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RANDBEMERKUNGEN ZUR WOCHE

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VOR UND NACH TISCH. Eine Meldung aus dem Burgenland: „..Gleich darauf wurde er von ... in Empfang genommen, die ihn zunächst in die ... nach Pamhagen brachten. Dort wird er zur Verfügung der ... gehalten. Er wird nach Abschluß' der Erhebungen nach Wien gebracht werden.“ Ohne Zweifel ist diese Nachricht mindestens ein Jahr alt. Denn es kann sich doch nur um den Leidensweg eines bedauernswerten ungarischen Flüchtlings zur Zeit des sowjetischen Besatzungsregimes handeln, der hier noch einmal erzählt wird. Die von uns ausgelassenen Worte der Meldung können unschwer von unseren Lesern ergänzt werden. Da ist doch zunächst einmal das Wort „Gendarmeriebeamte“ einzusetzen. ' Das weitere ist ebenfalls klar: Die noch ausständigen Wörter können nur „Kommandantur“ und „Besatzungsmacht heifjen. „Zum Abschlufj der Erhebungen nach Wien überstellt.“ In der Erinnerung steigt das düstere Haus auf der Bellaria auf. Einzelne vergitterte Fenster. Und über allem die blutrote Fahne mit Hammer und Sichel. Das Schicksal des Aermsten hat sich erfüllt! Halt, halt, lieber Leserl Ja, so und nicht anders war es vor Tisch, vor dem Inkrafttreten des Staatsver-frages und dem Abzug der Besatzungstruppen. Nach Tisch liest sich so eine Meldung — und sie stammt vom vergangenen Sonntag — ganz anders. Nur die „Gendarmeriebeamfen“ sind gleich geblieben, aus der „Kommandantur* ist eine schlichte „Postenkanzlei“ geworden und die „Besatzungsmacht“ hat sich in eine österreichische „Unfersuchungskommission“ verwandelt. Wem galt diese Amtshandlung? Nun, niemand anderem als einem russischen Offizier, der eigentlich sehr weit von seiner Heimat entfernt aus heiferm Himmel auf österreichisches Territorium fiel. So ändern sich die Zeiten.

AUF EIN WORT, HERR „KAMERAD“. Im Unterholz unseres Blätterwaldes kann man auch eine Zeitschrift linden, die sich „Der Kamerad* nennt. Ihre Herausgeber und Verfasser sind in dem Kreis jener zu suchen, denen die Ereignisse des Jahres 1945 noch immer einige geistige und andere Schwierigkeiten bereiten. Das merkt man bald am. Tonfall. Pseudo-idealistische Schlagworte werden in einer journalistisch äufjerst dürftigen Art dargeboten. Die materielle Seite wird dabei keineswegs vernachlässigt, denn mindestens die Hälfte dieses Druckerzeugnisses ist in der Regel den Inseratenwerbern vorbehalten. Wenn die Ausdrucksweise selbst den langmütigen Organen der Republik Oesterreich zu bunt wurde, griff bisweilen der Staatsanwalt zu, worauf „Der Kamerad“ eben wieder etwas auf der Stelle trat. So weit, so gut. So könnte es auch weitergehen. Die Demokratie ist äußerst weitherzig ... Doch da überrascht „Der Kamerad“ in seiner letzten Nummer mit einer Mitteilung. Er verkündet, dafj er nun auch die Tradition der alten „M ilitärwissenschaftlichen Mitteilungen“ aufnehmen wolle. Verhandlungen mit dem langjährigen Hauptschriftleiter derselben, General d. R. Ing. Emil Ratzen-h o f e r, hätten zu diesem Ergebnis geführt. Die Freunde und Kenner des alten militärwissenschaftlichen Fachblattes horchen auf. Sie stellen mit Verwunderung und Erschütterung fest, wie hier ein guter Name für eine viel weniger gute Sache mißbraucht wird. Da dürfen zunächst erhebliche Zweifel an der Fähigkeit der Redaktion des „Kameraden“ für eine solche ernste wissenschaftliche Aufgabe angemeldet werden. Mit dem Abdruck von zwei in den dreißiger Jahren geschriebenen Artikeln ist wohl noch kein Alibi erbracht, sondern — im Gegenteil — die eigene Unzuständigkeit offen zugegeben. Dazu kommt noch der politische Trend. Ueber ihn geben in der vorliegenden Nummer nicht nur Invekliven gegen „Verräter“ (warum plötzlich so anonym?), die „unserem Volke in schwerster Stunde in den Rücken fielen*, Auskunft. (Zur Aufklärung: Hier ist nicht vielleicht von 1938, sonder von 1945 die Rede.) In der Bücherrubrik dominieren die Bücher des Stocker-Verlages, eine Lobeshymne auf den „Getreuen Eckehardt“ (I) komm! hinzu. Die vorgeführten Beispiele genügen, um keinen Zweifel über den Standort des „Kameraden“ aufkommen zu las-len. Es wäre ein Verdienst, General a. D. Ratzenhofer darüber aufzuklären, in welche Hände er gefallen ist — oder hat man den markengeschützten Titel einer gediegenen Publikation demselben abgelistet? Das Amt für Landesverteidigung aber wird guttun, sich in entschiedener Form von diesem Druckerzeugnis zu distanzieren.

PRAG IST AM APPARAT. Lang zieht sich heute der Weg von Wien nach Prag. Länger als die 290 Kilometer Strohe. Daher ist es nicht verwunderlich, wenn die ersten Gespräche, die zwischen Prag und Wien in der letzten Zeit nach einer unnatürlichen Entfremdung aufgenommen wurden, unter manchen akustischen Störungen leiden. Die anfangs Dezember in Prag begonnenen Wirtschaftsverhandlungen gerieten arg in Zeitnot, denn am 31. Dezember lief das alte Abkommen aus. Vor 1938 stand die Tschechoslowakei und standen wir bei dieser unter den ersten Käufern und Verkäufern; 1954 dagegen ist die Tschechoslowakei an zwölfter Stelle der Verkäufer, an sechzehnter Stelle der Absatzländer Oesterreichs zu finden; 1955 hat sich die Situation etwas gebessert, der Abnehmer Tschechoslowakei rangiert an fünfzehnter Stelle, der Lieferer an zehnter Stelle. Der Anfeil der Tschechoslowakei am österreichischen Gesamtimport macht nur 1,8 Prozent, am Gesamtexport nur 1,4 Prozent aus. Das Handelsvolumen der beiden Staaten ist durch die beiderseitige hochentwickelte Industrie der Eigenart dieser Länder keineswegs angemessen. In der letzten Zeit hat die Wirtschaftswerbung unseres Nachbarn im Norden bei uns auffallend intensive Formen angenommen. In gewissen Sparten müssen wir jedoch bedenken, dafj in Oesterreich — namentlich von Heimatvertriebenen — und in der Glasbranche (goldene Medaille auf der Triennale in Mailand 1954) strukturelle Verschiebungen eingetreten sind, auf welche die österreichischen Wirtschaftsfaktoren Rücksicht zu nehmen haben — es handelt sich um eminente Devisenbringer. Günstiger sind die Vorschläge auf technische Zusammenarbeit zu beurteilen, wie sie sich im Gefolge der Verhandlungen über das Donaukraftwerk bei Prefjburg abzeichneten. Es ist dabei zu hoffen, dafj die wasserrechtlichen Fragen an Donau, Thaya und besonders an der March dem schon vor vielen Jahren präzisierten österreichischen Standpunkt Rechnung fragen. In Wien hat man übrigens auch über den Austausch elektrischer Energie gesprochen, wie ein solcher in kleinerem Umfang bereits zwischen Oberösterreich und Südböhmen stattfindet. Um so befremdlicher mutet es aber an, wenn die im Marchfelde befindlichen, noch im Kriege errichteten Ueberlandleitungstürme aus der Slowakei einerseits und nach Mähren anderseits teils als vereinsamte Gespenster dastehen, die Uniformierte für Bohrtürme halten; anderseits — östlich von Wien — sogar abmontiert werden! Zuletzt mufj betont- werden, dafj eine Regelung der vermögensrechtlichen Fragen, eine Anerkennung österreichischen Eigentums die Voraussetzung bleibt für eine gutnachbarliche Weiterentwicklung unserer Beziehungen.

SPD KONTRA SPÖ. Die „Oberen 600' der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands, nämlich die sozialdemokratischen Bundestagsabgeordneten, Länderminister, Gewerkschaftsführer usw., haben sich Mitte Jänner zu einem grofjen Kongreß ihrer Partei versammelt. Es war ihnen wohl vor allem darum zu tun, zu Beginn des letzten Jahres der gegenwärtigen Parlamentsperiode ein eindrucksvolles und möglichst geschlossenes Bild von ihrem Wollen als Opposition zu geben. Und wirklich machten sie eine ganze Reihe von ausgearbeiteten Einzelvorschlägen, unter denen der für eine Neuregelung der deutschen Altersversorgung am wichtigsten schien. Vielleicht legten sie darauf auch solches Gewicht, weil die Bonner Regierung nun doch damit Ernst zu machen scheint, nachdem sie ein halbes Jahrzehnt nur davon gesprochen hafte. Tut sie es, so sollte es wenigstens hier den Anschein erwecken, daß es unter dem Druck der Opposition geschehe. Jedenfalls war es für den Oesterreicher kein unangenehmer Eindruck, als Prof. Schellenberg — e'ner der Haupfsprecher — bei seinem sozialpolitischen Referat unier starkem Beifall erklärte: „Im übrigen sei denen, die meinen, die SPD-Forderung auf Gewährung von Renten in Angleichung an die Grundsätze der Beamtenversorgung sei irreal, empfohlen, sich über das .Allgemeine Sozialversicherungsgesetz' Oesterreichs zu in'ormieren, das diesen Grundsatz vom 1. Jänner 1956 an verwirklicht. Was das wirtschaftlich schwächere Oesterreich ermöglichen kann, sollte in der Bundesrepublik nicht als Utopie bezeichnet werden.“ Und wirklich hatte man — auch wenn man das innere Hin und Her in Oesterreich kennt — doch überall das Gefühl, daß unser Land seinem westlichen Nachbarn um eine gute Pferdelänge auf dem Weg zum Sozialsfaat voraus ist. Allerdings muß man auch umgekehrt sagen, daß es in sozialen Fragen nicht nur für Deutsche in Oesterreich, sondern genau so gut für Oesterreicher in Deutschland zu lernen gibt. Während die SPOe noch immer dazu neigt, dsn ganzen Sozialismus' in der Verstaatlichung gipfeln zu sehen, erklärt Dr. Deist vor der SPD: „Sozialdemokratische Wirtschaftspolitik ist eine Politik der Freiheit. Sie lehnt alle totalitären Zwangssysteme ab. Zu ihnen gehört auch die zentral nach einheitlichen Plänen gelenkte Verwaltungswirfschaft, die praktisch alle entscheidenden Fragen befehlsmäßig reglementiert und damit ein Regiment der persönlichen Unfreiheit verkörpert. Freiheit der Konsumwahl und der Berufsplatzwahl dürfen nicht angetastet werden. Soweit in der modernen Industriewirfschaft freiwirfschaft-liche Tätigkeit und freier Wettbewerb möglich sind, sind sie zu erhalfen, zu schützen und nach Möglichkeit auszuweiten. Der freie Wettbewerb isf ein entscheidendes Mittel der sozialdemokratischen Wirtschaftspolitik.“ So beweglich und elastisch kann eine sozialistische Partei also auch in diesen Fragen bleiben, wenn sich keine Machfinferessen damit verbinden.

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