Der gute Geist der Zweiten Republik

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Die erste Strophe der österreichischen Bundeshymne liest sich, als hätte deren Dichterin Paula von Preradovi´c den Lebenslauf Kardinal Königs vor Augen gehabt.

Unter den zahlreichen Jubiläen, die Österreich in diesem Jahr begeht, ist jenes Franz Königs wohl das rundeste. Jetzt erst kommen die beiden Jahrhunderte, auf die Hubert Feichtlbauer im Titel seiner König-Biografie angespielt hat, zur Deckung: das 20. der Allgemeingeschichte und das persönliche des Kirchenmannes. Und so betrüblich es ist, dass der "Jahrhundertkardinal" seinen Jubeltag nicht erleben durfte, so ermöglicht es andererseits eine nüchternere Befassung mit seiner Bedeutung. Es fällt König keine Zacke aus der Krone, wenn jetzt auch Fragen gestellt werden, die in den Nachrufen noch unterdrückt wurden.

Auch wenn die Versuchung groß ist, mit Königs Rolle in der Gesellschaft anzuheben - dem Gottesdienst soll nichts vorgezogen werden. Jahrzehntelang hat Franz König darunter gelitten, primär nicht als Seelsorger wahrgenommen zu werden, sondern als Kirchenfürst, ja als Politiker. Dabei hat er acht Jahre lang als Kaplan und Religionsprofessor gewirkt - für einen Bischof eine bemerkenswert lange Zeit. Seine Erfahrungen in der Jugendpastoral sind in seine Tätigkeit als Jugendbischof der Bischofskonferenz eingeflossen.

Der Seelsorger der Nation

Zum Seelsorger der Nation aber wurde er erst im vermeintlichen Ruhestand. Keiner hat vom nahenden Tod mit solcher Gelassenheit gesprochen wie er, und wenn von ihm sich Sätze ins Gedächtnis der Österreicher eingeprägt haben, dann jene drei menschlichen Grundfragen, die er unablässig wiederholt hat: "Woher komme ich? Wohin gehe ich? Was ist der Sinn meines Lebens?"

Franz König war freilich nicht nur allgemein Seelsorger, sondern ganz konkret und ganz bewusst katholischer Priester. Das Priestertum ist ein Schlüssel zu seinem gesamten Verhalten und harrt noch der Analyse wie auch der innerkirchlichen Diskussion. Königs nachdrückliche Förderung der Laien ließ nicht wenige vergessen, dass sie in seiner Sicht Laien blieben, die den Priestern zwar nicht mehr unter-, aber doch zugeordnet blieben. Und was unter Königs Ägide von aktiven Katholikinnen und Katholiken als Befreiung erlebt wurde, erscheint jüngeren Generationen vielfach als selbstverständlich, ja anachronistisch.

Immer weniger Laien wollen als solche auch nur bezeichnet werden, und viele, vor allem Frauen, haben sich aus der katholischen Kirche verabschiedet, weil sie mit einer Unterscheidung von allgemeinem und besonderem Priestertum nichts mehr anfangen können. Die aktuelle Debatte um die Eucharistie legt davon beredtes Zeugnis ab.

Unterschiedliche Rezeption

Das Priester- und Kirchenbild ist auch ausschlaggebend für die Einordnung Königs ins Koordinatensystem von konservativ und progressiv. Nicht nur das Opus Dei, dem der Kardinal in Österreich den Weg geebnet hat, besteht darauf, dass er dem konservativen und nicht dem progressiven Lager zuzurechnen war. Auch im Hinblick auf die Ökumene stellt sein Kirchen- und Priesterbild wohl den Angelpunkt dar. Die Diskrepanz in der Wahrnehmung von Königs Rolle im Bezug auf die anderen Kirchen ist gewaltig: Während für Basiskatholiken in Österreich die vom Kardinal vorangetriebene Öffnung zu den Evangelischen und zu den Altkatholiken im Vordergrund steht, dominiert auf der Leitungsebene und international gesehen Königs Einsatz "pro oriente", also für die orthodoxen und altorientalischen Kirchen. Die enorme Wertschätzung des Kardinals in den Ostkirchen ist schwer vorstellbar, hätte König nicht, bei aller Liberalität, letztlich am hierarchischen Kirchenbild festgehalten.

Doch nicht nur die innerkirchliche Positionierung Königs ist kontroversiell; ein Blick in Geschichtsdarstellungen und Lexika genügt um festzustellen, wie unterschiedlich der Kirchenmann im In- und Ausland rezipiert wird. Gilt es in Österreich, bei unterschiedlicher Bewertung, als ausgemachte Tatsache, dass eine zentrale Leistung des Kardinals in der Aussöhnung von Sozialdemokratie und katholischer Kirche besteht, so ist dies ausländischen Autoren zumeist nicht die geringste Erwähnung wert. Auch der Rolle des Konzilsvaters wird in ausländischen Nachschlagewerken nicht jene Bedeutung zugemessen, wie dies in Österreich der Fall ist.

Als Beispiel für die unterschiedliche Bewertung einzelner Aktionen Königs sei die Lösung der Causa Mindszenty herausgegriffen: Während der Kardinal selber gern die Geschichte zum Besten gab, Johannes XXIII. habe ihm geraten, einfach am Bahnhof eine Fahrkarte zu lösen, um nach Budapest zu fahren und Kardinal Mindszenty einen Gruß des Papstes zu überbringen, spricht Bruno Kreisky in seinen Lebenserinnerungen von seinen eigenen "Bemühungen, den Primas der ungarischen Kirche ... nach Wien zu bringen. Der Vatikan ließ mich gewähren, wobei mir meine persönliche Freundschaft mit dem damaligen Nuntius sehr zustatten kam." Die "Encyclopaedia Britannica" wiederum vermerkt trocken, es sei der us-amerikanische Präsident Richard Nixon gewesen, der Mindszenty letztlich zur Ausreise bewog.

Zu den meist zitierten Sätzen des Wiener Erzbischofs gehört sein Bekenntnis vor dem Österreichischen Gewerkschaftsbund 1973: "Ich bin kein Bischof der övp und kein Bischof der spö, kein Bischof der Unternehmer und keiner der Gewerkschafter, nicht ein Bischof der Bauern und nicht einer der Städter. Ich bin der Bischof aller Katholiken." Noch grundsätzlicher aber ist sein Statement, "das politische Freund-Feind-Verhältnis kommt für die Kirche nicht in Betracht. Ihr Blick muss immer so klar sein, dass sie im vermeintlichen Gegner von heute den möglichen Verbündeten von morgen sehen kann."

Es ist festzuhalten, dass Franz König zwar gegen das Ausländer-Volksbegehren der fpö (1992) Stellung genommen und vor der Wahl vom Oktober 1999 zu Solidarität gemahnt, die in der Folge gebildete Regierung aber nie in Bausch und Bogen verurteilt hat. Die Sanktionen von 14 eu-Ländern bezeichnete er als "verständliche", aber "übereilte Reaktion".

Konsens als Credo

"Geduld zu haben" sei "vielleicht ein katholisches Erbe dieses Landes und seiner Menschen", hat König in einem Artikel für die Tageszeitung Neues Österreich 20 Jahre nach Gründung der Zweiten Republik geäußert. Der Österreicher wisse, "dass die Dinge langsam reifen, er ist gewohnt, in Provisorien zu leben, er ist ein Feind jeglichen Perfektionismus, er weiß, dass die Erfolge sich nur langsam einstellen, dass ein Ziel vielleicht nie 100-prozentig erreicht werden kann, dass viele Rückschläge in Kauf genommen werden müssen". In derartigen Betrachtungen mag man allerdings ein Credo erblicken, das eher mit Konsensregierungen kompatibel ist als mit forschen Alleingängen, mögen sie nun einem nach links oder nach rechts gerichteten Wegweiser folgen.

Viele Indizien sprechen dafür, Franz König als Repräsentanten jener Phase der Zweiten Republik anzusprechen, die durch die Schlagworte Neutralität und Sozialpartnerschaft charakterisiert werden. Aber auch Neutralität und Sozialpartnerschaft waren für den Kardinal keine Kampfbegriffe, sondern Zeichen einer bestimmten Zeit. Macht es nicht seine größte Faszination aus, dass er bis zum letzten Atemzug ein Fragender, ein Suchender geblieben ist?

Kardinaltugenden

Königs "Kardinaltugenden" Dialogfähigkeit und Toleranz waren, jenseits aller Parteipolitik, mit den gesellschaftlichen und politischen Leitideen seiner Amtszeit als Erzbischof von Wien kompatibel, ja kongruent. Weitgehend unangefochten konnte der Kardinal seine Kirche als "Gewissen der Nation" präsentieren; weder fiel ihm ein restaurativer Kirchenkurs in den Rücken, noch hatten sich junge Linke und Liberale als kirchenferne Vordenker der Nation profiliert, und eine denkbare weitergehende Trennung von Kirche und Staat lief gerade den Interessen der Sozialdemokratie zuwider.

Königs Politik der "dynamischen Mitte" in der Kirche entsprach dem erstarkten "partizipatorischen Nationalbewusstsein" des Staates im Inneren und der "aktiven Neutralitätspolitik" im Äußeren. Nichts illustriert diesen Befund besser als die österreichische Bundeshymne, deren Text sich in der ersten Strophe liest, als hätte Paula Preradovi´c den Lebenslauf des Kardinals vor Augen gehabt. Die inhaltlichen Übereinstimmungen sind nicht zufällig.

Die Hymne der Dichterin ist die Hymne der Zweiten Republik, ein Bestandteil ihres Gründungsmythos. Als sie 1946 entstand, war der durch die Vergangenheit nicht kompromittierte "österreichische Mensch" gefragt, der zuversichtlich in die Zukunft blickt und der diese Zukunft "viribus unitis", mit vereinten Kräften, gestalten möchte.

Paula Preradovi´c hat den "neuen Österreicher" programmatisch skizziert, Franz König personifizierte ihn leibhaftig. Der Kardinal ist und bleibt im Bewusstsein der überwiegenden Mehrheit der Österreicher der gute Geist der Zweiten Republik.

Der Beitrag fußt auf der Untersuchung des "Mythos vom Kardinal König" durch den Autor, die im ersten Band von "Memoria Austriae", Verlag für Geschichte und Politik 2004, enthalten ist.

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