Ein Jahr nach dem "Dialog für Österreich": Nicht mehr schweigen!

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Der Delegiertentag zum "Dialog für Österreich" bewegte im Oktober 1998 die Katholiken. Heute bewegt er niemanden mehr. Fatal, daß die Kirche auch in der Politik unsichtbar ist.

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Der Delegiertentag zum "Dialog für Österreich" bewegte im Oktober 1998 die Katholiken. Heute bewegt er niemanden mehr. Fatal, daß die Kirche auch in der Politik unsichtbar ist.

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Erinnert sich noch jemand an den 23. bis 26. Oktober 1998? Als 300 - von den Bischöfen ernannte - Repräsentanten zur Salzburger Delegiertenversammlung des "Dialogs für Österreich" zusammenkamen? Gemeinsam mit seinen Hirten dachte das delegierte Volk über Kirchenreform (Frau und Kirche, Priester und Laien, Geschiedene und Wiederverheiratete, Weltkirche und Ortskirche ...) und über wenige gesellschaftspolitische Fragen (Sterbehilfe, Sonntag, Europa, Solidarität mit der Welt ...) nach. Und kam zu eindeutigen Voten, überraschend klar "kirchenreformerisch" - die Forderungen bis in die Formulierungen hinein ident mit vielen Anliegen, die schon seit den siebziger Jahren bei Diözesansynoden und ähnlichen Prozessen in der österreichischen Kirche geäußert worden waren.

Der Befreiungsschlag, den die Kirche Österreichs 1997/98 auf Initiative ihres damaligen Vorsitzenden, des Grazer Bischofs Johann Weber, versucht hatte, kulminierte in diesem Delegiertentag - und ging danach ins Leere. Denn obwohl in Salzburg kraftvoller Wille zum Aufbruch spürbar war, wurde von den Bischöfen kein Gebrauch davon gemacht. Was eine österreichweite gemeinsame Anstrengung hätte werden können, war im Nu verschwunden, bestenfalls schubladisiert in bischöfliche Arbeitsgruppen, in denen fernab öffentlicher Wahrnehmung an den Themen von Salzburg weitergearbeitet wird. Oder auch nicht.

Pessimisten hatten dies schon immer gewußt; aber selbst sie waren von der Dynamik und vom Geist der Salzburger Versammlung beeindruckt gewesen. Der Jahrestag läßt aber kaum Nostalgie aufkommen: die Ernüchterung ist nachhaltig.

Es gibt Gründe für das Verpassen der Chance "Dialog für Österreich": Da ist die chronische Leitungskrise der österreichischen Kirche. Die Bischofskonferenz entpuppte sich in den Monaten seit Salzburg einmal mehr als uneinige Institution, kaum mehr handlungsfähig. Dazu kommt eine Autoritätskrise der römischen Kirchenleitung, die mit Argusaugen die österreichischen Vorgänge beobachtete und die heimischen Bischöfe nicht nur nicht unterstützte, sondern - wie bei allen Reformansätzen, welche auch aus anderen Ecken der Welt nach Rom dringen - ängstlich abwehrend reagierte.

Daß der "Dialog"-Jahrestag kein Jubelanlaß ist, hat aber auch eine fatale Optik - über die unmittelbare Führungsschwäche der katholischen Kirche hinaus: Denn Kirche als Ganzes verliert in der Gesellschaft rasant an Relevanz. Wer nimmt zur Zeit Kirche, die sich in die politische Diskussion einmischt, wahr (wohlgemerkt: nicht in eine parteipolitische, wie sie soeben Kurt Krenn mit Ratschlägen an die ÖVP und Sympathiebekundungen für Jörg Haider vormacht)?

Der "Dialog für Österreich" sollte auch hierzu kräftige Impulse geben (auch wenn der Verdacht naheliegt, man wollte den "Dialog" ursprünglich in Richtung Gesellschaftspolitik lenken, damit die heißen Eisen der Kirchenreform nicht aufs Tapet kämen). Kaum ins Bewußtsein drang, daß im Zuge des "Dialog"-Prozesses mehr als 20 qualifizierte Fachtagungen zu gesellschaftspolitischen Themen - mit enormem inhaltlichem "Input" - stattfanden. Dieser Input verstaubt jedoch und blieb auch innerkirchlich unbeachtet.

Die diesbezügliche Lage verschärfte sich gar noch, denn nicht nur bei den "heißen Eisen" brach der kirchenöffentliche Diskurs ab, auch zu den kirchenpolitisch unverdächtigen Sozialthemen rangen sich die Bischöfe nur eine defensive Vorgangsweise ab. Ob etwa ein "Sozialwort der Kirchen", wie von den Salzburger Delegierten gefordert, kommt, ist immer noch nicht klar. Und auch sonst - von kleinen Interventionen, etwa beim Thema Sonntag, abgesehen - gab es kaum kirchliche Wortmeldungen, schon gar nicht Aktivitäten. Auch in bezug auf den Kosovo war die katholische Kirche politisch wenig präsent; Spenden sammeln und effizient verteilen wurde als einzige Kompetenz der Kirche wahrgenommen. Und als im Wahlkampf ein klares Wort gegen Ausländerfeindlichkeit zu sprechen war, warf einmal mehr der 94jährige Kardinal König seine moralische Autorität in die Waagschale.

Der Jahrestag der "Dialog"-Versammlung ist dennoch zu begehen. Und zwar deswegen, um - im Sinne der Worte eines Kirchenliedes: "Weck die tote Christenheit aus dem Schlaf der Sicherheit ..." - die Kirche an ihren gesellschaftlichen Auftrag eindrücklich zu erinnern. Zu viel steht für die österreichische Gesellschaft auf dem Spiel, als daß Kirche sich in nobler Zurückhaltung und politischer Ängstlichkeit verstecken darf.

Es gibt hiebei viel zu tun. Dazu reicht aber nicht, daß Vertreter der Kirche Österreichs hin und wieder richtige Worte finden - wie jüngst der Wiener Kardinal Schönborn nach einem Besuch in der Jerusalemer Gedenkstätte Yad Vashem, als er, auf die Auslandskritik am österreichischen Wahlergebnis angesprochen, seine Landsleute mahnte, die Kritik ernst zu nehmen, nicht in Selbstmitleid zu verfallen und um die Last der Geschichte zu wissen, die Österreich trage. Solche Worte dürfen nicht Ausnahme bleiben, sondern sind auf allen Ebenen, vom Kardinal ebenso wie von Laien, die sich mit Unrecht und Intoleranz in der Gesellschaft nicht abfinden, auszusprechen.

Ein überraschender Zeuge, der deutsche Philosoph Jürgen Habermas, hat in einem Interview genau dieses von den Kirchen gefordert: Bis heute gebe es keine Alternative zum Erbe der jüdischen Gerechtigkeits- und der christlichen Liebesethik, meint der "linke" Denker, und bezieht sich ausdrücklich auf die Globalisierung. Habermas verlangt, die "wildgewordene ökonomische Dynamik" einzudämmen; er setzt darauf, daß sich die Kirchen dabei stark ins Spiel bringen.

Vielleicht ist es bloß ein frommer Wunsch, die katholische Kirche wieder mehr ins öffentliche Leben hineinzureklamieren. Eine schweigende Kirche - nicht zuletzt dafür sollte der Besuch des Wiener Kardinals an der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem als Symbol dienen - kann an einer ungerechten Welt mitschuldig werden. Auch schon dann, wenn die Zeiten noch ganz anders sind als jene, in denen 60.000 österreichische Juden der Ermordung anheimfielen.

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