Kirchlicher Umgang mit Missbrauch: Österreichischer Weg allein genügt nicht

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Österreichs Bischöfe tagen in Heiligenkreuz, die Kardinäle in Rom, die Klasnic-Kommission in Wien: Das Missbrauchsthema treibt die Kirche weiter um.

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Österreichs Bischöfe tagen in Heiligenkreuz, die Kardinäle in Rom, die Klasnic-Kommission in Wien: Das Missbrauchsthema treibt die Kirche weiter um.

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Österreichs Bischöfe tagen zurzeit im Stift Heiligenkreuz. Eines der Themen: der Umgang mit den Missbrauchscausen. Erst Ende Juni hatten die Hirten österreichweit einheitliche Richtlinien dazu beschlossen. Nun soll evaluiert werden, wie sich diese bewährt haben. Im September konstituierte sich dann die kirchliche Stiftung Opferschutz, die Entschädigungszahlungen leistet. Als dessen Kuratoriumsvorsitzender fungiert der St. Pöltner Bischof Klaus Küng, weiters sitzen im Kuratorium die Vorsitzenden der Männer- und der Frauenorden, Propst Maximilian Fürnsinn und Sr. Kunigunde Fürst, sowie die von Kardinal Schönborn eingesetzte Opferschutzanwältin Waltraud Klasnic.

Am 16. November fand die jüngste Sitzung der Unabhängigen Opferschutzkommission, der Klasnic vorsteht, statt. 19 Entschädigungszahlungen wurden dort beschlossen, sodass nunmehr Zahlungen in 58 Fällen geleistet werden. 652 Betroffene haben sich bislang bei der Kommission gemeldet.

Opferschutzanwältin Waltraud Klasnic erläuterte gegenüber der FURCHE, die Kommission treffe sich in kurzen Abständen, um rasch helfen zu können. Dennoch bat sie auch um Geduld, denn das Clearingverfahren, mit dem die Kommission die Plausibilität der Fälle prüft, brauche auch Zeit. Klasnic betonte, die Unabhängige Opferschutzanwaltschaft sei eine zivilgesellschaftliche Organisation und keine Rechtsinstanz. Die finanziellen Leistungen seinen freiwillig und würden von der kirchlichen Stiftung bereitgestellt. Wichtig, so die Opferschutzanwältin, sei, dass keine der Zuwendungen in irgendeiner Form als Schweigegeld zu verstehen wäre. Klasnic: "Wenn jemand mit den Entscheidungen der Kommissionen unzufrieden ist, steht ihm jederzeit der Rechtsweg frei." Die Opfer müssten keine Schweigevereinbarungen unterschreiben.

Viermal hat die Kommission Sachverhaltsdarstellungen an den Staatsanwalt übermittelt. Das wurde in der Öffentlichkeit als Aufweis der Unabhängigkeit der Opferschutzanwaltschaft verstanden. Klasnic betont auch, dass sie seitens der Kirche in keiner Weise behindert wurde. Die Opferschutzanwältin ist stolz darauf, dass ihr Modell Schule macht: In einigen Bundesländern gibt es staatliche Kommissionen zu Missbrauchsfällen in öffentlichen Einrichtungen, einige Mitglieder der Unabhängigen Opferschutzkommission gehören auch einzelnen dieser Kommissionen an.

Neuerscheinungen zum Thema

Auch Anton Bucher, katholischer Religionspädagoge an der Universität Salzburg, streut Klasnic und ihrer Kommission Rosen: Er habe ein gutes Gefühl, was deren Kompetenz betreffe, so Bucher zur FURCHE. Seiner Wahrnehmung nach arbeite die Kommission "authentisch, sachbezogen und frei".

Der katholische Theologe geht in seinem jüngsten Buch mit seiner Kirche hart ins Gericht. Bucher beleuchtet im Band "Die dunkle Seite der Kirche" den Missbrauchsskandal. Die Erkenntnisse, die er da zusammenträgt, sind nicht neu. Das flüssig geschriebene Kompendium legt den Fokus vor allem auf die strukturellen Probleme, die nicht nur nach Buchers Meinung zu den Vorfällen geführt habe: eine unzeitgemäße Sicht der Sexualität und das "hierarchisch-monokratische System", das die Kirche darstelle. Bucher bezeichnet es im Gespräch als symptomatisch, mit welcher Insistenz die Kirche am Zölibat festhält, nennt es "fast irrational" angesichts des Doppellebens vieler Priester, der vielen Priesterkinder etc. Nicht der ungeschminkte Befund überrascht, sondern dass ihn mit Anton Bucher ein Theologieprofessor in Amt und Würden anstellt. In der Ängstlichkeit vor kirchlichen Sanktionen, die sich zurzeit unter Theologen breitmacht, ist das Buch ein wohltuender Kontrapunkt.

Zwei andere Neuerscheinungen beschäftigen sich gleichfalls mit dem Thema: Der Ö1-Journalist Hubert Arnim-Ellissen hat seine und des evangelischen Pfarrers Jürgen Öllinger Erfahrung mit Missbrauch und Gewalt in einer katholischen Schule im Buch "Zöglinge zum Fressen" dokumentierte (Edition Va Bene 2010). Und Markus Oirer gibt im Band "Aus Tränen werden Kristalle" (Goldegg Verlag 2010) davon Zeugnis, wie er erst als Erwachsener sich des Missbrauchs durch einen Bekannten der Familie besinnt - und Jahre später einen Aufarbeitungsprozess beginnt und beginnen muss.

Fehlende Radikalität an der Spitze

Für den Religionspädagogen Anton Bucher bleibt dennoch der Nachgeschmack, dass sich gerade seine Kirchenspitze noch längst nicht zur nötigen Radikalität bei diesem Thema durchringt. "Eine starke Organisation kann sich auch ihren dunklen Seiten stellen", ist Bucher überzeugt.

Immerhin nimmt der Papst dieser Tage, wenn die Kardinäle der Welt in Rom zusammenkommen, nicht nur neue Purpurträger ins Kollegium auf; sondern in den Beratungen der Würdenträger wird es auch ums Missbrauchsthema gehen. Und auch die Apostolische Visitation in Irland, einer der am heftigsten betroffenen Ortskirchen, hat soeben begonnen.

Ob aber - im Gegensatz zu Österreich, wo viele den beschrittenen Weg begrüßen - auch weltkirchlich die Strukturprobleme erkannt werden, daran zweifelt nicht nur Buchautor und Theologieprofessor Anton Bucher.

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