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Deutsche und Polen

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In Oesterreich ist bis zum Untergang der Habsburgermonarchie das Verhältnis zwischen ihren deutschsprachigen und polnischredenden Angehörigen gut und, mit Ausnahme der kurzen Episode Badeni, von Trübung frei geblieben; der Gegensatz zwischen den Polen und der Dynastie hatte sich verflüchtigt. Franz Josephs „My rozumiemy sif“ („Wir verstehen einander“) an die Deputation galizischer Parlamentarier hatte zur Antwort: „Przy Tobie stoimy, Najjasniejszy Panie, i staC chcemy“ („Hinter Dir stehen wir, AHerdurchlauchtig-ster'H'err, und wollen wir stehen“). Diese Fakten sind durch keine späteren Interpretationskunststücke aus der Welt zu schaffen. Der' Polenklub war bis weit in den ersten Weltkrieg hinein, zusammen mit. den deutschen Parteien, die nicht vom Pangermänismüs angekränkelt waren, die stärkste Stütze des Habsburgerreiches im sogenannten Zisleithanien. Man darf auch daran erinnern, daß der Kaiser Mäzen der bedeutendsten polnischen Künstler war (Matejko, Grottger, Falat, Pochwalski), daß' Polen über Wien den regsten Kontakt mit der deutschen Literatur pflegten (so der beiden Schrifttümern einzuordnende Tadeusz Rittner), daß der wissenschaftliche deutsche Einfluß ebenfalls über Wien den Weg nahm.

Aehnlich verhielt es sich nun auch mit Deutschland, soweit es nicht vom Geist des Hakatismus, der preußischen Polenverfolgung, ergriffen wurde. Polnische Maler (Brandt), Dichter (Przybyszewski) fanden in München, polnische Schriftsteller, vom seinerzeit vielgelesenen: Kraszewski bis zum bedeutendsten Dramatiker der vorigen Generation, Karol Hubert Rostworpwski, in Sachsen fruchtbare Anregung und freundschaftliche Aufnahme. Was aber Preußen betrifft, so heißt es auch da sich des polnischen Sprichworts entsinnen, daß der Teufel nicht (immer) so schwarz ist, wie man ihn malt. Erst seit den neunziger Jahren und mit ganzer Kraft seit der Jahrhundertwende ist eine „Erbfeindschaft“ zweier Nachbarvölker in steigendem Maße Wirklichkeit geworden. Dann kam der erste Weltkrieg.

Deutschlands Niederlage bescherte den Polen ihren wiedererstandenen unabhängigen Staat. Das hat sich hüben und drüben eingeprägt. Auch ohne daß der Korridor einen chronischen Zankapfel zwischen beiden Ländern gebildet hätte, war aus dem Denken der breiten Massen das Dilemma schwer auszuschalten: entweder erstarkt Deutschland wieder, dann ist Polens Selbständigkeit gefährdet, oder diese soll gesichert bleiben, dann muß Deutschland schwach sein. Diesem verhängnisvollen Trugschluß suchten verschiedene Bemühungen zu begegnen. Ich erinnere mich meiner damaligen Kontakte mit Kardinal Hlond — eine meiner Unterredungen mit diesem Kirchenfürsten habe ich in der „Reichspost“ veröffentlicht —, mit Graf Brockdorff-Rantzau, ferner mit mehreren führenden deutschen und polnischen Politikern und Wirtschaftsleuten, die sich alle in camera cari-tatis sehr aufgeschlossen zeigten, jedoch vor entscheidenden Schritten in der Oeffentlichkeit zurückscheuten. Die deutsch-polnische Annäherung ist später unter ganz anderen Vorzeichen, mit bewußter Spitze einerseits gegen Frankreich, anderseits gegen die Sowjetunion, zustande gekommen. Das Abkommen Hitlers mit Pilsudski von 19?4 war von keiner Seite aufrichtig gemeint. Es bedeutete nur einen Waffenstillstand,den der Stärkere zum ihm passenden Zeitpunkt brach.

Schweigen wir über den zweiten Weltkrieg, über die Okkupation Polens. Niemand hat dazu treffendere Worte gesagt als der deutsche Bundespräsident Professor Heuß, in dessen gesammelten Reden man das Wesentliche zu diesem Thema nachschlagen soll. Schweigen wir auch von dem, was sich nach Kriegsende in den Gebieten ereignet hat„ die in der Deutschen Bundesrepublik als „unter polnischer Verwaltung stehend“ registriert werden, die aber für alle Polen deren „rückgewonnenen Westgebiete“ sind. Betrachten wir lieber die Gegenwart und die Zukunft.

Deutsche und Polen müssen miteinander ins Gespräch kommen. Sie sind es ja schon. Carlo' Sclimid, einer der klügsten deutschen Parteiführer, weilte in diesen Tasrert als Gast der Warschauer Universität in Polen. Er hat dort die wichtigsten Männer des öffentlichen Lebens getroffen, und wir besitzen Grund zur Annahme, daß er mit ihnen eine sehr offene Aussprache gepflogen hat. Schon vordem war D e h 1 e r in der Sirenenstadt an der Weichsel gewesen. Beide deutschen Parlamentarier, der Sozialist und der Liberale, haben ebenso wie der Bundestagspräsident und CdU-Mann G e r-stenmaier eindeutig betont, eine sachliche und alsbald freundschaftliche Auseinandersetzung mit Polen sei möglich, also notwendig. Im gleichen Sinne haben sich führende Wirtschaftsleute geäußert, mit denen ich bei einem Aufenthalt in Westdeutschland vor kurzem zusammenkam. Unvergeßlich wird mir das warme Plädoyer des Präsidenten der Deutschen Außenhandelstelle in Frankfurt und maßgebenden Mitglieds der deutschen Wirtschaftsdelegation für Polen, Z ö r n e r, sein, der in enger Zusammenarbeit mit diesem Lande nicht nur eine beiden Partnern wertvolle Perspektive der Industrie und des Handels sah, sondern auch ein sittliches Gebot und eine heilsame politische Tat. Aehnlichen Ansichten begegnet man in einer Reihe maßgebender deutscher Blätter, wie der „Welt“ und der „Süddeutschen Zeitung“, weithin in Universitätskreisen und bei den Gewerkschaften. Es kann nicht genug unterstrichen werden, daß dieses Bedürfnis nach einer Verständigung mit Polen bei allen im Bundestag vertretenen Parteien anzutreffen ist. Allerdings gibt es auch bei allen drei parlamentarischen Fraktionen Gegner dieses Standpunkts. Am meisten sind ihm, aus begreiflichen Ursachen, Heimatvertriebene feind — auch deren Wortführer an höchster westdeutscher Stelle —, die sich eine Aussprache ohne vorherige Wiederherstellung der Grenze von 1939, wenn nicht von 1919, kaum vorstellen können und die sich nur durch die mehr oder minder friedliche Lösung dieses Problems, die sie wünschen, voneinander unterscheiden. Dagegen nehme man die ostentativ abweisende oder wenigstens kühl-reservierte Haltung anderer offizieller Bonner Sphären nicht allzu tragisch. Wer verhandeln will, glaubt, nach alter diplomatischer Tradition kein Anzeichen dafür geben zu dürfen.

Auf polnischer Seite befolgt man eine ähnliche Taktik. Ob beide Regierungen dabei weise vorgehen, bleibe dahingestellt. Verfehlt ist es jedenfalls, und es kann sich höchst schädlich auswirken, wenn hier wie dort eine Pressekampagne betrieben wird, die den eventuellen Gesprächspartner im schwärzesten Licht zeigt.

Denn, so wiederholen wir, der Moment ist günstig und darf nicht vergeudet werden. Er ist günstig, denn die Sowjetunion — von der Störungen ausgehen können, die nicht so einfach abzublasen sind — hat derzeit alles Interesse, der polnischen Außenpolitik größeren Spielraum zu lassen, zumal auf wirtschaftlichem Terrain. So ist beispielsweise die neue amerikanische Dollarhilfe von 98 Millionen sowje-tischerseits, ob aufrichtig, das sei dahingestellt, begrüßt worden. Auch zum Anbot direkter Pourparlers mit Bonn, das der polnische Außenminister Rapacki gemacht hat, wurde das Placet des Kremls im voraus gegeben; vermutlich in der Hoffnung, ja in der Gewißheit, daß daraus nichts werden würde. Da halten wir nun bei dem bereits historisch gewordenen Plan, den man nicht einfach als Schachzug Chruschtschows einstufen darf, der vielmehr von Haus aus einer geschickten eigenständigen Initiative des Warschauer Außenministeriums entsproß. Minister Rapacki ist ein „Christkindl“, am 24. Dezember geboren — übrigens auch in dem Sinne, daß er einer gut katholischen Kleinadelsfamilie entstammt. Hat er seiner Heimat,der Welt mit ebendiesem Projekt etwas Gutes beschert, wie dessen Lobredner unablässig beteuern, oder nur eine schöne Bescherung angerichtet, wie das die von vornherein ablehnende Gegenseite behauptet? Uns will dünken, daß sich in diesem Vorschlag unbedingt Anknüpfungspunkte finden, die nicht mehr ausgelöscht werden können, und daß sie zu einem deutsch-polnischen Gespräch führen sollten. Wir haben knapp umrissen, welche Voraussetzungen dazu vorhanden sind und welchen Hemmnissen es begegnet.

Hätte man nicht eine weitere Möglichkeit zu erwägen? Die Zeit ist zu ihr reif, und d i e s e Eventualität stößt weder auf die Widerstände diplomatischer Taktik noch auf die eines Teils der noch mehrfach propagandistisch versuchten öffentlichen Meinung. Wäre nicht an einen privaten Gedankenaustausch zwischen Politikern, Gelehrten, Wirtschaftsführern, Publizisten, Schriftstellern, Gewerkschaftern zu denken? An ein zwangloses Treffen, das nichts weiter zu vollbringen hätte, als ■ gegenseitige Vorurteile zu mildern oder sie zu beseitigen und das ferner ständige engere Kontakte anbahnen sollte? Dagegen dürften weder die USA noch die UdSSR etwas einzuwenden haben, und von den zunächst interessierten Regierungen in Bonn und in Warschau wäre zu erhoffen, daß sie Zumindestens dem Treffen keine Schwierigkeiten bereiten.

Zeigt sich hier nicht eine dankbare Aufgabe für Oesterreich? Für das. inoffizielle eher als für die mit Recht behutsamen, zurückhaltenden amtlichen Stellen, von denen freilich zu erwarten ist, daß sie eine deutsch-polnische Begegnung, etwa in Wien, nicht nur gewähren ließen, sondern daß sie derlei auch wohlwollend betrachten würden. Wir haben auf die Eintracht hingewiesen, die in der Habsburgermonarchie zwischen Deutschen und Polen herrschte; wir dürfen nicht minder der klaglosen Beziehungen gedenken, die zwischen der Republik Oesterreich und der wiedergeborenen Rzeczpospolita obwalteten. Heute wie ehedem sind zwischen beiden Staaten die Bande echter Sympathie vorhanden. In den letzten Jahren hat man das, nach einer Unterbrechung in der Aera des Polen bedrückenden Stalinismus, oft und sichtbar bekräftigt. Die Stadt, an deren Pforten der große Polenkönig Jan Sobieski gemeinsam mit zwei deutschen Kurfürsten Europa vor einer sonst unausbleiblichen Katastrophe gerettet hat, wäre wie kaum eine zweite dazu prädestiniert, die Geburtstätte einer segensreichen, dauernden harmonischen deutsch-polnischen Nachbarschaft zu werden.

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