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Dieser Papst geht unter die Haut

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„Warum kommen Sie nicht nach Österreich, Eure Heiligkeit?“ wurde der Papst gefragt. !rAber ich komme ja, nur nicht bei der Reise nach Polen“, lautete die Antwort. Noch heuer? „Ich glaube sicher. Auch der Präsident hat mir geschrieben.“ Dieses Kurzinterview mit einem blendend disponierten Johannes Paul IL, das so nebenbei auch den Staatsbesuchscharakter einer solchen Visite verriet, war für die Delegation der Arbeitsgemeinschaft katholischer Journalisten der Höhepunkt einer zweistündigen Generalaudienz am 21. März, an der auch der Chefredakteur der FURCHE teilnahm.

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„Warum kommen Sie nicht nach Österreich, Eure Heiligkeit?“ wurde der Papst gefragt. !rAber ich komme ja, nur nicht bei der Reise nach Polen“, lautete die Antwort. Noch heuer? „Ich glaube sicher. Auch der Präsident hat mir geschrieben.“ Dieses Kurzinterview mit einem blendend disponierten Johannes Paul IL, das so nebenbei auch den Staatsbesuchscharakter einer solchen Visite verriet, war für die Delegation der Arbeitsgemeinschaft katholischer Journalisten der Höhepunkt einer zweistündigen Generalaudienz am 21. März, an der auch der Chefredakteur der FURCHE teilnahm.

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10.000 Personen faßt die zu Ehren ihres Erbauers Paul VI. benannte Audienzhalle an der Südflanke des Petersdomes, weitere tausend füllen sie stehend bis auf den letzten Platz. Am Ende hat wahrscheinlich jeder flas Gefühl, dem Pontifex persönlich begegnet zu sein, auch wenn viele Meter ihn von ihm trennten.

Dieser Papst geht unter die Haut. Er ist nicht zu der von seinem Vorgänger Johannes Paul I. abgelehnten und dann widerstrebend erneut akzeptierten Benützung des Tragstuhls zurückgekehrt. Zu Fuß geht er durch die Reihen, betritt gelegentlich ein ihm nachgetragenes Holzpodest, was stets neue Jubelstürme auslöst, und überläßt sich sofort wieder dem Strom, der ihn an verzückte Frauen und strahlende Männer heranträgt, an jubelnden Jugendlichen und glühenden Kindern vprüberspült.

Oder auch nicht. Immer wieder bleibt er stehen, hebt Kinder hoch und läßt sich auf ernsthafte Gespräche ein. Keine Unruhe ist ihm anzumerken, obwohl er von 12.33 bis 12.57 Uhr braucht, um vom Eingang bis zum Podium an der Stirnseite des Saales zu kommen. Immer wieder geht er zurück, begrüßt auch die Menschen der gegenüberliegenden Seite. Keine Spur einer Peinlichkeit ergibt sich, wenn Männer mit tränenden Augen ihn kraftvoll umarmen. Kein Hauch einer Verlegenheit befällt in, wenn eine Frau ihn herzhaft auf die Wange küßt.

In dieser Stunde weiß man, was er meinte, als er in seine erste Enzyklika schrieb: „Es geht nicht um einen .abstrakten' Menschen, sondern um den realen, den ,konkreten' und .geschichtlichen' Menschen.“ In ihrer Mitte ist er in seinem Element. Ihnen wird er nachgehen, wo immer sie ihn rufen. Und sie rufen aus aller Welt.

Natürlich sehen die meisten Mon-signori der Kurie es nicht gern, wenn er etwa im Herbst nach Österreich kommt. Sie fürchten den Präzedenzfall: Geht er nach Österreich, kann er Einladungen aus anderen Ländern nur schwer abschlagen! Was also wird er tun? Eine Prophezeiung: Er wird auch in andere Länder reisen! In viele!

Karol Wojtyla, der Kleine-Leute-Sohn aus dem galizischen Wadowice,, wird jenen Theologen wenig Chance geben, die dafür plädieren, der Papst sollte sich vor allem auf sein römisches Bischofsamt konzentrieren und in die Entwicklung der Weltkirche nur sparsam eingreifen.

Solches wäre wohl auch den ökumenischen Bestrebungen zuträglicher. Vielleicht. Aber vielleicht auch nicht. Regt sich nicht auch in anderen christlichen Gemeinschaften die unverkennbare Sehnsucht nach einem Leitbild, nach der Vaterfigur? Ist diese nicht. selbst in irdisch-politischen Bereichen im Zeitalter wachsender Problemkomplexität mehr den je gefragt? Kommt es nicht weniger darauf an, daß Leitbilder Lehren verkaufen, sondern daß sie glaubhaft sind?

Man merkt es am Beifall der Massen: Seinen Reden, in Italienisch, Französisch, Englisch, Deutsch, Spanisch und Polnisch vorgetragen, wird freundlicher, seinem schieren Dasein und Sosein frenetisch-wilder Applaus zuteil. Wäre es nicht wider alle Natur, wenn dieser Mensch seine magnetisiernede Wirkung für Kirche und Amt nicht zu nutzen trachtete?

Deswegen vernachlässigt er seine Pflichten als Bischof von Rom keineswegs. Im Gegenteil: Kein italienischer Papst der letzten Jahrzehnte hat sie so ernstgenommen wie Johannes Paul II. in diesen ersten Monaten. Kein Sonntag vergeht ohne Besuch in Vorstadtpfarren und Notstandsvierteln, keine' Woche ohne mindestens ein Abendessen mit ein paar römischen Pfarrern und Kaplä-nen.

Dieser Tage war er in einer Klinik zu Besuch. Eine junge Frau, durch

Kaiserschnitt entbunden, bat ihn scheinbar spontan, ihren Sohn zu taufen. „Aber dazu braucht man ja Vorbereitungen,, Gegenstände, das Taufbuch der Pfarre“, wandte der Papst ein. Flugs wurde eine Kastentüre geöffnet, und alles war da, das Taufbuch mit eingeschlossen! Und natürlich taufte der Papst.

Beim „Quo-vadis“-Kirchlein an der Via appia antica, wo frommer Legende zufolge der Herr den mutlos der Stadt entfliehenden Petrus zur Umkehr bewog, denkt man wieder an diesen Papst, der sich so schweren Herzens von Krakau und Polen trennte.

Und in den Katakomben, den fünfgeschossigen unterirdischen Begräbnisstätten der frühen Christen unter den weiten Grasflächen der Campagna di Roma, erinnern ebenso wie im Umfeld des Apostelgrabes unter der Confessio von Sankt Peter fast 2000 Jahre alte Hoffnungssymbole -Anker, Palmwedel, Pfaue - an die Eigenart dieses Papstes: Von ihm gehen Hoffnung, Vertrauen, Zuversicht aus.

Dabei hat diese Zuversicht, was kein Mensch heute mehr wahrhaben will, intellektuell eigentlich viel stärker aus den Sozialenzykliken Pauls VI. gesprochen! „Wie jede Woge der steigenden Flut weiter als die vorangehende den Strand überspült, so schreitet auch die Menschheit auf dem Wege ihrer Geschichte voran“, las man in „Populorum progressio“, wo diese „manchen utopisch erscheinende Hoffnung“ als „Verkennung“ des geistig-charakterlichen Fortschritts der Menschheit verteidigt wird.

In der neuen Enzyklika „Redemptor hominis“ klingt viel stärker die übliche Sorge an, der technische Fortschritt laufe dem sittlichen davon.

Aber auch hier gilt: Der kräftige Mann ohne Stock und Brille mit der festen Stimme strahlt auch dann noch, wenn er Sorge und Zweifel formuliert, mehr Sicherheit aus als der größte Zukunftsoptimist mit dünner italienischer Singsangstimme. „Denn dieser Mann steht in einer bodenlosen Zeit auf festem Grund“, summiert Ernst Trost in dem eben erschienenen Molden-Buch „Der Papst aus einem fernen Land“ Wojtylas hervorstechendste Eigenschaft.

Um im Bild zu bleiben: Dieser Papst muß oft genug sein eigener fester Grund sein. Der Boden des Vatikans ist in manchen Zonen schwankend und dünn. In der Medienpolitik etwa. Der „Osservatore Romano“, die „Zeitung des Papstes“, hat ganze 15

Redakteure, die deutschsprachige Wochenausgabe ihrer zwei! Radio Vatikan verfügt über modernste technische Einrichtungen - der Personalstand ist ebenso wie die Bezahlung auffallend dürftig.

Man stößt auf Schritt und Tritt auf die Klage, daß der Vatikan über zu wenig flüssige Mittel verfüge und praktisch die ganze Diözese Rom zu erhalten habe, wo es ja keinerlei fixen Kirchenbeitrag gibt.

Und sicher wird man den Kurienkardinälen mit ihren 800.000 bis 900.000 Lire Netto-Monatsgehalt, also 13.500 bis 15.000 Schilling, nicht kapitalistische Privilegiengagen vorhalten können. Aber Mangel an Augenmaß im Bereich der Massenkommunikation immer noch, wobei die Dürftigkeit der personellen Ausstattung der noch immer vorhandenen Dürftigkeit der kurialen Informationsbereitschaft freilich in gewisser Weise geradezu kongenial entspricht.

Weihbischof Alois Wagner von Linz, der sich auf dem römischen Rutschparkett mit großer Geschicklichkeit zu bewegen weiß, hat eine Erklärung parat: „Die technischen Geräte werden von wohlhabenderen Diözesen der Weltkirche gespendet -aber Gehälter in Rom zahlen die keine.“

Noch nicht. Aber man beginnt ernsthaft, an „lebende Subventionen“ zu denken. Bischof Moser von Rothenburg (BRD) ist dabei, ein Konzept zu erarbeiten. Bischof Wagner ist einer seiner Mitdenker auf diesem Gebiet.

österreichischen Spuren begegnet man allenthalben im Geistesleben der Ewigen Stadt: vom Papst, dessen Vater altösterreichischer Militärbeamter war, über Kardinal Königs jahrelange kundige Leitung des vatikanischen Sekretariats für die Nicht-glaubenden bis zum österreichischen Kulturinstitut, das, schon 1881 gegründet, das drittälteste ausländische Institut Roms und bis zum heutigen Tag eines der am meisten geschätzten ist.

Ein Österreicher ist außerdem traditioneller Leiter der Anima, des Priesterkollegs nahe der Engelsburg - derzeit Prälat Franz Wasner, langjähriger Begleiter der singenden Trapp-Familie, heute Domherr von Salzburg, der eben sein goldenes Priesterjubiläum in Rom gefeiert hat. Und ein Fast-Österreicher regiert im Palazzo San Callisto mitten im bunten Volksgewimmel von Trastevere, wo malerisch behängte Wäscheleinen vor allen Fenstern genaue Aufschlüsse über Zahl, Alter und Geschlecht der Bewohner vermitteln.

Kardinal Opilio Rossi, einstiger Apostolischer Nuntius in Österreich, der sich seiner 15jährigen Tätigkeit in Wien stets mit Freude erinnert, steht dem Päpstlichen Rat für die Laien und dem Familienkomitee vor. Was er und seine Mitarbeiter als Problemthemen dieser Institutionen schildern, klingt formidabel genug: Bevölkerungspolitik und Sexualunterricht, die Stellung der Frau in der Gesellschaft, Abtreibung und Prostitution, Geschiedenenseelsorge und verantwortliche Elternschaft gehören dazu.

Man zweifelt nicht eine Sekunde •am guten Willen der Prälaten und Monsignori, die hier an Deklarationen, Proklamationen und Resolutionen arbeiten. Aber an der Undurch-lässigkeit der dicken Mauern, die den Palast des heiligen Kalixtus von der Außenwelt abschirmen wie weiland die 1700 Jahre alte Aurelianische Mauer ganz Rom von den feindlichen Barbaren, zweifelt man gleichfalls nicht. Die Barbaren schafften es eines Tages doch. Eines Tages wird es auch die umfassende, ganze Wirklichkeit dieser Welt noch schaffen, die Mauern der kurialen Paläste zu durchdringen.

Der Papst aus Polen könnte dabei eine große Hilfe sein. Den größten Vorzug der neuen Enzyklika erblickt der österreichische Jesuitenpater Johannes Schaching, der uns an der Päpstlichen Universität Gregoriana empfängt, gerade in ihrer relativen Unverbindllichkeit: Hier werden keine Mauern errichtet, keine Türen und Tore zugeriegelt. Die Kirche ist unterwegs, die Menschheit als ganze auch, warum nicht miteinander gehen?

„Vermutlich“, sagt Hans-Jakob Stehle, der erfahrene Rom- und Vati-kankeriner, „wird es künftig weniger Selbstgespräch der Kirche und mehr Gespräch mit den Menschen geben.“

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