Es ist nie genug!

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Von 21. bis 25. Februar kommen in Rom die Vorsitzenden der Bischofskonferenzen der Welt zusammen, um das Missbrauchsthema zu beraten. Für die Kirche ein schwieriger Lernprozess.

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Von 21. bis 25. Februar kommen in Rom die Vorsitzenden der Bischofskonferenzen der Welt zusammen, um das Missbrauchsthema zu beraten. Für die Kirche ein schwieriger Lernprozess.

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"Genug!" "Ich habe genug davon gelesen, genug davon gehört, genug gesehen ": Wer so (denkt und) redet, tut -bewusst oder unbewusst -den Opfern ein weiteres Mal Unrecht. Ihrem unvorstellbaren Leid. Ihrem zerstörten oder massiv ins Wanken geratenen Gottesbild. Ihrer Enttäuschung über die Kirche. Die Opfer müssen im Mittelpunkt des Interesses stehen. Eines echten Interesses, das nicht als "lästig", als "überflüssig" empfindet, was ansteht. Nicht die von manchen unverhohlen bekundete Sättigung mit einem Thema, das nicht "die Medien" erfunden haben (auch wenn sie mit unterschiedlicher Qualität und unterschiedlichen Interessen davon berichten), darf Oberhand gewinnen. Ich kenne diese Versuchung: Man kann kaum eine Zeitung oder ein Magazin aufschlagen, ohne dem Thema zu begegnen: sexueller Missbrauch Minderjähriger und Schutzbefohlener. Mir gefiel seinerzeit die Aussage eines Provinzials nicht: Wir sind alle Mitglieder einer Tätergemeinschaft! Aber Tatsache ist, dass "solche Sachen" auch bei Jesuiten vorkamen -nicht nur bei anderen Orden, wie wir uns selbst lange glauben machen wollten.

Dass sich jahrzehntelang Priester und Ordensleute an Kindern und Jugendlichen "vergangen" haben, konnte man anfangs - als Klaus Mertes SJ im Jänner 2010 an die Öffentlichkeit ging - kaum glauben. Zu hoch war das Ansehen der Kirche, zu ungeheuerlich die Vorwürfe. Der zweite Schock: Es wurde geleugnet, bagatellisiert, vertuscht, verschleppt. Systematisch. Bischöfe, Generalvikare, Personalchefs: Viele haben so oder so versagt, Täter einfach versetzt, ohne darüber zu informieren warum. Das Erschrecken darüber hält an. Aber Bekundungen von Wut, Scham oder Trauer reichen längst nicht mehr aus. Betroffene, Angehörige, Kirchenmitglieder fragen zu Recht: Was wurde daraus gelernt? Wo steht es mit der Prävention? Was ist systembedingt? Welche Faktoren begünstigen vielleicht, welche fördern gar Missbrauch? Die zölibatäre Lebensform? Unreife Sexualität? Eine Veranlagung? Eine Persönlichkeitsstörung? Oder schlicht kriminelle Energie?

Doris Wagner als "Kirchenlehrerin"!

Die Lektüre von Doris Wagners Buch "Spiritueller Missbrauch in der Kirche" hat mich mitgenommen (FURCHE 5/2019). Sie ist "davongekommen". Mit "Nicht mehr ich"(2014) hatte sie versucht, Erlebtes aufzuarbeiten. Mit ihrem neuen Buch regt sie jetzt eine theologische Debatte an. Könnte ich, würde ich ihr sofort einen Dr. honoris causa verleihen. Kardinal Reinhard Marx und Kardinal Christoph Schönborn sollten sie in ihre Bischofskonferenzen holen: Bewusstseinsbildung! Doris Wagner verdient das Prädikat "Kirchenlehrerin". Sie gibt denen eine Stimme, die ihre Stimme verloren haben, die aufgrund ihrer Leidensgeschichte verstummt sind - manchmal durch Suizid für immer. Ja, Männer - Priester, Bischöfe, Kardinäle - können etwas lernen von ihr.

Theologische Tiefenbohrungen zur Thematik findet man in dem zeitgleich erschienenen Sammelband "Unheilige Theologie!" von Magnus Striet und Rita Werden. Neben Beiträgen der beiden Herausgeber finden sich hier Analysen von Georg Essen, Stephan Goertz, Gunda Werner und Hubertus Lutterbach. Theologische Denkfiguren und Vorstellungen werden daraufhin befragt, ob sie "missbrauchsbegünstigend" wirken und "ein Gefahrenpotenzial" darstellen.

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