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Unüberhörbare Signale

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Der Papst ist wieder im Vatikan. Aber er hat die geistige Landschaft in Polen, in Osteuropa und darüber hinaus verwandelt. Die Millionen Landsleute, die ihm in Warschau, Gnesen, Tschen-stochau, Auschwitz, Wado-wice, Nowy Targ, Nowa Huta und Krakau zugejubelt haben, gehen wieder ihrer täglichen Arbeit nach. Aber in ihnen brennt eine Hoffnung, die kein Politiker des Ostblocks (oder der Westwelt) in den Massen hervorzurufen versteht: die Hoffnung, daß es jenseits von Produktion, Arbeit und materiellem Wohlergehen eine andere, tiefere Dimension des Menschseins gibt.

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Der Papst ist wieder im Vatikan. Aber er hat die geistige Landschaft in Polen, in Osteuropa und darüber hinaus verwandelt. Die Millionen Landsleute, die ihm in Warschau, Gnesen, Tschen-stochau, Auschwitz, Wado-wice, Nowy Targ, Nowa Huta und Krakau zugejubelt haben, gehen wieder ihrer täglichen Arbeit nach. Aber in ihnen brennt eine Hoffnung, die kein Politiker des Ostblocks (oder der Westwelt) in den Massen hervorzurufen versteht: die Hoffnung, daß es jenseits von Produktion, Arbeit und materiellem Wohlergehen eine andere, tiefere Dimension des Menschseins gibt.

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Zum Abschied umarmten sie sich, der römische Papst und das kommunistische Staatsoberhaupt - zwei Polen. Die Anspannung von neun Tagen war einem Augenblick der Erleichterung gewichen.

Nichts hatte das prekäre innere Gleichgewicht des Landes erschüttert, fromme Harmonie und nationale Eintracht hatten auch manches geistliche Kraftwort verkraftet. Auf keiner der Stationen dieser päpstlichen Pilgerreise, die sich - so Staatsratspräsident Jablonski - „den Herzen aller

Polen eingeprägt haben“, hatte das begeisterte Volk an den Grenzpflök-ken gerüttelt, die für Polen inmitten des Ostblocks gesteckt sind.

Und doch war die Herausforderung dieses Papstes, die geistige und damit ideologische, allgegenwärtig, sie hat mit kühnem, durchaus religiösem Elan und zugleich mit diplomatischer Klugheit Türen aufgestoßen, von denen heute noch niemand mit Sicherheit sagen kann, welche Zukunft sich hinter ihnen öffnet - nicht nur für Polen und auch nicht für die Papstkirche.

Diese hat hier, am neuralgischsten Punkt der geistigen Ost-West-Trennungslinie, ein Zeichen ihrer Selbstbehauptung, aber auch ihrer Versöhnlichkeit gesetzt. Sie hat dabei keineswegs ihr pastoral-diplomatisches Konzept verlassen, um zu einer Offensive in dem Sinn überzugehen, wie sie manche antikommunistischen Romantiker des Westens verstehen. Die Heimat des polnischen Papstes, die bislang als katholischer „Sonderfall“ stets etwas außerhalb vatikanischer Ostpolitik blieb, ist vielmehr zu deren eigentlichem Testplatz geworden, von dem nun für ganz Osteuropa unüberhörbare Signale ausgegangen sind.'

„Das war ein Akt großen Mutes beider Seiten“, sagte Johannes Paul II. in seiner Rede vor dem Abflug aus Krakau und fügte einige Sätze hinzu, die auch die letzten

Zweifel über seine Motive zerstreuen mußten:

„In Zeiten wie den unseren braucht man solchen Mut, muß man es manchmal wagen, in Richtungen zu gehen, die bisher niemand ging. Unsere Zeit hat ein ungeheures Bedürfnis nach solchem Zeugnis, das dem Willen zur Annäherung zwischen den Völkern und Systemen, dieser unerläßlichen Bedingung des Weltfrie--dens, deutlich Stimme verschafft. Das erfordert, daß wir uns in keinerlei steife Grenzen einschließen, wenn es um das Wohl des Menschen geht. Er muß überall die Gewißheit seines Vorrangs haben, in jedem Bezie-hungs- und Kräftesystem. Aus eben diesem Grund danke ich für diesen Besuch und wünsche mir, daß er diesem Ziel dient...“

Freilich, dem Papst und der gastgebenden polnischen Kirche war es viel leichter, solches Risiko auf sich zu nehmen, als den Warschauer Kommunisten, deren Mitwirkung mehr einer Notwendigkeit als ihrer Neigung entsprach. Und doch spielte gerade sie keineswegs eine Nebenrolle in der Grundkonzeption dieser Papstreise, ja sie (und durch sie die Kremlherren) waren die eigentlichen Adressaten dieser päpstlichen „Ostmission“.

Die „Einladung zum Dialog“, zur Versöhnung auf der Basis der religiösen Menschenrechte, wie sie Papst Wojtyla am letzten Tag vor mehr als einer Million Menschen auf der Krakauer Aue noch einmal bekräftigte, galt vor allem ihnen. Ähnlich wie er schon zu Beginn seines Pontifikates letzten Herbst aller Welt zugerufen hatte, die Grenzen - vor allem die geistigen - zu öffnen, so wiederholte er es jetzt mit der feierlichen Versicherung: „Denkt daran, es gibt keinen Imperialismus der Kirche! Man braucht keine Angst zu haben!“

Und doch blieb während dieser langen Woche die Furche unübersehbar, die in der Courage der Warschauer Kommunisten steckte, ja geradezu die Grundlage ihres Mutes zum Risiko war. Sie mußten ja in diesen Tagen wie nie zuvor die Glaubensinbrunst eines ganzen Volkes respektieren und zugleich versuchen, diese Kraftquelle auf dem Umweg des Patriotismus für ihre leidige Aufgabe zu nutzen, dieses katholischste

Land der Welt zu verwalten und zu regieren.

Nie zuvor war der „Geist der Toleranz in Polens Geschichte“, die Tatsache, daß es „aus eigener Erfahrung keine Religionskriege kennt“ (wie Staatspräsident Jablonski unterstrich), so ehrlich beschworen worden wie jetzt - einfach weü an jedem dieser Tage des Papstbesuches eben diese Tradition auf eine harte Probe gestellt wurde.

Auf der einen Seite war für die polnische Kirche die Versuchung noch nie so groß gewesen, den gefährlichen Schritt von der Demonstration eines gläubigen Selbstbehauptungswillens zum kurzsichtigen Triumph über die atheistische Staatspartei zu tun. Anderseits wurde der Minoritätskomplex einer Diktatur, die noch nie echt diktieren konnte, einer paradoxen Belastung ausgesetzt:

Nur dank ihrer loyalen Zusammenarbeit mit kirchlichen Instanzen, ihrer riesigen organisatorischen Anstrengungen (vom großen, aber diskreten Polizeiaufgebot bis zur nie versiegenden Versorgung mit Essen und Trinken) ist es gelungen, die in Bewegung gesetzten Millionenmassen ohne bemerkenswerte Zwischenfälle zu bewältigen. Der Priester im Chorhemd, der im Milizauto saß und den Polizeilautsprecher bediente, wurde dafür zum Symbol...

Noch ist es zu früh, abzuschätzen, was davon bleiben wird. Eine neue Phase des Verständigungsversuches zwischen Staat und Kirche unter Führung der vatikanischen Diplomatie (die jetzt ein polnischer Papst leitet) ist jedenfalls in absehbarer Zeit zu erwarten.

Daß Moskau dies tolerieren könnte, dafür sprechen manche Anzeichen, nicht zuletzt die Tatsache, daß Bischöfe aus anderen Ostblockländern nach Krakau reisen durften -sogar der Prager Kardinal, ja drei Bischöfe aus den baltischen Sowjetrepubliken. Diese freilich durften nicht (oder wagten es nicht) öffentlich auftreten.

Ein Zeichen dafür, auf welch schmalem Grat sich die Pastoralpolitik des Vatikans im Osten auch nach der Polenreise Johannes Pauls II. weiter bewegt.

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