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Randbemerkungen zur woche

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HERZLICH BEGRÜSST VON DER ÖSTERREICHISCHEN BEVÖLKERUNG, traf Bundeskanzler Raab von seiner großen Fahrt nach den Vereinigten Staaten, Kanada und Frankreich wieder in Wien ein. Er selbst sagte in seiner ersten Rede nach seiner Ankunft: die Stimme Oesterreichs werde nie verstummen; diese Gewißheit nehme er mit aus Amerika. Die reiche Resonanz, die er bei Staatsmännern, im amerikanischen Volk, nicht zuletzt bei den vielen Auslandösterreichern fand, bestätigen ihm diese Hoffnung. Nun: als Stimme Oesterreichs war er selbst nach dem Westen gefahren, in einem kritischen Moment, in dem die Stimme unseres Volkes und Staates sehr in den Hintergrund gedrängt gewesen war durch andere, lauter klingende Stimmen, auch durch nicht wenige Gegner unseres Landes. — Führende amerikanische, französische und deutsche Blätter ‘sind sich darüber einig: Raabs Besuch in Amerika wurde bis kurz vor seiner Ankunft drüben, jenseits des großen Wassers, gewertet als eine der üblichen Vorstellungen fremder Regierungschefs, die, persönlich noch unbekannt, im Weißen Haus eine Antrittsvisite machen. Ein Höflichkeitsbesuch . . . Wenige Tage darauf war es ein Ereignis von weltpolitischer Bedeutung, unterstrichen durch das offene Eintreten des französischen Premierministers für Oesterreich vor dem Forum der UNO. Das gilt es für alle Zukunft festzuhalten: zwielichtige Freunde der österreichischen Freiheit und Unabhängigkeit liegen uns, auch int Inlande, Tag und Nacht in den Ohren: nur ja keine „Politik der Illusionen“ zu betreiben, nur ja nicht aufzufallen durch Bekundung eines eigenen Willens, nur ja „kein Porzellan zu zerschlagen“ durch freimütiges Erinnern der West- und Ostmächte an die Verpflichtungen, die sie Oesterreich gegenüber eingegangen sind. Der Besuch unseres Bundeskanzlers Raab hat gezeigt: uns steht dieses betonte Auftreten als „kleiner Mann“ und „kleines Land“ gar nicht gut. Es wird zudem nur ironisiert und verkannt. Wahre Bescheidenheit bekundet sich besser durch ein nüchtern offenes, beharrliches Vertreten des eigenen Rechts; durch Aufklärung von Freund und Feind über die großen Leistungen, die die ganze Welt Oesterreichs Kultur, Kunst, Technik und auch politischer Besonnenheit schuldet. Amerikas Volk hat schnell und instinktsicher in Oesterreichs Kanzler einen Mann erkannt, der ein würdiger Partner für ein Fair play ist, weil er gelassen und ruhig vertritt, wozu ihn sein Volk berufen und verpflichtet hat. — Es wird einer konsequenten, beharrlichen Fortsetzung der von Raab in die Wege geleiteten Neuorientierung des Westens über Oesterreichs Position in Europa und der Welt bedürfen, sollen diese wichtigen bahnbrechenden Anfangserfolge weiter ausgebaut werden. Solange es nicht gelingt, Amerika und dem Westen die geschichtliche Sendung Oesterreichs im Südostraum Europas als eines ehrlichen Maklers und Mittlers der vielen kleineren und kleinen Völker hier begreiflich zu machen, solange ist Oesterreichs Stellung im Konzert der freien Welt nicht gesichert, ja noch gar nicht Wirklich errungen. Es steht zu hoffen, daß nicht nur Oesterreichs Wirtschaft und Industrie, sondern auch Oesterreichs kulturelle und politische Vertretungen im Ausland die Reise Raabs sorgfältig auswerten. Die in jüngster Zeit so erfolgreich begonnene Aktivierung unserer Kulturpolitik durch dai Unterrichtsministerium, die soeben in Wien stattgefundene Konstituierung der Bünde und Verbände der Auslandösterreicher — seit vielen Jahren hat die „Furche“ auf den notwendigen Einsatz dieser legalen „Fünften Kolonne“ für Oesterreichs friedliche Weltmission hingewiesen —, läßt die berechtigte Erwartung zu, daß nun überall sich Hände und Hirne regen, ,um das Vertrauen zu rechtfertigen und die Hoffnungen zu erfüllen, zu denen der Kanzlerbesuch in Amerika Anlaß gibt.

DIE ERHÖHUNG DER ABGEORDNETENDIÄTEN hat manch böses Blut gemacht. Nein, wir wollen keineswegs einstimmen in den Chor einer einseitigen und — zugegeben — sehr populären Kritik. Der Abgeordnete soll auch materiell wirklich frei und unabhängig sein. Deswegen erscheint zunächst eine Erhöhung der Diäten von 4300 auf 7000 S durchaus diskutabel. Ja, selbst eine noch stärkere „Abrundung" nach oben ‘ würde bei allen ruhig denkenden Menschen keine Proteste auslösen, wenn Und jetzt blicken wir auf die Kehrseite der Medaille. Auf ihr ist zunächst- das Pr iv i- l e g i um der Steuerfreiheit eingraviert. Eine Schrift, die nicht gefallen will. Sollten nicht gerade jene Männer und Frauen, die über die von allen Staatsbürgern gemeinsam zu tragenden nicht unerheblichen Lasten beraten, am eigenen Leib die Auswirkung jedes einzelnen Beschlusses erfahren? Eine Maßnahme, die nicht unbillig wäre und die dem Vertrauensverhältnis des Mannes von der Straße zu jenen im Hohen Haus bestimmt sehr zuträglich wäre. Auch die nach der Zahl der im Parlament verbrachten Legislaturperioden zu berechnenden Abfindungen wollen nicht gefallen. Abgeordneter zu sein ist noch immer eine Auszeichnung, die man sich nicht in barer Münze ablösen läßt. Die Gefahr, daß diese Abfindungen den Charakter von „Schmerzensgeldern“ für Abgeordnete annehmen, die nicht mehr aufgestellt werden, liegt auf der Hand. Nein, es ist bestimmt nicht der „Neid der besitzlosen Klasse“, der gegen eine stärkere Polsterung der Brieftaschen unserer Abgeordneten murrt. Es ist eher das Gefühl der Redlichkeit, das sich getroffen sieht, wenn die Volksvertreter in eigener Regie sich „ent- nivellieren“. Und noch etwas: kaum wer die Erhöhung der Abgeordnetendiäten unter Dach und Fach, erlebten wir im Parlament einen üblen Radau.

Und Aafür noch „Büropauschale“ ? So fragt der berühmte „kleine Mann“. Der dumme, der un gebildete. Gewiß. Aber in einigen Jahren ist derselbe wieder Wähler. Der liebe, der vielumworbene .,,

DIE ÜBERRASCHUNG IN BAYERN lenkt das

Augenmerk aller Beobachter der innerdeutschen Entwicklungen auf sich. Entgegen den allgemeinen Erwartungen wurde die stärkste Partei in Bayern, die CSU, die Christlichsoziale Union, wie sich die bayrische Schwesternpartei der CDU nennt, aus der Regierung hinausgedrängt. — Das Drama um die CSU gibt zu denken. Trotz einer ganzen Reihe ehrenwerter Männer, an ihrer Spitze Ehard, der frühere Ministerpräsident, trotz vieler ehrenwerter Ziele, traf dieser Schlag eine Partei, die nach dem großen Wahlsieg Dr. Adenauers vor einem Jahr der Bayernpartei den Rat gegeben hatte, sich selbst aufzulösen, da sie keine Existenzberechtigung mehr besitze, und in der nicht wenige einflußreiche Leute das Ausbooten der Sozialdemokraten als Hauptziel verfolgten. — Das Ganze: ein Sturm im Wasserglas? Die friedlich verlaufene Angelobung der neuen Regierung hebt sich von einem sehr ernsten Hintergrund ab. Der größte westdeutsche Freistaat, Bayern, besitzt nunmehr eine Regierung, deren Führer gegen den Bonner Kanzler ist. Seine Außenpolitik wird also auch von dieser Seite her unter Druck gesetzt. Das trifft Europal Viele politisch interessierte Christen in Westdeutschland fragen sich heute: War das nötig? — Die CSU hat ohne Zweifel ihre Stärke überschätzt; sie versuchte einen streng p o s i- t i o n s katholischen Standpunkt durchzufechten und verkannte die wirkliche Lage In Deutschland nach 1945. Ihre weitgehenden kulturpolitischen und innenpolitischen Forderungen wären eher zu vertreten gewesen, wenn es nach 1945 in Deutschland zu einer sichtbaren starken Substanzbildung im christlichen Raum gekommen wäre. Das ist aber nicht geschehen. So erschien es immer mehr Menschen als eine „Anmaßung", daß hier Männer einer Partei sich allzu oft in ihren politischen Auseinandersetzungen mit ihren Gegnern auf Gott beriefen. Unglückliche Streiter erweckten bisweilen tatsächlich den Eindruck, als würde der liebe Gott im Freistaat Bayern nur durch die CSU, genauer, durch ihre sehr persönliche Auffassung der Leitlinie der CSU, vertreten. Reich Gottes in Bayern? Die Wirklichkeit sah dürftig genug aus: Fehden um jede kleine Stellenbesetzung, um diese protestantische Lehrerin und jenen Postbeamten, erbitterte parlamentarische Auseinandersetzungen um „kulturelle Skandale“, wie um das Abraxas-Ballett von Egk in der Staatsoper, die üblichen Sonntagsreden bayrischer Politiker bei kirchlichen Veranstaltungen, randvoll mit oft kleinlichen Angriffen auf politische Gegner — das alles warf schiefe Lichter und beschattete in der Oeffentlichkeit die echten positiven Leistungen der Partei, besser, der fähigen Männer, die sich ihr und mehr noch dem Volk und Staat voll und ganz in hingebungsvoller Arbeit zur Verfügung gestellt hatten Wir haben vor geraumer Zeit bereits darauf hingewiesen: der deutsche Katholizismus befindet sich in der Defensive, gewisse Offensiven sind in Wirklichkeit Rückzugs- und Verteidigungsgefechte. Die allzu naive und allzu massive Verbindung von Religion und Politik, von Kirche und Partei, hat keinem Lande wohlbekommen in den letzten 150 Jahren — Bayern bestätigt nur die Erfahrungen, die etwa Oesterreich schon etwas früher machen konnte.

„DER LÖWE VOM WATERBERG“ - so nennen seine Anhänger den neugewählten Ministerpräsidenten der Südafrikanischen Union und neuen Vor- sitzehden der herrschenden „Nationalen Partei“, Johannes Gerhardus S t r i j d o m, der gegen den Willen des abtretenden Dr. Malan zu diesen führenden Stellungen berufen wurde. Gegen den Willen: denn Malan hat bei allem Burismus die großen weltpolitischen Zusammenhänge nie ganz aus dem Auge verloren. Die Wahl Strijdoms bedeutet: Ausschaltung des Vetos der Obersten Gerichte und damit des staatsrechtlichen Hindernisses zur Vornahme grundlegender politischer Umgestaltungen, Angliederung der bisher außerhalb der Union stehenden, von Negern bewohnten britischen Protektorate Be- tschuanaland, Swasiland und Basutoland. Vor allem Fortsetzung und Ausbau der Rassenpolitik, die Strijdom nicht mehr Apartheid, sondern sehr deutlich „Baasskap“ (Herrschaft) benennt. Kurz: ein integraler bunsch-nationaler Kurs, gestützt auf etwas über eine Million „Afrikander“, also ein Zehntel der Bevölkerung der Südafrikanischen Union. Schließlich: Umwandlung dieses Staates in eine Republik und Austritt aus dem Commonwealth. Es steht viel für den „weißen Mann“ auf dem Spiel, wenn Strif- doms Versuch mißlingt, die Pyramide auf die Spitze zu stellen und sie bei innen- oder weltpolitischen Spannungen im Gleichgewicht zu halten. Ein Mißerfolg könnte Europas Einfluß im letzten benachbarten Erdteil, in welchem es noch Pionieraufgaben ausübt, in welchem es gegen seine Industrieprodukte Rohstoffe einhandelt, zerstören. Denn mit einem Scheitern der extremen Rassenpolitik ginge der Rest des Prestiges, das der „Weiße“ heute beim „Farbigen“ noch besitzt, verloren, und die europäischafrikanischen Besitzungen und Einflußgebiete wären nicht mehr zu halten Gegen die Zeit, gegen den reißenden Strom schwimmen? Der Einsatz ist ungemein hoch, entspricht ihm auch der mögliche Gewinn? Selbst vom Standpunkte der Afrikander? Wir bezweifeln es.

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