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Das Konzil und der Ostblock

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Die Aufgaben des Zweiten Vatikanischen Konzils sind, wie sowohl in Rom als auch in den wichtigsten Zentren der katholischen Welt oft und deutlich betont worden ist. rein religiöser Art. Da aber eines der Haupt-themeh der Beratungen sein wird, den Standort der Kirche inmitten der heutigen Welt festzulegen, ergibt sich dennoch und notwendigerweise eine Wechselwirkung zwischen den Debatten und den Beschlüssen des vom Heiligen Vater geleiteten Weltepiskopats einerseits und dem politischsozialen Geschehen nicht nur innerhalb der mehrheitlich katholischen Länder anderseits. Unter diesem Gesichtspunkt, und nur unter ihm, soll hier Rechenschaft vom. derzeitigen Stand der Dinge gegeben werden, soweit er die kommunistischen Staaten betrifft, in erster Linie die Europas.

Von vornherein sind die Beziehungen der nichtkatholischen Bekenntnisse der kommunistischen Einflußsphäre, aber auch die der dortigen Angehörigen der katholischen Kirche, den Episkopat voran, mit einer doppelten Hypothek belastet: der grundsätzlichen Feindschaft des Marxismus gegen jede Religion und der Abneigung der meisten östlichen „schismatischen“ Bekenntnisse, zumal der russischen und der griechischen Kirche, gegen die „Lateiner“. Es handelt sich da um eine im antirömischen Affekt einige Allianz zweier an sich einander widerstrebenden Strömungen. Denen, die hier gegen den Papst und Vaükanum II kooperieren, ist allerdings nicht immer wohl dabei zumute. Weder innerhalb der sogenannten Orthodoxen Kirchen noch im Führerkreis des Weltkommunismus mangelt es an mächtigen Stimmen, die am liebsten das Konzil dazu benützen wollen, um mit der katholischen Kirche in ein besseres, ja sogar in ein gutes Verhältnis zu gelangen. In kirchlichen Kreisen, vor allem innerhalb der tonangebenden russischen, doch auch in der von kommunistischen Einflüssen durchaus freien griechischen Kirche, überwiegen die den Glauben und die innerkirchliche Disziplin betreffenden Ursachen eines Pro oder Kontra: uralter Streit über das Dogma des Ausgangs des Heiligen Geistes, neuerer über die Unfehlbarkeit des Papstes, über die Himmelfahrt Mariens, über die Rechtmäßigkeit der seit dem Großen Schisma von 1054 abgehaltenen Konzilien, über den Primat des Papstes, die Priesterehe und viele andere geringere Fragen. Das alles gewinnt aber nur dadurch entscheidende Bedeutung, weil — oder wenn — ein aus dem Linterbewußtsein quellender fanatischer, bis auf die Spaltung von Ost-und West-Rom zurückreichender Haß den Widerspruch gegen jede Begegnung mit dem Papsttum nährt.

Wenige kennen die „Verhandlungsbereiten“

Doch auf der anderen Seite sind da die Befürworter einer von kühler Beachtung bis zur herzlichsten Brüderlichkeit sich erstreckenden positiven Stellungnahme zum Konzil und damit zum Katholizismus. Es gibt deren mehr innerhalb der europäischen Ostkirchen, als man meinen sollte. Angesichts des Schleiers, der hinter dem eher als „nebeligen“ denn als „eisernen“ zu bezeichnenden Vorhang so ziemlich alles umhüllt, wissen nur wenige Eingeweihte — zu denen Kardinal Bea und seine engsten Mitarbeiter zählen dürften — genau, wer unter den kirchlichen Hierarchen der Sowjetunion zu dieser aufrichtig begegnungsgewillten Richtung gehört und wie stark der Einfluß dieser Prälaten im Schöße der Orthodoxie ist. Daß jedoch eben diese Richtung vorhanden ist, daran obwaltet kein Zweifel. Etwas mehr Licht besitzen wir über die Ansichten der

schismatischen Kirchen außerhalb der UdSSR, zumal der Griechenlands (und des hier nicht weiter zu berücksichtigenden Nahen Ostens). Der Patriarch von Konstantinopel, Athenagoras, und fast alle Bischöfe der ihm unterstellten russischen Emigrationskirche sind f ü r das beim Konzil zu erneuernde Gespräch mit Rom. Sie stoßen aber auf Widerspruch der Mehrheit der griechischen Hierarchie. Sehr negativ bezeigt sich zum Beispiel die rumänische Orthodoxie. Das alles hat für die eigentlichen religiösen Probleme des Vatikanutns II seine Wichtigkeit. Politisch aber steht ein einziges Problem im Vordergrund: die Sowjetunion — das heißt Chruschtschow und sein Kreis — gegenüber dem Konzil und. was damit eng verknüpft ist, gegenüber Johannes XXIII. und dem Heiligen Stuhl.

Soviel scheint sicher, daß Nikita Sergiejewitsch nicht zu den Scharfmachern in der Art der „Gottlosen“ älteren Stils zählt. Persönlich ungläubig, wie es einem echten Marxisten geziemt, verrät er in vielen Äußerungen, daß er irgendwie' nicht' von “den ewigen fragen ganz losgekommen ist. Diese Grundstimmung gestattet ihm, aus rein machtpolitischen, weltpolitischen Motiven unter Umständen einen Modus vivendi, auf kürzere oder längere Zeit, mit den Kirchen, und sogar vor allem mit der katholischen, zu erwägen. Es ist viel bemerkt worden, daß zwischen dem jetzigen Papst und Chruschtschow Artigkeiten ausgetauscht wurden, an denen vordringlich bemerkenswert war, daß sie an die Öffentlichkeit gelangten. Unter Papst Pius XII. und Stalin wäre derlei kaum möglich gewesen. Im Vatikan hat man weder diese Höflichkeitsgesten noch sonstige konkretere Annäherungsversuche des sowjetischen Staatslenkers überschätzt. Doch es wäre irrig und gar nicht mit der Auffassung des jetzigen Papstes und seiner Friedensliebe vereinbar gewesen, lütte der Vatikan überhaupt jede Fühlungnahme schroff abgewiesen. Von anderen, weniger erwähnungswürdigen Episoden abgesehen, sind insbesondere zwei Begegnungen zu verzeichnen, die in Wien stattgefunden haben. Sie haben kein greifbares Ergebnis gehabt. Bei einem dieser Gespräche, das russischerseits vom „Außenminister“ des Moskauer Patriarchats, dem Nachfolger des wek-kundigen und weltoffenen Msgr. Nikö laj, Metropoliten von Kruticy, Mon-signore N i k o d i m, geführt wurde, ist bereits das Konzil und die eventuelle Teilnahme von Beobachtern aus den Sphären der russischen Kirche erörtert worden. Im Laufe des Jahres 1961 haben sich aber die Beziehungen zwischen dem kommunistischen Block und der katholischen Kirche erheblich getrübt. Was am schärfsten in Polen, bei den dauernden Konflikten zwischen Kardinal Wyszynski und dem Regime zum Ausdruck gelangte. Im Mai jenes Jahres brachte das Sprachrohr der Orthodoxen Kirche in der UdSSR, das „Jurnal Moskovskoj Pa-triarchii“, einen großes Aufsehen erregenden und sichtlich inspirierten Artikel, der ein „Non possumus“ (wir können nicht) gegenüber jeder Vertretung auf dem Konzil aussprach.

Die Situation schien unverändert bis in den Sommer dieses Jahres. Damals noch hegte man in weiten Kreisen des westlichen Katholizismus' die Besorgnis, daß nicht nur keinerlei Abordnung einer orthodoxen Religionsgemeinschaft der kommunistischen Machtzone in die Ewige Stadt kommen, sondern daß auch den katholischen Bischöfen die Fahrt nach Rom verboten bleiben werde.

Ende August erschien im Leibblatt Gomulkas, der Warschauer Wochenschrift „Polityka“, ein von deren Spezialisten für Kirchenfragen, Nowicz, gezeichneter Artikel, „Auf der Suche nach der verlorenen Zeit“, in dem ein denkwürdiger Satz steht. Ein mitten in die übliche kommunistische Rabu-listik eingefügter, unscheinbarer Satz, der aber zum Leitmotiv für die gesamte, sich seither üppig entfaltende kommunistische Publizistik Chruschtschowscher Färbung dienen kann: „Johannes XXIII. hat sich für den Frieden ausgesprochen und in gewissem Sinne für die Koexistenz.“ Sofort wird freilich hinzugefügt: „Wie weit reicht seine Handlungsfreiheit? Welches ist die Stärke der Integristen?“ Die „Integristen“, das sind die sich/ heilig gebärdenden schwarzen Peter, die man den Wallstreet-Imperialisten zuschieben möchte, mit denen zusammen sie die unholde Schar der Kriegshetzer und unbelehrbaren, der Sowjetunion feindlichen Reaktionäre bilden. Während auch unter den Katholiken, ja unter dem Klerus, wenn nicht gar im Episkopat, im Kardinalskollegium fortschrittliche, also der UdSSR als vorläufige Gesprächspartner willkommene Einzelpersonen und Gruppen anzutreffen sind.

Ob zu diesen neuen Gedankengängen das Gebet des Heiligen Vaters für die sowjetischen Astronauten (vom 12. August 1962) beigetragen hat, welche andere Dinge sich hinter verschlossenen Türen ereignet haben, das werden wir kaum so bald erfahren. Jedenfalls hat sich die sowjetische Taktik gegenüber dem Vatikanum II gewandelt. Das ist am polnischen Beispiel vor allem sichtbar geworden. Noch Mitte August waren die Bischöfe um Kardinal Wyszynski auf der Jasna Göra, dem Nationalheiligtum, in gedrückter Stimmung versammelt, ungewiß, wie viele von ihnen als Konzilsväter nach Rom reisen würden. Einen Monat später, nach einer Woche der Andacht und der Beratungen, unterzeichneten sie an demselben Ort einen Kollektivhirtenbrief, der alle Anzeichen einer erzielten Vereinbarung trug. In ihm, der am 30. Sep-

tember von allen Kanzeln verlesen wurde, war jede politische Anspielung sorgsamst vermieden. Man spürte allerdings heraus, daß noch nicht alles geregelt war. Es waren wesentlich noch zwei Punkte heiß umstritten: Das Regime trachtete die Zahl der Konzilsteilnehmer möglichst einzuschränken, und es bemühte sich, jede über die anfänglich versprochenen fünf Pässe hinausgehende Reiseerlaubnis mit von den Bischöfen energisch zurückgewiesenen politischen Konzessionen erkaufen zu lassen.

Inzwischen hatte der Heilige Vater, über die Paßschwierigkeiten der polnischen Hierarchie unterrichtet, in einem — publizierten — Telegramm an den Primas die Hoffnung ausgesprochen, alle polnischen Oberhirten beim Konzil zu sehen. Dennoch war man skeptisch über den Erfolg der Bemühungen um eine befriedigende Lösung dieser Angelegenheit. Da kam nun ein neuer Artikel der „Poli-tyka“. Nachdem darin die Stimme zweier heftig antikommunistischer Blätter zitiert worden war, wonach die Schaffung einer gemeinsamen Front, erst der Christen, dann aller Idealisten gegen den materialistischen Atheismus das wesentliche Ziel des Konzils sei, fährt der Autor fort: „Man kann heute ernsthafte Zweifel darüber hegen, ob das gemäß den Absichten des Papstes das einzige oder auch nur das hauptsächliche Ziel der Einberufung des Konzils gewesen ist. Das Bestreben, die Welt von einer Atomkatastrophe zu schützen, mag ein weit stärkerer Beweggrund gewesen sein. Das wird durch die jüngsten Stellungnahmen des Papstes für den Frieden bestätigt.“

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