. Dieses Handeln ist Bürgerpflicht schlechthin.

Ein solcher Abwehrkrieg ist das äußerste Mittel, das wir nur notgedrungen ergreifen, um eine Fremdherrschaft von uns abzuhalten. Wir wollen in Freiheit und Gerechtigkeit leben und sind froh, zu wissen, daß wir als Soldaten nie für machtpolitische Ziele mißbraucht, sondern nur zur Notwehr — zum Sichwehren — aufgeboten werden. Wir müssen aber imstande sein, uns in straffer militärischer Ordnung für die Unantastbarkeit unseres Landes und unseres Volkes zu schlagen.

Wer uns angreift, bricht unsere Neutralität und gibt uns damit volle Handlungsfreiheit. Aus der Vergangenheit die Lehre ziehend, wissen wir, daß wir uns in einem solchen Fall bis zum äußersten wehren müssen, um eines Tages die Freiheit zurückzugewinnen.

Solange Großmächte, trotz der Ächtung des Angriffskrieges, ihre Konflikte mit den Waffen zu entscheiden versuchen, bleibt die Schaffung und Erhaltung der Wehrkraft auch für unseren selbständigen Kleinstaat eine wichtige Aufgabe.

Die Armee ganz allgemein — auch dies soll hier nicht verschwiegen werden — stellt in einer Demokratie hinsichtlich ihrer inneren Organisation einen Fremdkörper dar, weil sie nun einmal nicht nach demokratischen Gesichtspunkten organisiert und geführt werden kann. Demokratisch ist aber ihre Grundlage, vor allem die allgemeine Wehrpflicht; demokratisch ist ihr Zweck.

Der Militärdienst ist nicht Inhalt der Wehrpflicht, als der er vielfach empfunden wird, sondern in der Demokratie nur ein Mittel des Wchrens. Dieses Wehren allein ist der Zweck und Inhalt der Wehrpflicht. Wehren als Kraft und Wille zum Widerstand, Wehren als Mobilmachung der soldatischen Elemente der Persönlichkeit.

Die Aufgabe der Schule

Es ist Sache der demokratischen Schule, unsere Jugend davon zu überzeugen, daß es sich lohnt, die Freiheit, die Menschenwürde und die Heimat zu verteidigen. Die Schule hat jene seelischen und geistigen Kräfte zu heben, die Voraussetzung des Soldatseins sind, denn Soldatentum in der Demokratie ist ernstes, gebundenes Menschentum, ist Manneszucht und Dienstbereitschaft. Soldatentum in unserem Staat ist Dienst für Menschlichkeit, Freiheit und Menschenrechte. Unsere Soldaten müssen entschlossen sein, jeder Vergewaltigung unserer Heimat mit der Waffe in der Hand entgegenzutreten. Sie sollen aber nicht kämpfen, um für irgend jemand zu sterben, sondern um in Freiheit leben zu können.

Die Armee darf unter keinen Umständen, losgelöst von Volk und Staat, ihre eigenen Wege gehen und andere Ziele verfolgen als die Behauptung unserer staatlichen Freiheit. Es darf in Österreich nicht wieder ein „absolutes Soldatentum“ aufkommen, das den Krieg und die Kriegsvorbereitungen zum Selbstzweck erhebt. Soldatisches Denken, das nicht mehr ausschließlich auf die Wahrung unserer Unabhängigkeit gerichtet ist, ist undemokratisch und muß, wo immer es sich zeigt, abgelehnt werden.

Diesem Grundsatz entsprechend müssen Männer aus allen sozialen Schichten unseres Volkes militärische Führer sein können. Die Ausbildung zum militärischen Führer darf daher nicht in der Anerziehung eines Kastengeistes gipfeln. Denn nicht das Herkommen, die Befehlsgewalt und nicht die Macht der Stellung sind für den Erfolg eines militärischen Führers entscheidend, sondern allein die Persönlichkeit.

Autorität und Scheinautorität

Deutlich steht vor jedem militärischen Ausbildner die Bedeutung und Verantwortung seiner Stellung. Wird er den Anforderungen gerecht, erhebt sich sein Wissen über die Stufe einer reinen beruflichen Geschäftigkeit, dann wird auch sein Beruf zur Berufung.

Wer die ihm anvertraute Truppe zielsicher führen will, sieht in seinen Soldaten die Menschen und Mitbürger. Ein offenes Wort vor der Truppe oder eine Besprechung unter vier Augen können Wunder wirken. In allem sollen die Untergebenen Wohlwollen, Verständnis, Güte und Fürsorge erkennen können. Der soldatische Erzieher muß wissen, daß er nur einen Todfeind hat: den Geist der Kleinlichkeit.

Nicht der barsche Ton, sondern das bestimmte Wesen eines überlegenen Mannes stiftet jenes Vertrauen, welches die Untergebenen für ihn durchs Feuer gehen läßt. Im engen Zusammenleben des Dienstes erweisen sich nur die Persönlichkeit und das Beispiel als überzeugend.

Diese demokratischen Grundsätze der Soldatenerziehung behalten Wert und Geltung weit über das Militärische hinaus. Es liegt darin die Forderung, daß das menschliche Tun stets — und auch im Krieg — von den Idealen wahrer Humanität geleitet ist und der unzerstörbare Glaube an das heute geschändete Menschheitsideal erhalten bleiben muß.

Man hat in unseren düsteren Zeiten an einem großen Kulturvolk den Beweis erbracht, daß es möglich ist, durch raffinierte und zielsichere Erziehung zur Unmenschlichkeit das Edle in des Menschen Seele zu zerstören, ihn zu befähigen, das Scheußlichste mit Gleichmut zu tun.

Die militärische Ausbildung in einem demokratischen Staat verlangt unter allen Umständen die Schonung des Ehrgefühls des wehrpflichtigen Bürgers. Das ist in keiner Weise einem Herabsetzen der Anforderungen gleichzustellen. Forderungen im Dienst müssen aber erfüllbar und absolut sein. Doch darf ihr Durchsetzen nicht dazu führen, das Ehrgefühl des Soldaten zu kränken. Zur Schaffung und Erhaltung der Disziplin gibt es nur eine alleingültige Methode: die Achtung der Persönlichkeit. Ein militärischer Führer — ein Offizier —, der sich durchsetzt, weil er sich für besser hält und seine Untergebenen verachtet, wird früher oder später den Zusammenbruch seiner Scheinautorität erleben.

Im strengen, geordneten Dienstbetrieb wird man Soldat. Man lernt soldatisch denken, fühlen und handeln. Man lernt Waffen und Geräte kennen und gebrauchen. Die Ausbildung zum Kämpfer stellt hohe Anforderungen. Darüber hinaus setzten der militärische Dienstbetrieb und das Soldatsein Ordnung und Disziplin voraus. Ordnung und Disziplin sind aber keine fremden Begriffe. Sie sind die Grundlagen des demokratischen Bürgertums.

Letzte Konsequenzen

Mit dieser Betrachtung wurde das Soldatsein vom verprügelten, mißachteten Geschöpf der Söldnerheere über den Wehrpflichtigen des Obrigkeitsstaates und der Diktatur bis zum Bürger in Uniform der Demokratie vor Augen geführt.

Es bleibt noch übrig, aus dieser Schau eine für das Soldatentum in der Demokratie notwendige allgemeine Erkenntnis zu ziehen. Diese kann nur lauten:

• Als Bürger und Soldat alles dafür, wenn es darum geht, die Heimat vor einer inneren oder äußeren Aggression zu schützen;

• als Bürger und Soldat aber alles dagegen, wenn es darum geht, ein gezwungenes Werkzeug der inneren und äußeren Gewaltpolitik irgendwelcher Machthaber zu sein.

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