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„Er wird ein großer Papst sein“

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Die grauen Mauern der vielen Kirchen in der Krakauer Altstadt haben in diesen Tagen nicht nur etwas Ehrwürdiges, sondern auch etwas Festliches an sich. Von den Kirchtürmen hängen lange Fahnen, die der frostige Herbstwind hin und her weht: die rot-weiße Fahne Polens und die gelb-weiße des Vatikans. Auch die Krakauer Kathedrale auf dem Wawel, Krönungskirche und Mausoleum der polnischen Könige, hat diesen weithin sichtbaren Festschmuck - Zeichen eines außergewöhnlichen Ereignisses für die Katholische Kirche Polens.

Dieser Sonntagvormittag in Krakau ist anders als alle anderen Sonntage, anders als alle anderen Tage. Wo sich sonst Menschenmassen in den mittelalterlichen Gassen und Straßen aneinander vorbeischlängeln, wo sich sonst Menschentrauben vor den Eingangstoren der Kirchen bilden, sieht man an diesem naßkalten Herbstsonntag nur vereinzelt Touristen in dicken Pullovern und Wintermänteln, die die Sehenswürdigkeiten der Stadt photographieren. Die Bewohner Krakaus sitzen indessen in ihren Wohnstuben vor den Fernsehapparaten.

Nicht, weil sie das unfreundliche Herbstwetter vom Verweilen im Freien abschreckt, sondern weil sich im staatlichen, von der Kommunistischen Partei Polens kontrollierten Fernsehen ein geradezu epochales Ereignis abspielt. Zum ersten Mal seit Bestehen des polnischen Fernsehens sehen die Menschen der Volksrepublik auf ihren Bildschir-

„Wir haben Kardinal Wojtyla für uns in Krakau verloren. Jetzt ist er für die ganze Kirche da.“

men Aufnahmen von einem kirchlichen Ereignis. Noch dazu von einem, das die Polen im allgemeinen und die Krakauer im besonderen betrifft: Ihr Erzbischof Kardinal Karol Wojtyla wird in Rom in das Amt des Papstes eingeführt.

Auch in der Szmanowskiegestraße bei Familie Planeta hört man aus dem Fernseher die kirchlichen Chorgesänge aus Rom. Die Mutter hat ihren Sessel unmittelbar vor den Bildschirm gerückt und sieht andächtig dem Geschehen auf dem Petersplatz zu. Jedesmal, wenn Papst Johannes Paul II. spricht, läßt sie ihren Gefühlen freien Lauf. Sie weint, wischt sich die Tränen aus den Augen, schluchzt laut. Während der Papst den Segen gibt, kniet sie nieder und bekreuzigt sich. Es kann lange dauern, bis sie ihren geliebten Kardinal wieder einmal so unmittelbar erleben kann.

Die Polen sind stolz, daß einer aus ihren Reihen zum obersten Hirten der Katholischen Kirche bestimmt wurde - die Krakauer überstolz. „Er wird bestimmt ein großer Papst sein“, sagt Herr Planeta zu uns, und auch seine Frau nickt zustimmend. Im Hotel Orbis in der Altstadt Krakau, wo die meisten ausländischen Journalisten untergebracht sind, erzählt ein Reporter einer deutschen Zeitung, daß selbst Kommunisten in den Parteistuben die Wahl Wojtylas als großes Ereignis für Polen deuten. Ein KP-Mitglied, habe ihm erklärt, daß die Polen drei große Männer für die Weltgeschichte hervorgebracht hätten: Kopernikus, Chopin und jetzt Wojtyla.

Und doch klingt in den Gesprächen über diesen „dritten großen Polen“ immer wieder auch ein wenig Trauer

mit. Pater Andrzej Bardecki, Redakteur der katholischen Wochenzeitung „Tygodnik Powszechny“ („Allgemeine Kirchliche Wochenzeitung“), ein enger Freund und Mitarbeiter Kardinal Wojtylas, erklärt, warum: „Wir empfinden über die Wahl unseres Kardinals zum Papst große Freude, aber auch Trauer. Denn wir haben ihn für uns hier verloren. Jetzt ist er für die ganze Kirche da.“

Bis zum Sonntag hatten die Krakauer anscheinend noch gar nicht so richtig erfaßt, was geschehen war. Der Alltag hatte es auch gar nicht erlaubt, darüber lange nachzudenken. Die Frauen standen wie immer in langen Reihen vor den Lebensmittelgeschäften, wechselten einige Worte über die Papstwahl und mußten auch schon wieder weiterrücken, um nicht mit leeren Einkaufstaschen nach Hause zurückkehren zu müssen.

Und die Hektik, die in den Redaktionsstuben der „Tygodnik Powszechny“ herrschte, als plötzlich ganze Schwärme ausländischer Journalisten auftauchten, ließ auch den Redakteuren in der Wislnastraße wenig Zeit, über die neue Situation nachzudenken. Da besetzten französische Reporter ein Zimmer, von dem aus sie ihre Berichte telefonisch nach Paris durchgaben. Deutsche Journalisten umringten im Raum nebenan einen Pater mit wallendem Bart und wollten mehr über Herkunft und Vergangenheit des neuen Papstes erfahren, italienische Presseleute redeten im Archivzimmer auf einen Polen ein und wollten „Photographiä, Pho-tographia“!

Pater Bardecki hat sich mit mir in den letzten freien Winkel seiner Redaktion zurückgezogen und erzählt mir von der großen Vorliebe Kardinal Wojtylas: Schreiben. Jeden Tag nach Frühmesse und Frühstück habe er sich für zwei Stunden in eine Kapelle zurückgezogen und sei während dieser Zeit für niemanden erreichbar gewesen: „Von neun bis elf Uhr schrieb er dort seine Bücher. Darunter so bedeutende wie .Liebe und Verantwortung', ein Werk, das in einige Sprachen übersetzt wurde und

das - wie der Kardinal mir selber einmal mitgeteilt hat - von Papst Paul VI. gelesen wurde und auf die Enzyklika ,Humanae Vitae' einen nicht unbedeutenden Einfluß gehabt haben soll.“

Ein anderes Büch Kardinal Wojtylas, „Person und Tat“, beschäftigt sich, so meint ein anderer Redakteur, der sich zu uns gesellt hat, mit dem Problem, das den Kardinal in seinem

wissenschaftlich-theologischen Schaffen ganz besonders interessiert habe: „Das Geheimnis der menschlichen Person im Lichte der Offenbarung“. Pater Bardecki stimmt seinem Kollegen bei und. fügt hinzu: „Der Mensch hat für ihn keinen theoretisch-intellektuellen Stellenwert, die Person ist für ihn keine statistische Größe. In den 27 Jahren, in denen ich mit ihm zusammengearbeitet habe, ist nie ein schlechtes Wort über einen anderen Menschen über seine Lippen gekommen.“

Und solche Äußerungen hört man in Krakau nicht nur von Vertrauten des Kardinals. Seine große Fähigkeit, Kontakte zu knüpfen, sein sympathisches Auftreten gegenüber seiner Gemeinde, hat ihn allerorts beliebt gemacht: Ein Professor von der Kra-

kauer Universität lobt seinen großen Intellekt, die wohlbeleibte Verkäuferin in einem Delikatessengeschäft die einfache Sprache seiner Predigten, die immer alle Gläubigen so gut verstanden hätten.

Sicher ist es nicht zuletzt dieses Nahverhältnis der Krakauer zu ihrem Kardinal, was die Gesprächspartner auch immer wieder zu der Frage veranlaßt: „Und wie denkt man im Westen über die Wahl Kardinal Wojtylas zum Papst?“

Beliebt war Kardinal Wojtyla aber nicht nur bei den Katholiken der Erzdiözese Krakau. Das beweist zum Beispiel die Reaktion des evangelischen Pfarrers der Stadt, als er von der Wahl Kardinal Wojtylas erfuhr: „Ich bin sehr traurig, daß unser Freund jetzt nicht mehr in Krakau sein wird“, sagte er zu Pater Bardecki, der auch Delegat für die ökumenischen Angelegenheiten der Erzdiözese ist. Zwar könne man annehmen, daß ökumenische Angelegenheiten im katholischen Polen kein Problem seien, erläutert Bardecki, aber sie seien alles andere als eine Nebensache. Wojtyla habe sich deshalb der ökumenischen Fragen in seiner Erzdiözese intensiv angenommen, habe die Geistlichen der anderen Kirchen mehrmals im Jahr zu sich gebeten, um die Kontakte enger zu knüpfen. Für Pater Bardecki ist deshalb jetzt schon gewiß: „Papst Johannes Paul II. wird Ausflüge wie Papst Paul VI. machen.“ Daß er sich auch um die Probleme und Beziehungen zwischen den Weltkirchen besonders kümmern werde, beweise allein die Erwähnung des Libanon-Konfliktes in seiner ersten Ansprache als neuer Papst.

„Papst Johannes Paul II. ist kein Konservativer, wenn es um theologische Fragen geht“, kommt das Gespräch in der Wislnastraße auf die theologische Ausrichtung des Papstes. Pater Bardecki stützt sich auf eine langjährige Erfahrung mit Kardinal Wojtyla, wenn er die theologische Haltung des neuen Papstes erläutert: „Er gibt bestimmt grünes Licht für die Diskussion innerhalb der Kirche und wird keines der Probleme ausklammern. Denn er ist der Meinung, daß Stagnation das gefährlichste für die Theologie ist.“

Einer Meinung sind alle Mitarbeiter der „Tygodnik Powszechny“ darin, daß der Papst innerkirchliche Auseinandersetzungen bestimmt nicht auf einer öffentlichen Plattform werde austragen wollen. In seelsorgerischen Angelegenheiten sei der Kardinal nämlich immer dafür gewesen, daß man den Gläubigen eine authentische Lehre vermittle, damit sie ein klares Bild hätten.

Unsere Gesprächsrunde im klei-

Photo aus dem Bildband „Krakow“

nen Redaktionszimmer der „Tygodnik Powszechny“ ist inzwischen größer geworden. Andere Journalisten schreiben mit, italienische besonders fleißig, sobald die Rede auf die zukünftige Ostpolitik des Vatikans kommt. Papst Johannes Paul II. ist ein Realist, sagen die Redakteure des polnischen Blattes, meinen aber auch all die anderen Krakauer, mit denen wir, die ausländischen Berichterstatter, in diesen Tagen sprechen. Realist nicht nur im Zusammenhang mit innerkirchlichen Fragen, sondern gerade auch in der Ostpolitik. Es zeige auch die Persönlichkeit und Aufgeschlossenheit des neuen Papstes, daß er diesen Realismus mit einer anderen Fähigkeit verbinde: der Bereitschaft zum Dialog. Er habe aber gegenüber dem kommunistischen Regime immer das verteidigt, was für die Katholische Kirche wesentlich sei. Ein Ostblockberichterstatter eines niederländischen Blattes ist derselben Meinung wie die polnischen Kollegen: „Papst Johannes II. kennt die geographisch-politische Realität, er wird es aber dennoch nicht hinnehmen, wenn die Grundprinzipien der Katholischen Kirche durch die Partei angetastet werden.“

Kardinal Wojtyla ist für viele polnischen Katholiken schon jetzt gewissermaßen ein Heiliger. In der Dominikanerkirche, einer dreischiffigen Basilika aus dem 13. Jahrhundert, in der sich, am Sonntag Nachmittag

„Er gibt bestimmt grünes Licht für die Diskussion innerhalb der Kirche und wird keines der Probleme ausklammern.“

hunderte Gläubige einfinden - die Älteren knien in den Bänken eingezwängt, die Jüngeren stehen dicht nebeneinander im Gedränge - wurde unter dem Bildnis der Schwarzen Madonna von Tschenstochau eine große Photographie des Kardinals angebracht und rundum mit Blumen geschmückt. Schautafeln bei den 'Kircheneingängen zeigen den Lebensweg Kardinal Wojtylas oder in langen Bilderreihen die bisherigen Päpste, die Papst Johannes Paul II. mit einem größeren dazugeklebten Photo abschließt.

„Die Polen“, bemerkte auf der Rückreise ein Lehrer aus Kattowitz, „haben in ihrer Geschichte nie viel zu lachen gehabt. Ja sie haben es in den letzten Jahrzehnten sogar ein wenig verlernt, weil sie es nicht mehr gewöhnt waren.“ Am Sonntag haben sie wieder gelächelt.

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