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Sich mit „Schneid” in das „Abenteuer Gott” stürzen

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Eine „Revision” kann eine Buchprüfung sein, bei der es nur darum geht, ob die Zahlen stimmen und ob sie einem vorher gesetzten Ziel gerecht werden. Sie kann auch eine Kurskorrektur, verbunden mit einem Blick zurück - im Zorn, aber auch ohne Zorn und Eifer (sine ira et studio) -, sein. Trägt ein Buch den Titel „Revisionen”, wird offenbar noch mehr angestrebt: einerseits Rückbesinnung auf alte Ideale und Zielvorstellungen, aber auch, anknüpfend daran, die Suche nach Orientierungen für die Zukunft.

Mit dem Band „Revisionen - Katholische Kirche in der Zweiten Republik” gibt die Katholische Aktion Österreichs (K AÖ) wieder ein kräftiges Lebenszeichen von sich. Sie mag ihre Schwächen haben, aber vergessen wir nicht: Es war die KAÖ, die innerkirchlich nie um den heißen Brei herumredete (Beispiel: Neuwaldegger Erklärung, 1992) und die auf politischer Ebene im Jänner 1993 Jörg Haiders Anti-Ausländer-Volksbegehren mit einem in ganz Österreich verteilten Flugblatt wirkungsvoll entgegentrat. Nun hat sie engagiert österreichische Kirchengeschichte seit 1945 aufgearbeitet, was allein schon den Erwerb des Buches lohnt. Besonderes Gewicht gibt aber dem Werk, daß so viele Autoren zu Wort kommen und eine gelungene Verbindung von Rückschau, Standortbestimmung und Zukunftsperspektiven entsteht.

Das Buch dokumentiert zunächst ein im April 1996 in Seggau abgehaltenes Symposium. Aus den 1 exten der Referenten (Karl Heinz Frankl, Maximilian Liebmann, Rupert Gmoser, Erika Schuster, Heide Pils, Eduard Ploier, Kurt Klein, Erhard Busek, Franz Küberl) Diskussionen und Arbeitskreisberichten wird sozusagen das Skelett des Themas erkennbar.

Ginge man nur nach den vom Statistiker Kurt Klein in einem sehr informativen Beitrag vorgestellten Zahlen, müßte bei den Katholiken Untergangsstimmung aufkommen: Rückgang des Anteils an der Gesamtbevöl-kerungjvon 89 (1951) auf 78 Prozent (1991), Rückgang des Gottesdienstbesuches von 40,3 (1950) auf 22, 7 Prozent (1994), deutliche Rückgänge bei katholischen Taufen, Hochzeiten, Begräbnissen, Priesterweihen. Stark erhöht1 hat sich nur der Kommunionempfang pro Gottesdienstbesucher von 22,7 (1950) auf 45,0 Prozent (1994) -Zeichen eines intensiveren Glaubenslebens oder für geringere Ehrfurcht vor dem Sakrament?

„Einstmals stürzte man sich in das Abenteuer Gott”, zitiert Ex-Vizekanzler Erhard Busek den Atheisten Emile M. Cioran, von dem ihm auch eine andere Aussage („Offen gestanden, kann man von irgendetwas anderem reden als von Gott oder sich selber?”) bedenkenswert erscheint. Wird hier nicht deutlich, daß zumindest das Thema Gott für die Menschheit unerschöpflich ist, mögen auch die Vorgänge in der Kirche Österreichs von 1945 bis 1995 nach den Worten des Wiener Kirchenhistorikers Karl Heinz Frankl der „Geschichte einer Erschöpfung” ähneln Eine Fülle von Themen wird behandelt, die Weltverantwortung wird besonders betont. Christen sollten, so Caritas-Präsident Franz Küberl „mit - ordentlicher Schneid” gesellschaftliches Engagement praktizieren.

Für Fleisch und Farbe sorgt vor allem der zweite Teil des insgesamt 83 Beiträge umfassenden Buches, viele-sehr persönliche Glaubenszeugnisse einzelner Christen. 200 waren der Einladung gefolgt, „aus eigener Erfahrung” den von ihnen erlebten Weg der Kirche seit 1945 zu reflektieren, so mußte für das Buch eine Auswahl getroffen werden. Nur um einen Hinweis auf die Vielfalt der Autoren zu geben, seien einzelne (fast alle sind prominent und weithin bekannt) beispielhaft hervorgehoben: der Liturgiker Philipp Harnoncourt, „Aktion-IJeben”-Präsi-dentin Grit Ebner, Kirchenvolks-Be-gehren-Initiator Thomas Plankensteiner, die unvergessene Pia Maria Plechl, der evangelische Superintendent Ernst-Christian Gerhold, Erwachsenenbildnerin Margarete Schmid, EU-Kommissär Franz Fischler. Eine Chronologie der wichtigsten Kirchenereignisse von 1945 bis 1995 - erstellt von Annemarie Fenzl - rundet das Werk ab.

Selbst die Buntheit an Personen und Erfahrungen kann natürlich nur Mosaikstücke, kein lückenloses, alle Aspekte berücksichtigendes Bild der österreichischen Kirche nach 1945 liefern. Dazu müßten im Personenregi ster, um nur Beispiele zu nennen, wenigstens einmal die Namen Friedrich Funder oder Alfred Kostelecky vorkommen. Dort findet man am häufigsten die Namen Franz König, Otto Mauer, Karl Rahner und Karl Strobl, zweifellos ein Indiz dafür, welche Persönlichkeiten in den vergangenen Jahrzehnten nicht nur auf Österreichs Katholiken im allgemeinen, sondern auf die Katholische Aktion im besonderen von nachhaltig prägendem Einfluß gewesen sind.

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