Wohl tobet um die Mauern der Sturm …

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Die Missbrauchsaffären weiten sich zum globalen Super-GAU der katholischen Kirche aus. Viel hängt vom richtigen Umgang mit dem Skandal ab (lesen Sie zum Thema Missbrauch S. 9).

Eine Analyse von Otto Friedrich

„Wohl tobet um die Mauern, der Sturm in wilder Wut …“ So beginnt die Strophe eines Kirchenliedes. Eine Strophe, die in den geistlichen Liederbüchern nach dem II. Vatikanum getilgt wurde: Zu sehr schwingt in diesen Worten das Erbe des Kulturkampfs mit sowie eine defensive Weltsicht, welche das Konzil überwinden helfen wollte. Dennoch darf man füglich annehmen, dass sich mancher an der Kirchenspitze in diesen Tagen jenes metaphorischen Gefühls vom sturmumtosten Haus, das die Kirche in der eiskalten Welt darstellt, erinnern.

Der Fall des Legionäre-Christi-Gründers

Denn das, was rund um die Missbrauchsaffären in den letzten Wochen eskalierte, wächst sich zum globalen Super-GAU für die katholische Kirche aus. Nachdem die diesbezüglichen Kalamitäten in den USA, Kanada und Australien nun schon Jahre die jeweilige regionale Öffentlichkeit beschäftigen, stehen andere kirchliche Krisenherde erst so richtig in der Öffentlichkeit: einmal mehr Irland, dann Deutschland und nun, mit Verzögerung, aber kaum geringerer Heftigkeit, auch Österreich.

Dazu kommt der – mit Ausnahme einer ausführlichen Darstellung im profil – hierzulande nicht ganz so präsente Fall der Legionäre Christi: Diese weltweit tätige und wachsende geistliche Erneuerungsbewegung, gegründet von einem mexikanischen Priester, steht vor ihren Trümmern; Gründer Marcial Maciel entpuppte sich als vielfacher Missbraucher von Burschen, dazu unterhielt er gleichzeitig Beziehungen zu mehreren Frauen, mit denen er Kinder hatte, von denen ihn einige ebenfalls des Missbrauchs bezichtigen. Maciel, der lange unterm Schutz von Papst Johannes Paul II. stand, wurde erst 2006 von der Spitze der „Legionäre“ abgezogen, er starb 2008. Dieser Tage hat der Vatikan eine Apostolische Visitation der Legionäre Christi beendet, und Medien erheben Vorwürfe, der damalige oberste Glaubenshüter Kardinal Ratzinger sei Teil des Vertuschungskartells gewesen.

Auch aus Joseph Ratzingers Münchener Erzbischofszeit (1977–81) tauchte eine Missbrauchscausa auf, die dem heutigen Papst die Kritik bringt. Wahrscheinlich – legen die täglich auftauchenden Fälle nahe – wird man bei bald jedem Kirchenoberen vor 20, 30, 40 Jahren verschwiegene Causen entdecken.

Warten auf die päpstlichen Worte

Umso mehr wartet die Welt, wie der Papst mit dieser größten Herausforderung seines an Kalamitäten nicht gerade armen Pontifikats umgehen wird. Ungeduldig fordern Medien ein klärendes Wort von höchster Stelle; ein zunächst für die irischen Katholiken angedachter Hirtenbrief ist für die nächsten Tage angekündigt. Ob päpstliche Worte aber reichen werden, bezweifeln viele an der Basis (vgl. Kolumne von H. Feichtlbauer, re.).

Das Nachdenken und öffentliche Reden der Zentrale ist das eine. Der Umgang vor Ort das andere. In Irland ist nun auch der katholische Primas in der Schusslinie: Kardinal Sean Brady, der sich ob seines offenen Umgangs mit den Affären Achtung erworben hatte, soll als junger Priester selber an einer unappetitlichen Vertuschung von Missbrauch beteiligt gewesen sein – und sieht sich Rücktrittsforderungen gegenüber.

Während sich Irlands katholische Kirche schon längst staatlichen Untersuchengen und haarsträubenden Ergebnissen derselben stellen muss, beginnt dieser Prozess in Deutschland erst. Ein runder Tisch mit der Regierung, an den sich die katholischen Bischöfe nach langem Zögern auch beteiligen werden, ist in Berlin für 23. April terminisiert.

Und im Land der Affäre Groër? Auch hier nimmt das Drama für die katholische Kirche ungeahnte Ausmaße an: Mehr als 100 Missbrauchsfälle sind seit Jahresbeginn österreichweit den kirchlichen Ombudsstellen gemeldet worden. Und das Fußvolk stimmt per Austritt ab; die Austrittszahlen der ersten Märzhälfte lassen landesweit die kirchlichen Alarmglocken schrillen. Mehr als 53.000 haben im bisherigen „Horrorjahr“ 2009 – dem Jahr der verunglückten Linzer Weihbischofsernennung – die Kirche verlassen. Schon jetzt zeichnet sich ab, dass diese Zahl 2010 übertroffen wird. Auch hierzulande meldet sich die Politik zu Wort – Justizministerin Claudia Bandion-Ortner und Familienstaatssekretärin Christine Marek laden am 13. April zu einem Runden Tisch zum Thema sexueller Missbrauch. Und kirchliche Reformgruppen wie die „Laieninitiative“ oder die Kirchenvolks-Begehrer mahnen einmal mehr Strukturreformen ein und kündigen „loyalen Widerstand“ an.

Austrittswelle und Schadensbegrenzung

Was sich aus der österreichischen Debatte dennoch ergibt, ist eine sichtbare Beweglichkeit im praktischen Umgang mit den Fällen – diözesane Ombudsstellen werden vernetzt, österreichweit sollen einheitliche Standards Transparenz bringen und kirchliche Amtsträger sollen nicht die Ansprechpersonen sein: Dem Herrn Abt oder dem Herrn Prälaten vertrauen sich Opfer einfach weniger leicht an als externen Expertinnen und Experten. Auch dass die Repräsentanten der katholischen Kirche nun die Opferperspektive als erste Priorität anerkennen, ist zweifelsohne ein Fortschritt.

Gretchenfrage bleibt aber: Wird es die katholische Kirche schaffen, über augenblickliche Schadensbegrenzung hinaus, ihre vermeintlichen „Grundfesten“ zu untersuchen? Dass Kardinal Schönborn im Mitarbeitermagazin thema kirche schreibt, es sei „notwendig, nach den Ursachen sexuellen Missbrauchs zu fragen“, und dabei ausspricht, dass dazu das „Thema Zölibat“ gehöre, wurde als Versuch wahrgenommen, heikle Themen nicht länger auszusparen; auch Salzburgs Erzbischof Alois Kothgasser ließ Ähnliches verlauten. Und eine kürzliche Wortmeldung im vatikanischen Zentralorgan könnte ebenfalls ein Indiz dafür darstellen: Dass ausgerechnet im Osservatore Romano die Historikerin Lucetta Scaraffia einen Leitartikel zum Thema schreiben konnte, ließ aufhorchen: Der Ausschluss von Frauen aus kirchlichen Leitungsämtern sei mitverantwortlich für die Missbrauchsskandale, so die Meinung der Frau Professor. Und weiter: Trotz einer gestiegenen theoretischen Wertschätzung kämen Frauen im Leben der Kirche noch immer nicht angemessen vor.

Solche vom Vatikan publizierte Position deutet an, dass die Diskussion über die Disziplinierung gefallener Priester und die Verbesserung der Auswahl des geistlichen Nachwuchses weit hinaus gehen muss.

„Das Haus wird’s überdauern, auf festem Grund es ruht …“, so lautet die Folgezeile im eingangs zitierten Kirchenlied über den tobenden Sturm um die Kirchenmauern. Die katholische Kirche muss sich in nächster Zeit damit auseinandersetzen, wie dieser Grund beschaffen sein muss, damit er wirklich fest und imstande ist, auch tonnenschwere Fundamente zu tragen.

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