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Kirche — Zeichen und Signal

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Die katholischen Publizisten Österreichs hatten in der vorpfmgstlichen Zeit ihre Kollegen aus den deutschsprachigen Gebieten Europas zu einem Treffen ins steirische Grenzland, auf das bischöfliche Schloß Seggau eingeladen. An die neunzig Verleger und Journalisten aus sechs Staaten waren’ Zu den dreitägigen Beratungen ‘e’f schienen, die.,,zur, Gänze,, dem kimmenden II. Vatikanischen Konzil galten. Den drei großen, in fast dramatisch zu nennender Komposition aufeinander bezogenen Referaten, die dem bekannten Vorkämpfer katholischer Ökumene-Arheit, Dr. P. Thomas Saftory, dem Grazer Universitätsprofessor für Dogmatik, Dr. Winfried Gruber und dem Mitherausgeber und leitenden Redakteur von „Wort und Wahrheit", Dr. Otto Schulmeister übertragen worden waren, stand eine über viele Stunden dauernde Aussprache an Niveau und Ernst kaum nach. Die in jeder Hinsicht überragende Persönlichkeit des geistigen Vaters dieser Tagung, des steirischen Altlandeshauptmannes Dr. Karl Maria S t e p a n, setzte den richtunggebenden Anfang und den würdig zum Handeln weisenden Schlußakkord, wie auch sein eigener fundierter Diskussionsbeitrag in der Mitte der Tagung selbst die positive Wendung von hoher Theorie zu zielgerichteter Praxis markierte.

Man kann nicht behaupten, daß die Tagung unter besonders optimistischen Aspekten begann oder mit großen Fanfarenstößen abgeschlossen wurde. Kaum einer unter den Versammelten, der nicht unter dem Eindruck jüngster Erklärungen und Kommentare von offiziöser römischer Seite über die Mit- ärfwit dbr ‘LäK’tf,’ über die Einbeziehung ,der publizistischen öffentlichen Meinung stand, deren Bekanntwerden sich wie ein Reif auf manche durch das Feuer der ersten Konzilsankündigung allzu erhitzte Hoffnungen senkte. Je näher das Konzil rückt, desto dichter scheinen sich die Türen der Kommis- sionszimmer zu schließen, desto höher scheinen die Mauern der Geheimhaltung zu wachsen, desto ausgedehnter scheint das von einem der Redner ehrfürchtig als „heilig“ bezeichnete Schweigen zu werden. Die Versuchung zur Resignation, zum freiwilligen Zurücksinken in den Untertanengeist vergangener Kirchenjahrhunderte lag und liegt in der Luft. Zeigte schon das kirchenoffizielle Dokument des Hirtenbriefs der österreichischen Bischöfe, die sich ausdrücklich für eine Hinzuziehung sachkundiger Laien zu den Konzilsvorabeiten (die mit dem eigentlichen, der lehrenden Kirche vorbehai- tenen Konzil nicht in eins zu setzen sind), verwendeten, bis zur Stunde keinen Erfolg, wie sollte von diesem mehr oder weniger privaten Treffen katholischer Publizisten ein wirklicher Einfluß auf das kommende Konzilsgeschehen zu erhoffen sein?

Vom Wachsen der Kirche

Es war nicht das geringste Verdienst dieser Tagung, daß alle ihre Redner — jeder freilich auf seine persönlich geprägte Weise — diese lähmende Skepsis, diesen Hang zur „Müdigkeit der Guten" zu überwinden wußten, ohne daß einer von ihnen auch nur den geringsten Versuch devoter Schönfärberei oder eines gewissen routinierten Kanzeloptimismus unternahm, ln den Referaten, wie in den meisten der ergänzenden Beiträge wurde umriuhaft die Gestalt und — besonders m Vortrag Dr. Grubers — auch etwas vom Wesen jener Kirche von morgen sichtbar, deren Kraftströme schon heute wirksamer und mit der Zeit auch spürbarer sind als alles, was vielleicht noch an hemmenden, zeitgebundenen Äußerlichkeiten entgegen stehen mag. Die Frage nach der äußeren Form, die das Konzil sowohl für die Heranziehung der dem Laien spezifischen Welterfahrung, wie auch für die sprach- und sachgerechte Information der katholischen und nichtkatholischen Weltöffentlichkeit finden wird, wurde zwar in allem Ernst untersucht und auch in der Schlußerklärung offen ausgesprochen. Aber sie erschien doch als zweitrangiges Problem gegenüber den geistig-religiösen Entwicklungen, die sich in unseren Tagen Bahn brechen. Die einfordernde Mitarbeit an diesen Aufgaben ist — so wurde es wohl jedem Publizisten dieser Tagung bewußt — schon lange keine Frage der organisierten Mitgliedschaft bei diesem oder jenem Verein, kein Problem der formalrechtlichen Sprecherlaubnis mehr. Sie wird zur religiösen Existenzfrage nicht nur für die Christen jenseits des Eisernen Vorhangs, die über formale Eifersüchteleien längst hinaus sind, sondern auch für uns, die wir in einer Welt leben, die dem äußeren Anschein nach der Kirche wohlwollend-ehrfürchtig gegenüber steht. Es war das besondere Verdienst Otto Schulmeisters, die Fragwürdigkeit einer säkularen Entwicklung aufzuzeigen, die in Wirklichkeit schon bald zu einem Punkt des Entweder-Oder führen wird, dessen Radikalität sogar über den politischen Ost-West-Konflikt von heute hinausgehen wird. Alles wird darauf ankommen, daß einer dann einheitlich gewordenen Menschheit, die sich dem Krisenpunkt einer reinen Diesseitsgesinnung nähert, eine Kirche gegenübersteht, die glaubwürdig und offen ist für die große Frage der Millionen nach dem Sinn eines von materieller Sorge weitgehend befreiten Daseins. Nirgends sei der Kirche verbürgt, daß sich diese von den primitiven Tagesgötzen enttäuschten Menschen dann dem Evangelium zuwenden müssen und nicht ihr Heil hei den Ersatz- und Afterkulten suchen werden. Nicht auf diese oder jene administrative Einzelmaß nähme zur Heranziehung des Laien komme es also an, sondern auf die Integration der Laien in die Kirche, auf die Hereinnahme der „weltlichen Welt“, die in steter Folge seit dem Hochmittelalter Gegenkirchen schuf, die den Graben von Jahrhundert zu Jahrhundert mehr erweiterten.

Daß zu dieser Aufgabe die Besinnung auf das Gemeinsame unter den Christen selbst eine fast unerläßliche Voraussetzung bildet, machte Professor Sartory aus seiner reichen ökumenischen Erfahrung klar. Er interpretierte die Grundintention Papst Johannes XXIII, der das Konzil nicht als ein unendlich langwieriges theologisches Streitgespräch oder als kirchendiplomatische Verhandlung zwischen den Konfessionen verstanden haben wollte, sondern als einen innerkirchlichen Prozeß der Selbstbesinnung, der Herausarbeitung ursprünglicher Bauelemente des einst gemeinsamen Vaterhauses. Das würde und müßte sich besonders bei dem neuen, auf christliche Urtraditionen zurückgehenden Verständnis des Bischofsamtes, bei der zeitgerechten Theologie des „Lai- kats", besonders aber auch in einer neuen, an der Heiligen Schrift vor und über allen anderen Elementen orientierten Verkündigungstheologie erweisen.

Und mitten in diesen Zentralbereich der Konzilsaufgabe, der noch wichtiger ist als das auch äußerlich mißzuverstehende „aggiornamento“, die Tagesanpassung, von der heute so viel geschrieben wird, führten die Worte des Dogmatikers Dr. Gruber, die zusammen mit der ihnen folgenden Aussprache den Höhepunkt, die eigentliche Verheißung dieser Tagung darstellten. Die Kirche sei Zeichen und Signal des göttlichen Ursprungsgeheimnisses, der Inkarnation. Sie sei fleischgewordene Gotteswirklichkeit in der Geschichte, aber sie gehe nicht — im Hegelschen Sinn — in der Geschichte auf. Erst vom Ende der Zeiten her werde sie Wesensvollendung empfangen. Was heute und zu allen Zeiten ihres Bestehens, besonders an den markanten Punkten der Konzile, gefordert ist, sei dies: daß sie unter dem hierfür verheißenen Beistand des Heiligen Geistes eben das als Zeichen setzt, als Signal in die Zeit hineinstellt, was ihrem für diese Epoche gegebenen Missionsauftrag entspricht. Die Sprache, in der das zu geschehen hat — Sprache hier als das Gesamt aller Vermittlungen geschöpflicher Art verstanden — ist weniger an eine vergängliche Philosophie oder eine angepaßte Mode als an das Wort der Inkarnation, die Heilige Schrift zu binden. Darm wird sich jenes Verstehen unter den Christen einstellen, das das äußere Zeichen der Kirche in dieser Welt ist.

In diesen Stunden spürten die Versammelten, die vielleicht bewegte Querelen, anekdotische „news“ oder spitze Streitgespräche am Rande des Konzils erwartet oder befürchtet hatten, mit einem Male die eine und allein bestimmende Wirklichkeit einer Kirche von Morgen, die trotz aller Mißlichkeiten und Enttäuschungen vielleicht schneller wächst, als wir ahnen.

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