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30 „Minister" für 800 Millionen

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Es scheint ein unersprießliches Thema zu sein, über die Kurie in Rom etwas zu sagen. Ein verknöcherter Apparat, Dokumente mit überholten Themen in einer unerquicklichen Sprache. Und im übrigen müßten Kirchenleute aufpassen, daß sie dort nicht angezeigt werden.

Seit einiger Zeit bin ich Mitglied der — wie es etwas feierlich heißt — „Heiligen Kongregation für die katholische Bildung". Und da sitze ich also mit 30 anderen Bischöfen an einem großmächtigen Tisch. Der ganze Raum im Vatikanischen Palast ist eine Mischung aus dem Atem der Jahrhunderte und moderner Zweckmäßigkeit, Schreibmaschine und Klimaanlage.

Man vergleicht die zehn Kongregationen in Rom mit Ministerien eines Staates. Dieser „Staat Kirche" erstreckt sich mit beinahe 800 Mülionen Katholiken über die ganze Erde. Welch einen Apparat würde ein anderer Staat dieser Größe brauchen? Freilich ist die Kirche etwas ganz anderes.

Und hier? Da gibt es einen Vorsitzenden, den „Präfekten". Es ist der amerikanische Kardinal Baum, ehemals Erzbischof von Washington. Er hat zwei Sekretäre, einen spanischen und einen italienischen Erzbischof. Dann einen Untersekretär. Und beim obligaten Erinnerungsfoto mit dem Papst am Schluß der Sitzung taucht das ganze Personal auf, Priester, Ordensleute, Laien, bis zum einfachsten Dienstleistenden. Ich zähle schnell über die Köpfe drüber, es sind keine dreißig. Das ist alles, was in Rom residiert.

Die eigentlichen Mitglieder dieser Kongregation kommen aus der ganzen Welt. Einmal im Jahr trifft man sich. Die entsprechenden Vorbereitungspapiere haben wir einige Zeit vorher mit der Post bekommen. Insgesamt sind wir 35 Kardinäle und Bischöfe aus der ganzen Welt. Drei Tage bleiben wir zusammen, einige konnten beim besten Willen nicht kommen. Gemeinsam tasten wir uns durch die Probleme, die zur Beratung vorbereitet sind.

Da geht es etwa um die Ausbildung des Priesteramtskandidaten zum rechten Gebrauch der Massenmedien. Ist das gar so dringend? Doch dann berichtet jemand aus einem westlichen Industriestaat, was etwa mit dem Video-Markt auf uns zukommt. Früher einmal waren auch hierzulande Priester Chefredakteure politischer Zeitungen. Das ist vorbei. Aber wo und wie wachsen Journalisten heran, die für ihre Macht einen geistigen Hintergrund bekommen?

Das ist nur eines der Themen. Doch wozu überhaupt diese Kongregation? Sie hat drei Aufgabengebiete. Sie kümmert sich um die Priesterausbildung und um die Berufung zum Priester- und Ordensstand. Als zweites beschäftigt sie sich mit den katholischen Universitäten und Fakultäten und schließlich mit den katholischen Schulen.

Die vorgelegten Statistiken sind aufregend zu lesen: Da erfährt man, daß auf der ganzen Welt 35 Millionen Schüler katholische Schulen besuchen, daß in der Entwicklung der letzten zwölf Jahre die Zahl der Priesterstudenten eine deutliche Trendumkehr gefunden hat, sie ist im eindeutigen Ansteigen. Vor allem auch in Ländern — wie Südamerika —, wo schnelle Prophezeiungen bereits ein auswegloses Sinken konstatieren wollten. Wird nicht auch bei uns beflissen prophezeit?

Weiter aber geht die Zahl der Ordensfrauen zurück. Die Amtsniederlegungen von Priestern sind viel geringer geworden. Dann gibt es noch eine Aufstellung von 41 Ländern, hauptsächlich aus Europa und Amerika (für die Missionsgebiete ist in diesem Fall eine andere Kongregation zuständig), wo ausgerechnet wird, wie viele Katholiken auf einen Priester kommen: Von 400 in Malta bis 40.000 in Kuba. Österreich liegt an 13. Stelle - besser als Polen.

Da sitzen wir also an dem großen Tisch. Jeder kommt zu Wort. Die Gesichter erscheinen mir oft wie die Geschichte eines Landes, einer Stadt. Mir gegenüber der Kardinal von Neapel: Was heißt es wohl, Bischof zu sein in einer Stadt, die für viele Urlaub und Schlager bedeutet, für den Seelsorger Elend, Lärm, dunkle Machenschaften, zugleich warmherzige Frömmigkeit einfacher Herzen?

Dieser Kardinal da drüben kommt aus Caracas. Ich blättere im Verzeichnis nach: eine Stadt mit drei Millionen Einwohnern und 600 Priestern. Ich war nie dort. Aber ich beginne immer mehr zu ahnen, daß unsere kirchlichen Reformkonzepte, die so selbstverständlich den Wohlstand voraussetzen, nur eine kleine Melodie im großen Orchester der Weltkirche sein können. Da erzählt jemand aus Deutschland von Hoffnungen und Problemen mit den Laientheologen. Ein afrikanischer Kardinal lächelt: „Ihr könnt solche Leute bezahlen?"

Ein Erzbischof aus Frankreich berichtet von erregenden Auseinandersetzungen um die katholischen Schulen. Es geht um mehr als um Privilegien, um Grundzüge menschlicher Freiheit. Neben ihm sitzt ein bewährter Freund: Erzbischof Sustar aus Laibach. Mein Notizheft füllt sich: Erfahrungen anderer Länder, Fragen, die stehenbleiben müssen, das Geflecht der Zusammenhänge. Es ist ein Irrtum, wenn man meint, wir' säßen hier beisammen, um interne Kirchenprobleme zu bereden. Die Kirche ist inmitten der Leiden und Freuden und Strukturen der Welt. Was heißt Priestermangel in Industrieländern: Welche Rolle spielen Familienkrise, Abtreibung, Kindermangel, falsch verstandene Emanzipation? In Österreich scheint die Zahl der Priester etwa um gleich viel Prozente zurückgegangen zu sein wie die Geburten. Darüber sollten wir nachdenken.

Irgendwer sagt, ebenfalls aus der Sicht der westlichen Industriewelt: „Ob nicht der Bedarf an Religion rascher sinkt als die Zahl der Priester?" Ein erregender Satz. Was heißt das für Kirche, Gesellschaft, Staat?

Die Kurie: Ein paar Leute sind also vom Papst zusammengerufen, ihn in seinem Amt zu unterstützen. Nur ihn? Nein, um den Menschen zu helfen, mit Hoffnung leben zu können. Die liebende Zuwendung Gottes in seinem Sohn Jesus Christus muß getreu bewahrt werden. Man kann den Glaubensschatz nicht einfach korrigieren, um momentanen Ideen Beweise zu liefern oder Störendes zu eliminieren. Und so braucht es auch das schwierige Wächteramt, um das Erbe treu zu bewahren, Konsequenzen zu zeigen, auf die Zeichen der Zeit zu schauen und weiterzudenken. Wie pflegte man doch die Mahnung der Kirche zur Ehe, zur Ehrfurcht vor dem Leben zu belächeln. Heute graut uns vor Euthanasie und Embryohandel.

Einige Wochen später bin ich in Korea. Hier kommt man wieder drauf, wie groß das Geschenk der Einheit der Kirche ist. In den stürmischen Sechzigerjahren hieß es einmal, der Papst solle eigentlich nur mehr „Generalsekretär vereinigter katholischer Nationalkirchen" sein. Dieser Ruf ist längst verstummt. Mittlerweile haben wir einen Papst, der von Land zu Land reist. Redet, predigt, hört. Wieviel kann er erreichen? Zunächst so viel, wie die Katholiken mit ihren Priestern und Bischöfen zusammenstehen, nicht müde werden, immer tiefer nach Jesus Christus zu fragen. Einander mahnen, soweit es not tut. Und immer einander zur Gemeinschaft der Kirche stärken.

Ich bin sehr dankbar, daß ich ein paar Jahre in Rom mitarbeiten darf. Trotz der Seufzer: „Ach — diese Kurie!"

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