Waltraud Klasnic und Kardinal Christoph Schönborn  - © Foto: APA / Hans Klaus Techt

Waltraud Klasnic: "Es darf keinen Schlussstrich geben"

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Seit zehn Jahren ist Waltraud Klasnic „Unabhängige Opferschutzanwältin“ für Betroffene von Gewalt und Missbrauch in der katholischen Kirche. Was wurde erreicht? Was fehlt? Eine Zwischenbilanz.

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Seit zehn Jahren ist Waltraud Klasnic „Unabhängige Opferschutzanwältin“ für Betroffene von Gewalt und Missbrauch in der katholischen Kirche. Was wurde erreicht? Was fehlt? Eine Zwischenbilanz.

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Es war am 26. März 2010, als Waltraud Klasnic im Zug von Wien nach Graz einen überraschenden Anruf erhielt: Kardinal Christoph Schönborn, Erzbischof von Wien und Vorsitzender der Bischofskonferenz, fragte die ehemalige „Frau Landeshauptmann“ der Steiermark, ob sie bereit sei, sich der Opfer von Gewalt und Missbrauch in der katholischen Kirche anzunehmen. Weltweit hatten entsprechende Fälle für Empörung, Kirchenaustritte und Entschädigungszahlungen in Millionenhöhe gesorgt. Auch in Österreich, das nach der 1995 publik gewordenen „Affäre Groër“ mit Präventions- und Aufarbeitungsmaßnahmen begonnen hatte, stand die Glaubwürdigkeit auf dem Spiel. Klasnic sagte zu – „unter den Bedingungen, weisungsungebunden und frei zu sein und den einzuschlagenden Weg selbst zu suchen“, wie sie betont. Unter ihrer Leitung wurde eine „unabhängige Opferschutzkommission“ mit acht ehrenamtlich arbeitenden Expertinnen und Experten eingerichtet (dar­unter der 2017 verstorbene ehemalige FURCHE-Chefredakteur und Vorsitzende der Plattform „Wir sind Kirche“, Hubert Feichtlbauer), am 26. April 2010 wurde sie präsentiert. Betroffene, deren Fälle positiv beschieden werden, erhalten bis heute Zahlungen der kirchlichen „Stiftung Opferschutz“.

DIE FURCHE: Frau Klasnic, wie sieht Ihre Zehn-Jahres-Bilanz aus?
Waltraud Klasnic: Sie sieht so aus, dass es es absolut richtig war, diesen Weg so zu gehen und diese Aufgabe unabhängigen Expertinnen und Experten zu übertragen. Wir sind damit international führend geworden. Professor Hans Zollner, der an der Gregoriana in Rom eingesetzte Verantwortliche für Kinderschutz, hat gemeint, man müsse unsere Gruppe „klonen“. Bis heute haben wir 2305 Betroffenen eine gute Antwort geben können im Sinne von finanziellen Hilfen bzw. finanzierten Therapiestunden in der Höhe von 30,7 Millionen Euro. Von 2496 an uns herangetragenen Fällen wurden also 92,3 Prozent anerkannt. Auch die Stadt Wien, in deren Heimen ebenfalls viel geschehen ist, hat unser Entschädigungsmodell übernommen. Dass wir nun ein Heimopferschutzgesetz haben mit einer Rente von etwa 325 Euro pro Monat, ist ein Ergebnis unserer Arbeit. Auch wenn man mit Geld nichts gutmachen kann – aber es ist ein Zeichen dafür, dass man die Verantwortung für diese Schuld übernimmt.

DIE FURCHE: Gibt es eine Aufschlüsselung, welche Form von Gewalt ausgeübt wurde?
Klasnic: Es waren oft Mehrfachvergehen: in 78 Prozent der Fälle körperliche Gewalt, in 77 psychische und in 30 Prozent sexuelle. Wobei der zeitliche Schwerpunkt auf dem Zeitraum von den 1950er bis zu den 1970er Jahren liegt.

Die Furche: Sie betonen Ihre Unabhängigkeit. Kritiker ziehen diese jedoch in Zweifel. Besonders scharfe Kritik kommt seit jeher von der „Plattform Betroffener kirchlicher Gewalt“, sie sieht die Kommission als Teil der „Täterorganisation Kirche“. Was entgegnen Sie solchen Vorwürfen?
Klasnic: Dass wir in diesen zehn Jahren bewiesen haben, dass uns jeder Mensch wichtig ist, und wir in keinem einzigen Fall gesagt haben: Das passt nicht oder das machen wir nicht, weil wir auf die Kirche Rücksicht nehmen müssen. Wenn die Plattform von Fällen weiß, denen Unrecht getan worden ist, ist sie herzlich eingeladen, uns das zu melden. Ich hätte das Amt nie angenommen, wenn ich jemanden in der Kirche schützen wollte. Unabhängig sein heißt für mich frei sein. Ich bin frei – und das gilt für die gesamte Kommission.

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