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Recht-Schaffenheit und dreiste Militanz

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Rührend fast ist er, jedenfalls berührend: der Essay, den Alexander Ja-kowlew einem französischen Literaturmagazin zur Veröffentlichung überlassen hat. „Vom Recht der Macht zur Macht des Rechts" will der Vordenker von Glasnost und wohl auch Perestrojka den seiner Überzeugung nach einzig gang- und vertretbaren Weg weisen. Dem ORF war dieser Essay ein eigenes „Journal-Panorama" wert.

Der Zufall wollte es, daß am selben Abend und ebenfalls via ORF gleich in zweifacher Weise ein seltsames, mahnendes Kontrastprogramm dazu zu sehen war. Zunächst der „schwarze Oberst" Viktor Alksnis, oft schon als geradezu allergischer Widerpart eben dieses Alexander Jakowlew aufgetreten. Man traut seinen Augen nicht, denn dieser Mann hatte schließlich in jenen Stunden, als er ein Gelingen des Putsches offensichtlich als selbstverständlich annahm, ein ungeheuerliches Interview in voller Uniform gegeben (20. August 1991, Auslandsreport). Nun aber tritt er mit ebensolcher Selbstverständlichkeit an das Rednerpult, seine Immunität als Abgeordneter nutzend, als ob nichts vorgefallen wäre.

Zur Erinnerung: Seinen - voreiligen - Triumph nicht im mindesten kaschierend, hatte dieser „Mann mit den Schulterstücken eines Oberst" (so die wiederholte Formel Edward Schewardnadses) in dem erwähnten Interview Abrechnung, Einkerkerung aller wesentlichen Reformpolitiker, Rückkehr zum Kalten Krieg (militärisch-knappe Antwort auf eine diesbezügliche Frage des Interviewers: „Ja.") und Zurückdrehen der Entwicklung auch in anderen Ländern (darunter ausdrücklich auch die Tschechoslowakei) signalisiert.

Und dann war an diesem Abend auch jener denkwürdige BBC-Bericht aus Kroatien zu sehen, vor dem der Kommentator einleitend warnte - so grauenvoll seien die Bilder massakrierter Menschen. Die Massakrierer aber wurden zumindest unterstützt von Teilen der sogenannten „Volks"-Ar-mee (einer demgemäß besonders zynisch klingenden Bezeichnung). Diese schienen sich um Rechtmäßigkeit, ci vil-control und dergleichen den Teufel zu scheren; oder aber sie folgten den Weisungen gut getarnter Befehlserteiler. Dann stellt sich freilich die Frage: Auf welcher Grundlage folgten sie diesen? Bloß in jener berüchtigten Kategorie von Befehls-„treue", die andernorts mit Kadavergehorsam übersetzt wird und dem Muster „Befehl ist Befehl" gehorcht -egal, von wem dieser kommt und wie rechtmäßig er ist? "

So blitzte an diesem Abend gleich zweifach etwas auf, was in Europa längst ad acta zu legendes Thema schien: dreiste Militanz - noch dazu in Uniform - im scharfen Gegensatz zu ziviler Recht-Schaffenheit.

... Kontrolle ist besser

Das rührt an Traumata von Demokraten („Gegen Demokraten helfen nur Soldaten") und wird auch in heute gefestigten Demokratien über kurz oder lang Anlaß zu entsprechenden Kommentaren - bei passend scheinender Gelegenheit - geben. Es steht zu hoffen, daß es dabei nicht um ein Aufwärmen abgelegter Feindbilder gehen wird; aber ein bißchen Nachdenklichkeit und dann auch ein bißchen mehr Wachsamkeit - das kann keiner Demokratie schaden. Bei den davon Betroffenen aber sollte man sich vor - vorherzusehender - Empfindlichkeit hüten: Wachsamkeit, ja geradezu „institutionalisiertes Mißtrauen", und Kontrolle gehören zum demokratischen Rechtsstaat. Die Grundlage dazu ist nicht eine Unterstellung, jede Armee verhalte sich so, wie es Teile der (bereits groß-serbischen?) Bundesarmee in diesen Tagen, offenbar nicht mehV unter Kontrolle der rechtmäßigen zivilen Staatsführung stehend, vorführen; und auch nicht eine Art von „Sippenhaftung" aller Uniformträger für Verhalten und Auftreten eines militant-militaristischen Oberst.

Die Grundlage gebotener Wachsamkeit und Kontrolle liegt in Rechtsstaat und Demokratie selbst: das Parlament kontrolliert die Regierung, Öffentlichkeit und Presse kontrollieren beide und das Prinzip der Gewaltenteilung gilt auch der gegenseitigen Kontrolle; unter anderem dient auch der Föderalismus der Gewaltenteilung und der Kontrolle im Verhältnis von Bund und Ländern. Es ist also nichts Außergewöhnliches, wenn auch die Armee unter Kontrolle gestellt wird; es entspricht dem Prinzip von Rechtsstaat und Demokratie (R. Jaeger). Umso mehr gilt das naturgemäß gegenüber jeglicher bewaffneten Macht im Staat.

Hinter diesem spezifischen, das Spannungsverhältnis ziviler und militärischer Macht berührenden Akzent klingt ein generelleres, ein - im übrigen Europa - altes Thema und zugleich altes Dilemma an: die „Waffen-Ungleichheit" strikter Rechtsstaatlichkeit gegenüber Menschen und Gruppierungen, die, selber an der Macht, nichts dergleichen einzuräumen und auch nichts dergleichen zu beachten gedenken; die jedoch andernfalls sehr wohl für sich beanspruchen, von diesem Prinzip zu profitieren. Für rechtsstaatlich verfaßte Demokratien im Stadium ihres Werdens ist das ein wohl unvermeidlicher Prozeß, in mancher Hinsichtauch ein Lernprozeß.

Das Schicksal etwa der Weimarer Republik kann durchaus warnende Orientierungshilfen dafür liefern, nicht auf die „Macht des Rechts" allein zu vertrauen. Gerade in dieser ersten Deutschen Republik war bekanntlich der Demokratie ja die bittere Erfahrung nicht erspart geblieben, welche Folgen aus einer allzu vordergründig naiven, nicht entsprechend abgeklärten Beziehung zur Realität existierender Machtmittel erwartet werden müssen. So meint E. Obermann sogar, indem Weimarer Republik und Reichswehr nicht das rechte Verhältnis zueinander gefunden hätten, seien letztlich beide dann das Opfer „politischer Soldaten" geworden, denen sie vereint den Weg zur Macht wohl hätten sperren können. In den - Gott sei Dank wenigen - Tagen des August-Putsches dieses Sommers erhielt dieser spezifische Akzent jüngst Aktualität, ruft man sich nur Szenen rund um das russische „Weiße Haus" in Erinnerung, zu dessen Verteidigung ja auch Soldaten bereitstanden.

Schau, trau, wem?

Für Demokratie und Rechtsstaat liegen - und das nicht bloß am Anfang eines dorthin eingeschlagenen Weges - die entsprechenden Lehren, hier einmal in bezug auf die eigene Armee, eigentlich nahe: Nach Klärung der Notwendigkeit einer eigenen Armee und Entscheidung für eine solche eine saubere Abklärung des Verhältnisses zu dieser herbeizuführen (das schließt dann auch das eindeutige Bekenntnis zu dieser Armee und zu ihrer gebotenen Effizienz mit ein); zugleich ständige Wachsamkeit und strikte politische Kontrolle (das schließt auch die Aufmerksamkeit darauf mit ein, auf wen in Uniform man „sich einläßt").

Und es wird auch klar, daß es für all die Europäer, die das, was jetzt in der Sowjetunion und in Jugoslawien vor sich geht, schon hinter sich gebracht haben, zu billig wäre, sich jetzt bloß zurückzulehnen und zu meinen, das ginge uns zum Glück längst nichts mehr an. Wenn auch manche Leute hartnäckig die russische Westgrenze als Ostgrenze Europas ansehen, so kann angesichts der Entfernung Wien-Ossijek (bekanntlich das Es-seg der alten Monarchie), die kürzer ist als jene nach Vorarlberg, nicht einmal ein solcher „Kunstgriff helfen. Latente Fremdenfeindlichkeit mag allerdings leicht dazu verleiten, etwa von Serben wie von „Wilden" zu sprechen und sich selbst (und seinesgleichen) für wesentlich „besser" und davor gefeit zu halten. Vor der Albertina steht allerdings ein Mahnmal, das nicht Serben mahnen soll, sondern uns.

Die Massakrierer von Ossijek und Umgebung verhalten sich nicht so, weil sie Serben sind, sondern weil sie so sind, weil es in ihnen liegt, unter bestimmten Umständen so sein zu können. Und ein Alksnis verhält sich nicht so, weil er Russe wäre (noch dazu ist er Lette) - und auch nicht, weil er Oberst ist.

Der „Alksnis in uns" ist eine Mahnung an jeden Uniformträger, so wie - schrecklich auszusprechen, aber wieder hilft ein Blick auf den Platz vor der Albertina oder auch nach Auschwitz, Mauthausen, Katyn oder in irgendeinen Gulag - anscheinend auch der „Massakrierer im Menschen" eine Mahnung an jeden Menschen sein muß; zumindest eine Mahnung vor untätiger Zeugenschaft und „Neutralität" zwischen Täter und Opfer.

Denn was gegen den Traum - oder doch: die Hoffnung - des Alexander Jakowlew steht, ist nicht in Uniformen begründet und auch nicht bloß in einem System und dessen weiterwirkenden Folgen, sondern konkreten handelnden Personen eines bestimmten Zuschnitts. Man findet sie in Uniform ebenso wie in Zivil, zu jeder Zeit - auch heute - und in jedem Land. Sie sind die Träger des alltäglichen verharmlosten „kleinen Milita-rismus/Totalitarismus/Fundamenta-lismus/Fanatismus und so weiter", die Träger des alltäglichen Kampfes und Hasses gegen Andersdenkende. Manchmal gelten sie ihren Mitbürgern schlicht als Narren, manchmal bloß als Hard-liner oder „Stahlhelme". Immer aber werden sie - schon angesichts ihrer zunächst geringen Zahl - in ihrer alltäglichen Wirkung und auch in ihrer Gefährlichkeit unter „passenden Umständen" unterschätzt. Man hält sich nicht Raubtiere als Wächter.

Eine Nachbemerkung: Wenige Tage nach dem Abend der drei kontrastierenden Blitzlichter hat der jugoslawische Staatspräsident der Armeeführung die Weisung erteilt, die Armee habe in die Kasernen einzurücken; widrigenfalls würde ein Kriegsgerichtsverfahren eingeleitet. Das ist zumindest einmal die Sprache des Rechtsstaates, die erforderlich ist. Es war an der Zeit. Der Autor ist Brigadier.

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