Schönborn - © APA / Hochmuth

Österreichs Kardinal

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Kirchenreform und Konzil waren gestern. Der Kardinal setzt heute auf Selbstvergewisserung nach innen und missionarisches Zeugnis nach außen: eine Zwischenbilanz der Ära Schönborn.

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Kirchenreform und Konzil waren gestern. Der Kardinal setzt heute auf Selbstvergewisserung nach innen und missionarisches Zeugnis nach außen: eine Zwischenbilanz der Ära Schönborn.

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Für den normalsterblichen Österreicher ist es ein Einschnitt: Mit 65 ist das Berufsleben zu Ende, die Pension beginnt. Ein Kardinal hingegen befindet sich da mitten im „besten Alter“. Insofern ist der 65er, den Christoph Schönborn am 22. Jänner begeht, kein spektakuläres Datum. Als Erzbischof von Wien hat er dann noch zehn Jahre vor sich, bis er dem Papst seinen Rücktritt anbieten wird. Und als Kardinal kann er dann noch weitere fünf Jahre an einer Papstwahl mitwirken. Abgesehen davon, dass noch weitere kirchliche Karriereschritte denkbar sind (der Protagonist dementiert diesbezüglich regelmäßig auftauchende Gerüchte ebenso regelmäßig), ist die Ära Schönborn an seiner derzeitigen Wirkungsstätte keineswegs endgültig zu beurteilen. Eine Zwischenbilanz kann aber gewagt werden, jährt sich 2010 doch auch Schönborns Ernennung zum Wiener Erzbischof zum 15. Mal.

Zwei Wiener Kirchen-Ären

Der journalistische Beobachter ist versucht, den derzeitigen Kirchenoberen mit seinem Vorvorgänger zu vergleichen. Das ist in mancher Hinsicht schwierig, denn eine Zwischenbilanz mitten in der Ära König hätte anderes zutage gefördert als die Erinnerung an den Jahrhundert-Kardinal, der ja erst nach seiner Emeritierung 1985 die moralische Instanz Österreichs werden konnte.

Dennoch sticht bei beiden Ären das kirchenpolitische Gewicht heraus: Kardinal König gehörte zu den weltweit prominenten Konzilsvätern des II. Vatikanums, darüber hinaus war er ein hoch geachteter Religionswissenschafter und Vorreiter des Gesprächs mit den nichtchristlichen Religionen sowie mit den Ostkirchen. An Letzteres schließt Schönborn nahtlos an, denn er etablierte sich schon in jüngeren Jahren als Experte für die Theologie der Ostkirchen. Außerdem hat sich der polyglotte Adelige Schönborn gleichfalls hohe internationale Prominenz erarbeitet.

Der augenfälligste Unterschied zwischen König und Schönborn liegt aber daran, dass beide nicht nur unterschiedliche Generationen, sondern auch ein anderes Kirchenbild repräsentieren. Für Kardinal König war das Konzil das wichtigste Ereignis seines Lebens; er engagierte sich zeitlebens für die Weiterführung des Geistes des II. Vatikanums. Schönborn ist dem entgegen klarer Verfechter eines postkonziliaren Zeitalters, das mehr und mehr die Theologie, wie sie vor dem Konzil en vogue war, in die heutige Kirche integrieren will. Als Zeichen dazu mag gelten, dass Schönborn 2004 beim Begräbnisgottesdienst für den Konzils-Kardinal König, den er sehr schätzte, kein einziges Mal das Wort „Konzil“ in den Mund nahm.

Man kann das schon vor seiner Zeit als Wiener Erzbischof festmachen: Von 1987 an fungierte Schönborn als Redaktionssekretär des dann 1992 erschienenen Weltkatechismus, der von Kritikern als hinter das II. Vatikanum zurückgehend eingestuft wird. Heute gilt dieses Kompendium als Statusquo der katholischen Lehre. Bekanntlich war Joseph Ratzinger einer der Lehrer Schönborns, wenig überraschend, dass der Kardinal als theologischer Vertrauter dieses Papstes gilt. Dass Schönborn 2007 in Rom als einer der Präsentatoren des Jesus-Buches von Benedikt XVI. fungierte, spricht für dieses Naheverhältnis.

Das bedeutet aber nicht, dass Schönborns machtpolitisches Gewicht dem vergleichbar wäre. Dass der Wiener Kardinal Anfang 2009 von der Ernennung Gerhard Maria Wagners zum Linzer Weihbischof überrascht wurde, mag als Indiz dafür gelten.

Kontroversen angefacht

Schönborn bewies auf Weltebene immer wieder, dass er Kontroversen nicht scheut: Sein Kommentar in der New York Times vom Juli 2005 zur Evolutionstheorie wurde allgemein als Plädoyer für die „Intelligent Design“-Theorie aufgefasst und vom Gros der Naturwissenschafter abgelehnt. Nach vierjähriger Auseinandersetzung ließ der Kardinal Anfang 2009 aufhorchen, als er seinen New York Times-Kommentar als „etwas holzschnittartig“ qualifizierte: Er „hätte noch einiger Differenzierung bedurft“. Mittlerweile haben sich die Standpunkte Schönborns und der Evolutionsbiologie angenähert.

Andere Kontroverse löste Mitte 2008 ein unter dem Namen des Kardinals in der englischen Wochenschrift Tablet erschienener Artikel aus, in dem er ausführte, die katholische Kirche könne nicht von der Missionierung der Juden abgehen. Im gleichen Jahr qualifizierte Schönborn die „Mariatroster Erklärung“ von 1968 als „Sünde“ der Bischöfe: Damals hatten Österreichs Bischöfe versucht, das in der Enzyklika „Humanae vitae“ ausgesprochenen Verbot der künstlichen Empfängnisregelung durch Verweis auf die Gewissensentscheidung des Einzelnen abzumildern.

Die globalen Aktivitäten des Kardinals finden in Österreich und Wien ihre Entsprechung. Schönborn ist ein Freund neuer geistlicher Bewegungen aus dem konservativen Spektrum – wie der französischen Gemeinschaft Emmanuel oder des aus Spanien stammenden Neokatechumenat. Er förderte die Dependance der katholischen US-Universität Steubenville in Gaming oder das von dort nach Trumau bei Baden übersiedelte Internationale Theologische Institut. Gewachsenen kirchlichen Organisationen gegenüber erweist er sich dagegen oft als Skeptiker.

Troubleshooting und neue Markierungen

1995 übernahm Schönborn die Erzdiözese Wien in ihrer größten Krise: Die Missbrauchsvorwürfe gegen Amtsvorgänger Hans Hermann Groër von 1995 und 1998 waren eine enorme Last. Schönborn gelang es, die Ortskirche wieder in ruhigere Gewässer zu lenken. Der Preis dafür war aber, dass die Kirchenreformdiskussionen zum Erliegen kamen. 1998 hatte sich beim „Dialog für Österreich“ nochmals eine konzilsorientierte Kirche zu Wort gemeldet. Die Voten bei der Delegiertenversammlung in Salzburg waren überwältigend für ein moderates Angehen der „heißen Eisen“ der Kirchenreform – kein Pflichtzölibat für Priester, Diakonat auch für Frauen, neuer Umgang mit Geschiedenen …

Schönborn konnte – und wollte – diese Anliegen in Rom nicht vertreten, auch weil in Rom nichts zu bewegen war. Seit damals spricht der Kardinal davon, dass all dies nur auf Weltkirchenebene zu lösen sei. Ein Argumentationszirkel: Denn die Weltkirche – sprich: Rom – bewegt sich nicht, und von daher kann sich auch die Ortskirche nicht bewegen. In der Folge setzte Schönborn auf geistliche Events wie den Mitteleuropäischen Katholikentag 2004 oder die von der Gemeinschaft Emmanuel betreute Wiener Stadtmission(2003). Zuletzt initiierte Schönborn in Wien den Prozess „Apostelgeschichte 2010“, der einer Glaubensvergewisserung im Inneren und dem missionarischen Zeugnis nach außen hin verpflichtet sein will, aber eine kirchenreformerische Agenda ausblendet. Dieses Unterfangen findet aber, so der Tenor Beteiligter, in einem Klima des Miteinanders statt. Die brennenden Fragen etwa der Zukunft der Pfarren angesichts des Priestermangels und des Reformstopps in Rom jedoch bleiben weiter unbehandelt.

Nach innen verfolgt Schönborn, so lässt sich als Zwischenbilanz seiner Ära konstatieren, eine konservative Linie – und weiß sich damit eines Sinnes mit seinem Freund und Lehrer Benedikt XVI. Nach außen dagegen wagt er sich weiter hinaus – etwa indem er mit der Gier in der Wirtschaft bis hin zur Hypo-Alpe-Adria-Krise hart ins Gericht geht (vgl. sein Weihnachtsinterview mit der FURCHE, Nr. 52-53/2009). Und auch in Auseinandersetzung mit dem Islam plädiert er – anders als viele seiner Bischofskollegen – für eine gelassenen Zugang zu dieser Religion.

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