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RANDBEMERKUNGEN ZUR WOCHE

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ZUM VERTRAGSABSCHLUSS. Am 15. Juni wurde in Wien der „Vertrag zwischen der Republik Oesterreich und der Bundesrepublik Deutschland zur Regelung vermögensrechtlicher Beziehungen” durch die Außenminister der beiden Staaten unterzeichnet. Der Vertrag tritt einen Monat nach der noch ausstehenden Ratifikation in Kraft, vermutlich erst im Spätherbst. Wie dem in der amtlichen „Wiener Zeitung” vom 16. Juni veröffentlichten Wortlaut zu entnehmen ist, enthält der Vertrag neben großzügigen Zugeständnissen an den deutschen Partner auch einige wichtige Bestimmungen zugunsten österreichischer Gläubiger. Es ist nicht weit gefehlt anzunehmen, daß die seinerzeitige Presseerörterung auf das Ausmaß dieser österreichischen Begünstigungen Einfluß genommen hat. Die „Furche”, die an dieser Diskussion initiativ beteiligt war und dabei von einigen Blättern wertvolle Unterstützung erhielt, vermerkt dies mit Genugtuung. Dagegen müssen leider unsere gleichfalls damals geäußerten Vorbringungen gegen einzelne Formulierungen aufrecht bleiben. Jede weitere Erörterung ist im gegenwärtigen Zeitpunkte praktisch unwirksam geworden.

ÖSTERREICH UND DEUTSCHLAND TRETEN IN EINE NEUE PHASE IHRER BEZIEHUNGEN EIN.

Der Staatsbesuch des Bonner Bundeskanzlers im Juni 1957 in Wien wird, so hoffen wir es, in diesem Sinn in die Geschichte eingehen. Die Grundlage der neuen deutsch-österreichischen Freundschaft, die an die Stelle unglücklicher Annäherungen und Entfremdungen in der Vergangenheit tritt, ist die Anerkennung der österreichischen Souveränität, Unabhängigkeit und Neutralität durch Deutschland: Oesterreich wird dieses wichtige Bekenntnis des deutschen Bundeskanzlers nie vergessen. Hier wird wirklich ein Schlußstrich gemacht, gewagt. Die beiden Regierungschefs bekennen sich zu einer Politik des Friedens und der Erhaltung des Friedens und zur Verbundenheit in Europa: Das freie und freiheitliche, christlich-abendländisch fundierte Europa, der größere Raum, in dem die beiden Vaterländer, Deutschland und Oesterreich, Platz und Aufgabe zu echtem, eigenständigem Wachstum haben. Oesterreich verfolgt in diesem Sinne die Bemühungen um die deutsche Wiedervereinigung mit aufrichtiger Teilnahme und Interesse als Teil eines wesentlichen Ringens um die Entspannung in Europa. Der Bonner Staatsbesuch in Wien, dem, wie er freimütig bekannte, Doktor Adenauer mit einiger Bangnis entgegengesehen hatte, fand eine rechtliche Krönung dureb,fdie Unterzeichnung eines Vertrages über , das Deutsche Eigentum durch die beiden Außenminister. Ein jahrelanges Ringen steht hinter diesem Vertragsabschluß, von dem oben bereits die Rede ist: große politische und wirtschaftliche Interessen beiderseits. War doch Oesterreich bereits lange vor Hitler von Kreisen der deutschen Industrie und des Kapitals als eine wichtige Bastion in Mitteleuropa ausgebaut worden. Was innenpolitisch für das heutige Westdeutschland in den ersten Jahren nach dem Kriege die (seither wieder rückgängig gemachte) Entflechtung der Machtgebilde der Schwerindustrie, von Kohle, Eisen, Chemie, bewirken sollte, das stand hier, im Letzten, zur Debatte, obwohl nicht allzu oft davon gesprochen wurde: die Entflechtung von Wirtschaftsmacht und politischer Macht. Es war der gute Sinn des österreichischen Staatsvertrages, durch seine Bestimmungen zu verhindern, daß Oesterreich wirtschaftlich-politisch der Ueber- macht eines ausländischen Potentials ausgelie- ferf werde. Ein neuer Start also für die Wirtschaft! Im kulturellen und geistigen Leben hat er bereits sfattgefunden. Die politische Absprache zwischen den beiden Bundeskanzlern hat ein Vertrauensverhältnis geschaffen, das gerade für Oesterreich von besonderer Wichtigkeit ist: hängt doch sehr viel davon ab, ob gerade Deutschland Oesterreichs eigene Wege und Aufgaben im Donauraum und Europa richtig versteht und als einen unersetzlichen Beitrag für ganz Europa würdigt.„FRACK UND ORDEN” beschäftigen zur Stunde als Kardinalthema die sozialistische Publizistik. Soll man sie tragen … soll man zu Hause bleiben, wenn das Protokoll und die Höflichkeit gegenüber den Gästen sie vorschreiben: diese weittragenden Fragen werden zur Zeit mit einem doktrinären Ernst erörtert, wie einst einmal vielleicht die Frage des „Mehrwerts” und der „Akkumulation des Kapitals”. Schuld an allem ist der Adenauer-Besuch in Wien. Bei den großen Staatsempfängen zierte nämlich die ominöse Bekleidungsvorschrift „Frack und Orden’ die Gästekarten. Zugegeben: die frühzeitigen Hundstage hätten es im Interesse aller Beteiligten und nach gegenseitiger Liebereinkunft angeraten sein lassen, das Protokoll zwar zu verletzen und zur allgemeinen Erleichterung die steife Hemdbrust mit dem Smoking zu vertauschen. Allein: aus dem nun einmal in der gesitteten Welt zum Arbeitskleid der Diplomatie gehörenden Frack einen Popanz zu machen, gegen den man mit eingelegter Lanze ins Feld zieht, das scheint uns doch eine höchstens für das breite Publikum berechnete Don Quichot- terie. Soweit der Frackl Und die Orden? Nun: man könnte sich vorstellen, daß man — wie die Schweiz — überhaupt auf sie verzichtet. Das hat aber die Republik Oesterreich nicht getan Nicht wenige Sozialisten besitzen heute hohe und höchste staatliche Orden. Sie wie alle anderen Besitzer wollen diese aber gewiß nicht allein im Schreibtisch ensargen — sondern auch gelegentlich ausführen. Das geht aber einmal in der zivilisierten Welf nur — so man nicht Soldat ist — zum Frack. Probleme über Probleme… Wir sehen schon Spalten der „Zukunft” und der „A.-Z.” diesem gravitierenden Fragenkreis gewidmet. Unsere Meinung ist dagegen einfach: Vor die Wahl gestellt, an der Spitze des Staates Männer in braunen, grünen, blauen oder andersfarbigen Hemden oder solche in Frack zu sehen, stimmen wir für die letzteren.

DIE ABRÜSTUNGSVERHANDLUNGEN IN LONDON freien auf der Stelle: der Westen ist noch nicht so weit, den russischen Vorschlägen mit einem gemeinsamen Plan gegenübertreten zu können. Das ist der Hintergrund der „sanften Zurechtweisung des amerikanischen Abrüsfungsdelegierten Stassen durch Dulles. Stassen war mit den Russen bereits weitgehend handelseinig geworden. Es ist also nicht einfach so, daß Washington auf Initiative Bonns allein hin Stassen zurückpfiff. Auch Frankreich und England wirken retardierend auf die amerikanisch-russische Annäherung ein, zumal in der Frage einer Luffinspektion Europas. So dürfte es vorläufig weder zu einer Inspektion der Arktis noch Europas, wohl aber zu einer sehr „milden” Herabsetzung der Rüstung konventioneller Waffen und zu einer zeitlich sehr knapp befristeten Einstellung der Atomwaffenversuche kommen. Die Russen wollen eine viel längere Aussetzung der Atombombenversuche und eine viel weitergehende Abrüstung, da sie einerseits genug Waffen haben, anderseits alle Kräfte für die Er-

Schließung ihrer riesigen Gebiete in Asien ersetzen wollen, wie die innerpolitische Abrüstung, die Auflösung der Zenlralministerien, zeigt. Moskau setzt zugleich seine Offensive zur Gewinnung Amerikas fort: gegenseitige Flottenbesuche und ein umfangreiches Programm des Kulturaustausches (ein ähnliches hat ės eben England vorgeschlagen) auf strenger Gegenseitigkeit soll dieses Bündnis der Zukunft, vor dem nicht nur Westeuropäer Sorge haben, das aber in Asien weitgehend begrüßt wird (so in indischen und japanischen Kreisen), vorbereiten. — Es ist heute noch nicht an der Zeit, die positive und negative Bedeutung der europäischen Hemmungen dieses Welfausgleiches würdigen zu können. Immer dringender erhebt sich aber angesichts dieser Tatsache die Frage: Wird Europa, das freie Europa, zu einer gemeinsamen Welfpolitik finden oder wird es, als ein Bündel von Hemmungen, ohne eigene konstruktive Vorschläge und ohne eigene Initiativen, zwischen Amerika und Rußland hin und her schwanken? Mit der großen Angst allein — und zwar sowohl vor einer „Schwenkung” des großen Verbündeten, der USA, wie vor dem großen Gegner, der UdSSR — läßt sich keine Welfpolitik machen. Amerikanische europafreundllche Experten haben letzthin ihre europäischen Freunde darauf hingewiesen, daß auch Europa auf Amerika Rücksicht nehmen muß: und zwar auf den Primaf, unter dem jede amerikanische Außenpolitik steht: er heißt Frieden und Sicherheit.

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