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RANDBEMERKUNGEN zur woche

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MISTER MAUDLJNG IN WIEN: Sir Reginald Maudling hat in Wien Besprechungen geführt. Drei Stunden lang, im Bundeskanzleramt, — Es geht, wir werden noch oft darauf zurückzukommen haben, um nicht mehr und nicht weniger als um die Zukunft unseres Landes. Um die politische und wirtschaftliche Freiheit Oesterreichs. Die österreichische Regierung ist bereit, bei der Schaffung der Europäischen Freihandelszone mitzuarbeiten. Dieser künftige Markt für 250 Millionen Europäer wird gröher sein als der Binnenmarkt der USA und der Sowjetunion. Bei den Wiener Besprechungen wurden bedeutende Uebereinstimmungen und Gegensätze festgestellt. Minister Dr. Bock führte aus: „Wir bejahen aus allen nur denkbaren Gründen das Zustandekommen der Freihandelszone, aber wir glauben, dalj dieses Werk für alle Beteiligten nur dann zu einem glücklichen Ende kommen kann, wenn die gegenseitige Rücksichtnahme auf nun einmal gegebene Besonderheiten möglichst weitgehend ist. Denn es kann nicht im Sinne der Integrationsbesfrebungen sein, ja es würde dem Begriff der Integration, die sich den wirtschaftlichen Aufstieg des freien Europas zum Ziel gesetzt hat, geradezu widersorechen, wenn man von einem Mitglied mehr Opfer verlangte, als eine Wirtschaft zu tragen imstande ist.“ Sir Maudling, britischer Generalzahlmeisfer und Vorsitzender des intergouvernementalen Rates der OEEC, betonte demgegenüber, dafj bei cllem Verständnis für Oesterreichs Interessen allzu viele Sonderwünsche dem Sinn des Werkes widersprechen würden: „Wenn man die Freihandelszone will, muh man auch den freien Handel wollen.“ In einem Vortrag machte er sodann darauf aufmerksam, dafj im Gefolge der wirtschaftlichen Zusammenarbeit die siebzehn Länder auch zu einer immer engeren politischeren Zusammenarbeit kommen werden. — Hier zeigen sich eine ganze Reihe offener Probleme: Oesterreichs Oeffentlichkeit isf brennend daran interessiert, ständig und genau über die Verhandlungen betreffs des Europäischen Marktes informiert zu werden. Den grofjen Chancen entsprechen grofje Gefahren. Oesterreichs Wirtschaft wird in vielem umgebaut und in allem intensiviert werden müssen, soll sie den Anforderungen gewachsen sein, die dieser Weltmarkt an sie stellen wird. Interessant ist die Aeufjerung Sir Maudlings, dafj die Eingliederung der Landwirtschaft in den gemeinsamen Markt noch unsicher sei. — Hier isf ein Ansatzpunkt, von dem aus andere Probleme anzugehen sind: die Umstellung unserer Industrie auf Produktionen, die wirklich und auf Dauer konkurrenzfähig sind mit der hochentwickelten Industrie nicht weniger prominenter Teilnehmer an der Europäischen Freihandelszone, die bekanntlich einige der höchstentwickelten Industrieländer der Welt umfafjt. Nur streng sachliche Arbeit, die über Partei-inferesse und Sonderinteressen hinaussieht, wird imstande sein, die politischen und wirtschaftlichen Perspektiven dieses schönen, grofjen und gefahrenreichen1 Projektes richtig anzuvisieren und eine Lösung ermöglichen, die auf drei Dinge Rücksicht nimmt: auf Oesterreichs politische und wirtschaftliche Freiheit — und auf Oesterreichs Neutralität.

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DAS TRIBUNAL WURDE ZUR SZENE. Haf sich Frau Justitia mitten im allgemeinen Faschingsfreiben die Freiheit genommen, einmal die Schellenkappe zu tragen? Die Frage mufjfe sich in der vergangenen Woche einem unbefangenen Beobachter des Kremser Prozesses gegen einen bekannten Schauspieler in einer äufjersf unappetitlichen Angelegenheit aufdrängen. Die Szene wurde keineswegs zum Tribunal, sondern — umgekehrt — das Tribunal wurde zur Szene. Zu einer Schwankszene jener billigen sogenannten „Heimatfilme“, von denen zwölf auf ein Dutzend gehen. Hier wurde der Gemütlichkeit in der Prozeßführung zweifelsohne zuviel Platz eingeräumt. Oder sind wir schon so weit, dafj die Gleichheit vor dem Gesetz, für die einst Generationen kämpften, heute zwar nicht vor dem Adel, aber dafür vor den Prominenten von Bühne, Film und den diversen Tratschblättern haltmacht? Trauriger Fortschritt! Frau Justitia wird jedenfalls gut tun, die Binde um die Augen dichter zu Schliefjen und das Schwert fester in die Hand zu nehmen. Nebenbei bemerkt: Sollte die Nachricht der Wahrheit entsprechen, dafj ein nicht das erstemal in der Oeffentlichkeit aufgefallener junger Mann — Sohn eines der höchsten Repräsentanten unseres Staates — es für besonders schick hielt, in der Verhandlungspause mit dem Angeklagten, auf der Anklagebank sitzend, zu parlieren, so wäre das, gelinde gesagt, eine Geschmacklosigkeit. Man darf vertrauen, dafj der Vater den Anlafj wahrgenommen hat, dem Filius richtig den Kopf zurechtzusetzen.

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SCHWERE INNERE AUSEINANDERSETZUNGEN

sind gegenwärtig in der Bundesrepublik Deutschland und in der „Zone“, der Deutschen Demokratischen Republik, im Gange. Schwere innere Auseinandersetzungen gibt es, wie gerade dieses Beispiel zeigt, sowohl in demokratischen Staaten wie in Diktaturen. Nur an den Früchten kann man sie erkennen: innere Kämpfe in freien Staafen führen, wenn sie ganz und frei ausgetragen werden, zu einer Integrierung der geg--rischen Meinungen und Positionen in einem grofjen Dritten; und sie führen in einer Diktatur zur Unterdrückung und Verdrängung

des Gegners, der als Todfeind denunziert, abgeurteilt wird, dergestalt zu neuer innerer Verarmung, Verengung und möglicherweise Häufung des Explosivstoffes. Die schwere, leidenschaftliche Auseinandersetzung zwischen Doktor Adenauer und CDU einerseits, der Opposition anderseits um die Fragen der Aufjen- und Wehrpolifik beginnt bereits positive Früchfe zu tragen. Die neuesten Vorschläge des Außenministers Brentano, die aufsehenerregenden Erklärungen des Bundestagspräsidenten Doktor Gerstenmeier zeigen, wie sehr man bereits im Schofj der Regierungspartei bemüht ist, sachlich Rücksicht zu nehmen auf die Einwände der Opposition. Genau entsprechend dieser inneren Offenheit für die Argumente des Gegners haben denn auch bereifs diplomatische Gespräche mit dem Botschafter Moskaus in Bonn eingesetzt... — Anders in Pankow. Der Selbstmord eines führenden Osf-Gewerkschafflers, Gerhardt Ziller, lenkte zum erstenmal das Auge der Weltöffentlichkeil auf die schweren Gegensätze in der Führung des Pankower Regimes, genauer, in der SED. Dreimal mufjfe nun im Jänner und Februar die Sitzung des Zentralkomitees, das diese Gegensätze „liquidieren“ sollte, verschoben werden, wobei sich zeigte, dafj die auf hartem, ja härtestem Kurs bestehende politische Führung (um Ulbricht) und die wirtschaftliche Führung dieses

Staates (um den stellvertretenden Ministerpräsidenten Selbmann und Leuschner, den Vorsitzenden der staatlichen Planungskommission) sich als Gegner gegenüberstehen. In Diktaturen pflegt die „reine Politik“ zu siegen; Ulbricht wird also, wie die Erklärung des Zentralkomitees über das versuchte Eindringen einer „opportunistischen Gruppe“ in die Führung der Partei zeigt, wieder einen seiner Pyrrhussiege feiern, seine Position stärken und das innere, fachliche, geistige i/nd wirtschaftliche Potential seines Staates weiter vermindern. „Opportunisten?“, als solche spricht die Presse und Parteipublizistik Pankows die Politiker Polens und Jugoslawiens an. Man wird nicht fehlgehen, wenn man den neuen Konflikt in der SED-Führung mit den Winden in Zusammenhang bringt, die aus Polen und vom Balkan her nach Ostdeutschland wehen., „.Dje Säuberungen alter pominenter Fühior der kommunistischen Elite — zur Festigung des Kurses Ulbrichts — zeigen, dafj man in totalitären Regimen gerade durch „Reinigungen“ nicht ins Reine kommt.

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KIRCHE UND STAAT IN UNGARN. Die Worte, die der Parteisekretär Kadar während der. kürzlich slatlgefundenen Parlamentssession an die Adresse der ungarischen Katholiken richtete, lassen eine Nachriehl, die kurz vorher durch die Presse ging* in einem etwas stärkeren Licht erscheinen. Kadar rief die Katholiken auf, sich der Volksdemokratie gegenüber loyal zu verhalfen. „Friedensversammlungen“ katholischer Priester, die in letzter Zeit in einigen Städten stattfanden, führte er als Beweise für das positive Verhalten der Bevölkerungsmehrheit gegenüber dem Regime an: Man sieht daraus, welche überaus schwerwiegenden Folgerungen man in Ungarn aus jeder noch so unverfänglich scheinenden Aeufjerung kirchlicher Kreise zieht. Man muh also hier fragen, ob die Politik des friedlichen Weges, welche die Bischöfe in Ungarn heute offenbar einer reinen passiven Resistenz vorziehen — blofj unter dem Druck der Verhältnisse oder aus freier Ueberlegung, wissen wir nicht —, ob diese Politik sich auch für die Kirche lohne oder nicht. In diesem Zusammenhang verdient die eingangs erwähnte Nachricht Aufmerksamkeif. Darin heifjt es: Laut kirchlicher Nachrichtenagentur „Magyar Kurir“ verliehen der Bischof von Veszprem, Bertalan Bada-lik, und der Bischof von Vac, Jozsef Pefery, das Budapester Spital für katholische Priester. Sie waren Mitte Dezember Anfang Jänner in Spitalspflege genommen worden. Nun ist zu wissen, dafj es sich dabei um jene beiden Mitglieder des ungarischen Episkopats handelt, die durch die Regierung in der Ausübung ihres Amtes bisher gehindert waren, und zwar Bischof Pefery seif etwa vier Jahren, Bischof Badalik seif einigen Monaten. Beide wurden wegen ihres intransigenten Verhaltens in der kleinen Ortschaft Hejce, nahe der tschechoslowakischen Grenze, interniert, Und man vernimmt jetzt Gerüchte aus Budapest, wonach der Spitalsaufenf-half der beiden ihre Freilassung eingeleitet haben solle, und dafj ihre schliefjliche Wiedereinsetzung auch wiederum zur Lösung des Mind-szenfy-Problems näherführen könne. Wie dem auch sei, beweist schon allein der Umstand, dafj solche und ähnliche Gerüchte über bestehende Kontakte zwischen Staat und Kirche zwecks Linderung der ärgsten Not zu Recht oder Unrech kursieren, wie es in Wahrheit um den inneren Frieden zwischen Katholiken und Regierung bestellt ist. Hier einen Wandel zu schaffen, bedarf es wohl mehr als Worte.

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