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Randbemerkungen zur woche

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DER RATGEBER SIND VIELE, die den neuen Regierungschef unaufgefordert mit Rezepten der Staatskunsl versorgen Besonders der begrüßenswerte „koalitionsfreie Raum“ beschäftigt die Geister und die federn. Hier werden der Phantasie keine Zügel angelegt, sonst käme man kaum auf jene famose unlängst kolportierte Idee, es wäre möglich, daß „d i e Regierung 's fr aktion der O e V P, um überhaupt einen Reglerungsbe-schluß zustande zu bringen, einen der S P Öe tragbar erscheinenden faBt, der jedoch von (der Paria-mentsir'aktton der OeVP gemeinsam Iiii| dem WdU zu Fall gebracht oder ab g eü nde r t wird.“ Dem Einwand, daß ein solches Vorgehen gegen den auch im politischen Leben nicht zu entbehrenden Anstand verstoßen würde, könnte vielleicht das schon in der Vergangenheit mehr als einmal zu beobachtende Doppelspiel verschiedener sozialistischer Taktiker entgegengehalten werden, die man mit ihren eigenen Waffen schlagen solle. Allein, wie stellt man sich das praktisch vor. Eine Regierung, deren Beschlüsse von der Mehrheit der Volksvertretung verworfen werden, muß den parlamentarischen Gepflogenheiten entsprechend zurücktreten. Und daß Bundeskanzler Raab in eine solche Situation kommt, können doch alle, die wirklich seine Freunde sind, nicht im Ernst wollen...

DAS MAHNENDE GEWISSEN DER ÖFFENTLICHEN HAND spricht im Bericht des Rechnungshofes für das Jahr 1952 vor. Bedenkt man die Summe von 20 Milliarden, die alljährlich als Einnahmen allein in die Staatskassen fließen, um sie als Ausgäben für hunderterlei Zwecke wieder zu verlassen, erwägt man die riesenhaften Vermögenswerte, welche die öffentlichen Institutionen besitzen, verwalten und betreuen, so ist die Sorge für Sorgfall und Rechtlichkeit der Gebarung ein Gebot erster Größenordnung. Der Bericht, mit gewohnter Unparteilichkeit und Sachkenntnis verfaßt, spart nicht mit Tadel, aber auch nicht mit Lob. Zu ersterem war in nicht “wenigen Fällen Anlaß: zu letzterem, wie hervorgehoben sein soll, jedoch nicht minder. Nicht immer waren die allgemeinen Interessen stärker als persönliche oder örtliche Voreingenommenheiten, als bürokratische Uebung. Fehlinvestitionen, Unklarheiten, sogar Unzukömmlichkeiten in der Gebarung werden offen aulgezeigt. Der oft gehörte Wunsch nach rigoroserer Verwendung der ERP-Mittel War, wie einige Beispiele zeigen, berechtigt. Auch die mittelbaren Organe zur Pflege öffentlicher Aufgaben, wie Kammern und Sozialversicherungs-institute-, werden, richtig gesehen, dem Rechnungshof für seine Feststellungen und Ratschläge Dank zu wissen haben. Denn es geht bei Aufgaben det Allgemeinheit Ja nicht Ums Rechtbehalten, sondern ums Rech'thäben. Unverkennbar ist — in großer Schau — der Zug ztir Konsolidierung, und die gerügten Unzu-träglichkeiten fallen mehr aus dem allgemeinen Rahmen, als daß sie efwn für ihn charakteristisch waren. In einigen besonders behandelten Fällen sind sie schließlich in Bestimmungen begründet, die nicht dem Ausübenden selbst zur Last zu legen sind, für die eine Aenderung zu schaffen nicht Sache der unmittelbar mit der Ausführung Betrauten ist. Hier wird die Gesetzgebung, der neugewählte Nationalrat, aus den Feststellungen des Rechnungshofes die legislativen Sclilußlolgerüngen zu ziehen haben. Wo aber wirkliche Gebarungsmängel vorliegen, wird verlangt werden müssen, daß es für jene, denen sie zur Last fallen, nicht bei einer bloßen tadelnden Feststellung bleib!. Dem Reclmungshof aber und seinem scheidenden Präsidenten Dr. Schlegel tfebührt für seine planvolle, verantwortungsbewußte Arbeit Dank und Anerkennung.

WENIG BEMERKT wurde eine staalspoli-tisch gar nicht so bedeutungslose Nachricht, Über die sich jeder Öesterreicher ehrlich freuen kann. Sie kommt aus Tirol. Hier über-prüite der Landtag die Landesordnung, korrigierte veraltete Bestimmungen, führte Ergänzungen und Verbesserungen durch. Im Zuge dieser „Generalüberholung“ einer Landesverfassung wurde auch durch ein Yeriassungs-gesetz die Aenderung des Absatzes 1 des fersten Artikels beschlossen. Dort, wo bisher stand: „Tirol ist ein selbständiges Land, das jetzt einen Teil der demokratischen Republik Oesterreich bildet“, wird künftig zu lesen sein: „Tirol ist ein selbständiges Bundesland der demokratischen Republik Oestferrfelch.“ Einige kleine Worte wurden nur veräfltferl, Welche Wandlung im staatspolitischen Denken aber verrieten sie! Vorbei und beinahe aus der Erinnerung schon gelöscht sind die Tage nach dem ersten Weitkrieg, in deren Verwirrung ueft Gedanken reiften, Tirol (nördlich und südlich des Brenners) als Selbständigen Staut zu proklamieren. Sie wurden bekanntlich nie Wirklichkeil, aber als ihr Niederschlag, als Dokument eines kämpferischen Sinnes für die Bewahrung der Landesfreiheiten kann der alte Artikel in der Landesverfassung angesehen werden. Jetzt ist er gefallen. Der Föderalismus hat in Oesterreich ebenso eine feste Heimal gefunden wie Tirol und alle übrigen Bundesländer.

ALS AM BALLHAUSPLATZ ein gewisser Fürst Metternich Hausherr war, überraschte Oesterreich die Welt durch jene kleinen Kunstkniffe der Menschenbehandlung, die oft viel mehr Weltgeschichte machen als alle große Diplomatie. Die berühmten Türen im großen Kongreßsaal, durch die die Großen von damals gleichzeitig einziehen konnten, sind in. die Lesebücher eingegangen. Aber überhaupt der ganze Kongreß, der immerhin Europa ein halbes Jahrhundert Frieden ertanzte ... Vorbei die Zeit. Heute ist man anscheinend unter den Einfluß des viel rauheren (aber dafür nicht vielleicht herzlicheren) Klimas der Weltpolitik gekommen. Der feine und richtige Sinn dafür, daß im Umgang mit Menschen schon ein guter Teil des politischen Erfolges liegt — wo ist er? Bestimmt nicht dort, wo man eine hochgestellte und nicht ganz einflußlose Persönlichkeit des Auslandes im Wiener Fasching 1953 zuerst peinlicli nach den anscheinend abhanden gekommenen Ballkarten perluslrierte und dann, hinter einer dichten Menge auf einem Sessel stehend, den Eröffnungswälzer beobachten ließ. Auch kaum — ein Beispiel der letzten Woche — • in jenir Art, mit der man auf nicht sehr angenehme Aaslandspressestimmen reagierte. Den Auslandskorrespondenten /.Einmischung in die österreichische Innenpolitik“ vorzuwerfen, isl wohl ebensowenig geschickt wie zutreffend: jeder journalistische Bericht über Oesterreich in einefn Blatt des Auslandes ist nach einer soldien Aullässung eine „Einmischung“ — oder auch nicht. Und gar der leise erhobene Verdacht, die „inkriminierten“ Artikel seien das Ergebnis einer einseitigen parteipolitischen Konspiration, ist wohl dort nicht zu halten, wo es sich am große katholische Blätter des Auslandes und um ihre Vertrauensleute in Wien handelt. Man ist auf dem besten Wege, die Auslandskorrespondenten gründlich zu vergrämen — und das kann doch wohl nicht der Zweck der Uebung seih.

WAS SATELLIT SEIN HEISST, zeigt in diesen Tagen und Wochen, in denen die gesamte Weltpresse mit Spannung die gewissen Anzeichen eines zumindest taktischen Wechsels in der sowjetischen Außen1-und Innenpolitik verfolgt, ein Blick in die Zeitungen der Volksdemokratien. Unter der Aschendecke einer gewollten Indifferenz glimmen Zeichen einer Rat- und Orientierungslosigkeit, die grotesk und zugleich auch traurig anmuten. Nehmen wir zuni Beispiel nur das Zentralorgan der KP Ungarns, „Szabad Nep“ zur Hand! Wenn „Szabad Nep“ sieh stets schon durch besondere Farblosigkeit auszeichnete, so überbietet es in diesen Tagen diesbezüglich alles schon Dagewesene. Der 4. April war in Ungarn Staatsfeiertag, die 8. Wiederkehr der Befreiung. „Szabad Nep“ brachte lange Listen von aus diesem Anlaß Ausgezeichneten sowie den langweiligen proio-kollmäßigen Text sämtlicher Begrüßungstelegramme von ausländischen Staatsmännern, wobei nur der zum Gegensatz der Stalinschen Telegrammtexte betont herzliche Ton Malen-kows an die Adresse Ri'ikosis auffiel. Die Leitartikel bringen immer wieder- nur Aufrufe an äffe Werktätigen, nach dem Uebersoll der „Befreiungswoche“ in ihren Anstrengungen nicht zu erlahmen, da der Termin der Abgeordnetenwahlen naht und mit erneuten Arbeitswettkämpfen geleiert werden will. Die Festrede des einen stellvertretenden Ministerpräsidenten ArpAd Hazi, am Vorabend in der Staatsoper, mußte aber immerhin abgedruckt werden — und der Fehler war schon da. Der Redner kam aui folgenden Söte *fcj*fef Volk haßt die Imperialisten und ihre Agenten hierzulande, die Rechtssozialisten, die klerikale Reaktion, die Zionisten Meistens.“ Als er das sagte, war die Erklärung über die Rehabilitierung der 15 Aerzte in Moskau schon, in der Druckerei. „Szabad Nep* brachte sie einen Tag sprlter ohne Kommentar, ebenso die bedeutsame Entwicklung in der Koreafrage — all das offensichtlich aus Moskau zugestellt bekommen. Am 4. April wurde die obligate große Militärparade zum Befreiungstag abgehalten. Aus der Rede von Verteidigungsminister Parkas fehlte bereits der gestrige aggressive Ton, ja sogar der Name Tito! Am Ii April schoß „Szabad Nep“ sein übriggebliebenes Schießpulver noch auf Adenauer und Tschiangkaischek ab, dann trat endgültig eine bedenkliche Stille ein. Am 7. und 8. April folgte der Abdruck der beiden bekannten höchbedeufepden Prawda-Leitartikel. Eirfe ungarische Zeitung dürfte zu alldem um einen Kommentar nicht verlegen sein. „Szabad Nep“ zog es am 7 April Vor, anschließend einen Fünfspalter mit folgendem aufregenden Inhalt zu veröffentlichen- „Das albanische Volk auf dem Wege der Grundlegung des Sozialismus“.

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