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Die „neue Welle“

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Im gesamten kommunistischen Einflußraum ist mit erneuter Heftigkeit der Kampf gegen die Religion aufgeflammt. Er richtet sich gegen jedes Bekenntnis, nicht nur wider das Christentum; er trifft jede philosophische Weltanschauung, die nicht völlig mit dem materialistischen Monismus der Lehre Marx' und Lenins übereinstimmt. Einheitliche Planung, synchronisierte Taktik und einander angeglichene Methoden dieser Großangriffe liegen klar zutage. Man fragt sich nur, wie sich sein Einsetzen mitten in einer Periode der politischen Entspannung mit dem Streben Chruschtschows vereinbaren läßt, eine Symbiose zweier ohnedies durch genug Verschiedenheiten getrennten Daseinsformen zu erleichtern.

Offenbar sind es zwei Motive, die dabei den Aussehlagigeiben. Ba8..eirifcw.äre.;etwailWgerMer< maß^s'm'ttnnschreJjttWjjnUageaöfalifcwIlfcwgBe mühungen ist es dem Kommunismüs nicht einmal in der Sowjetunion,“ geschweige denn in den Volksdemokratien gelungen, die Religion auszurotten; vielmehr zeigt sich bei der jungen Generation Neugierde für Glaubensfragen und bei weitesten Schichten der Bevölkerung, wie in den Kreisen der Intelligenz der Satellitenstaaten, Anhänglichkeit an die Kirche, besonders in Polen, Ungarn, Jugoslawien und Rumänien. Wenn min der kalte Krieg beendet würde, wäre es unvermeidbar, dem westlichen Gedankengut wenigstens einigermaßen die Pforten zu öffnen. Dann erführen die breiten Massen und fänden die Gebildeten in verstärktem Grade bestätigt, daß Christentum und dualistische Weltanschauung in den führenden Kulturstaaten des Westens keineswegs zum alten Eisen geworfen worden sind; die weltanschauliche Monopolstellung des Materialismus muß also gesichert und die Kirchen sollen unter strengster Kontrolle im eingeengten Wirkungskreis gehalten werden, ehe sich der vermehrte Kontakt mit den nichtkommunistischen Ländern in einem Wiederaufstieg des „unwissenschaftlichen Aberglaubens“ geltend macht. Hier berühren wir den zweiten Hauptgrund des neuentfachten Kulturkampfes.

Den kommunistischen Ideologen war es mit der vorsichtigen Toleranz, die nach Stalins Tod allmählich in der UdSSR und besonders in einzelnen Satellitenstaaten geübt wurde, weder ernst noch in ihr wohl zumute. Sie fügten sich nur mit Widerstreben den taktischen Erwägungen, die vor allem in Polen und, bei anderer praktischer Anwendung, in Ungarn Rücksicht auf die Hierarchie, auf Klerus und Gläubige geboten. Die unentwegten Feinde jedes positiven Bekennrtnisses. lflueütesisnur auf £sn Moment, bfc säe.cwiedei.>ener.iSiffbdas „OpÄfj füi^ifat*VolkSf' vernichten konnten, und sie besaßen in diesem Punkt Bundesgenossen, mit denen sie sonst manchen harten Strauß zu bestehen hatten, nämlich die freigeistigen Intellektuellen liberaler Färbung, die zwar über jede Unterdrük-kung durch den totalitären Staat empört waren, doch gegenüber „den Überbleibseln des finsteren Mittelalters“ jedes Mittel für passend ansahen. Mit Entrüstung kanzelte auf dem polnischen Schriftstellerkongreß der frühere Minister, Literaturantipapst und Professor Z61-kiewski die Schriftsteller seiner Nation ab: „Nach 1956 hörten die Probleme des Kampfes mit dem klerikalen Rückschritt, mit den Überresten mythischen Denkens in unserer Gesellschaft, das durch die kirchlichen Einflüsse im Laufe der Jahrhunderte verewigt worden war, auf, durch die Schriftsteller in d e m Maße beobachtet zu werden, wie sich das vom Standpunkt des Kampfes um den Fortschritt in unserem Lande geziemt hätte.“

Sündigten die Dichter durch Unterlassung, so frevelten die schlimmen Priester durch ihr Tun. Die Warschauer „Trybuna Ludu“ jammerte in einem Artikel vom 7. Jänner 1960 über einen „brutalen Angriff“ Kardinal Wyszynskis, und dieses Hauptorgan der in Polen herrschenden Kommunistenpartei PZPR nannte Äußerungen des Primas „unvereinbar mit den elementarsten Vorstellungen eines Rechtsstaates“. Nun waren eben diese so scharf kritisierten Worte des Erz-bischofs vielleicht unvereinbar mit den Begriffen eines Extrem-Linksstaates, nicht aber mit denen eines Rechtsstaates demokratischer Art. Das Oberhaupt der polnischen Kirche wandte sich nur gegen die plötzlich in allen Tönen gepriesene und sogar mit sanftem Druck anempfohlene Unterbrechung der Schwangerschaft, gegen das, was eben in den Augen der Katholiken Mord am Ungeboreneri ist. Ähnlichen Zorn hat bei den Kommunisten der Kollektivhirtenbrief des pol-,' nischen Episkopats geweckt, worin die Wiedereinführung des Religionsunterrichts an den Schulen, die nach dem Oktober 1956 seitens des. Regimes zugestanden wurde, Verteidigung fand. Es half nichts, daß — man spürt dabei die maßgebende Initiative des friedliebenden Kardinals — dieses Eintreten für eine wesentliche Errungenschaft des milderen Kurses unter Gomulka mit einem höflichen Kompliment für die „Weisheit“ der Regierenden verbunden war, „die sich auf der Linie des Rechts und des heißen Verlangens der Eltern und der Jugend bewegten“.

jk?M ph sar. nm ,r|Bt9$70vtÄ nsxirssioi Die Annahme, die „Beschränkungen der Rechte der Religion in der Schule seien jenen weisen und nüchternen Entscheidungen (der Machthaber) zuwider“, waren nichts als ein frommer Wunsch, der sich in der unfrommen politischen Wirklichkeit als Trug entpuppte.

Denn, das ist ja der Kern des zweiten Hauptmotivs zum überlegt, willkürlich und ohne jeden Anlaß vom Zaun gebrochenen Kulturkampf: Die vom Kreml her geleitete Offensive gegen die Religion wurzelt in der tiefen Überzeugung, daß es nicht nur Recht, sondern Pflicht sei, der allein wissenschaftlichen, allein wahren marxistischen Weltanschauung den Sieg zu erringen, die Jugend in diesem Geist zu erziehen und, sowie ephemere politische Hemmungen wegfallen, den erbarmungslosen Ausrottungskrieg gegen die „Kirche des Schweigens“ zu eröffnen. Papst Johannes XXIII. hat von ihr in seiner Weihnachtsbotschaft gesprochen.

Es wäre vielleicht besser, wenn diese Definition auf die gesamte Kirche der Sowjetunion und des kommunistischen Zwischeneuropa zuträfe. Dann bliebe einem wenigstens der schmerzliche Anblick erspart, Gläubige, Priester, ja mitunter Bischöfe, in demütigender Weise, wenn auch mit der besten Absicht, den sie hassenden und verachtenden Regimen und deren Koryphäen Komplimente zu sagen. Der ungarische Episkopat hat in einem offensichtlich abgenötigten Hirtenbrief das freundliche Entgegenkommen von Leuten belobt, deren berufenste Organe eben wieder den verderblichen Einfluß religiöser Überbleibsel beklagen. Die Bischöfe müssen es dulden, daß von Rom aus zensurierte Geistliche sich unter dem Schutz der weltlichen Machthaber als Sprecher der Kirche gehärden. In der Tschechoslowakei ist ein derartiger Priester nach wie vor Mitglied einer Regierung, die eine wanderzirkusähnliche religionsfeindliche Ausstellung quer durch das Land schickt, um überall jeden Glauben lächerlich zu machen. In beiden eben genannten Staaten ist eine Zentralorganisation der Atheisten, als „Gesellschaft zur Verbreitung politischer und wissenschaftlicher Erkenntnisse“ tätig, die dem hehren Beispiel des (un)seligen Jaroslavskij und seiner Gottlosen in Rußland nacheifert. Besonders abstoßend ist die Art und Weise, mit der finanzielle Druckmittel gegen die Kirchen angewandt werden. Man belegt den Klerus und die Gotteshäuser mit hohen Steuern, gewährt nu nregri doie.sib jjos.“ 9!>,(riS sibjfi. ie'i Anpasserrt vermehrte Bezüge und sperrt Widerspenstigen die Einkünfte. Üben derlei Maßnahmen die erhoffte^ Wirkung, d,ann hat man erstens die bisher Gefährlichen an der Kette, zweitens wird herumerzählt, daß die Geistlichen nur nach dem Futtertrog schauen. Sträuben sich Überzeugungstreue und Aufrechte, dann sind sie allen Schikanen, allen Entbehrungen ausgesetzt, sofern man ihnen nicht zuletzt große Prozesse anhängt.

Das Beispiel des tapferen polnischen Bischofs Kaczmarek ist noch in Erinnerung, der im Frühr jähr 1959 in jeder Hinsicht drangsaliert und in der Ausübung seines Hirtenamtes behindert wurde. Hunderte weniger prominenter Opfer ihrer Unbeugsamkeit sind in den Volksdemor kratien zu zählen. Die Nadelstiche und, nicht selten, die kräftigen Stiche mit einem langen Messer, das für eine Pogromnacht geeignet wäre, hören nicht auf. Um etwa beim polnischen Beispiel zu bleiben: Entgegen formalen Abkonv men wird den Geistlichen Einziehung zum Heeresdienst mit der Waffe angedroht. Die katholische Universität Lublin wird über Nacht zur Zahlung von dreieinhalb Millionen Zloty „SteueTrückständen“ aufgefordert; ihr gesamtes Barvermögen, das nur eineinhalb Millionen Zloty beträgt, wird beschlagnahmt. Der Weihnachtsabend 1959 galt erstmals einem gewöhnlichen Wochentag gleich, und während 1956 der Rundfunk Kardinal Wyszynskis Predigt aus^ strahlte und noch 1957 eine Mitternachtsmesse sendete, beschränkte er sich nun auf kurze Wiedergabe einiger „Kolenden“, der als Folklore betrachteten Weihnachtslieder.

Ja, die Offensive gegen die Religion ist zwischen Eismeer, Ostsee, Schwarzem Meer und Ägäis, Adria im Zuge, und sie wird durch keinerlei politische Rücksichten auf internationale Entspannung gehemmt. Hat nicht Mikojan, in den USA mit der Gretchenfrage bedacht, wie er es mit der Religion halte, brüsker denn Doktor Faust geantwortet, er sei Atheist und denke nicht daran, das zu leugnen. Achtenswerte Aufrichtigkeit oder durchdachter politischer Schachzug, um von vornherein im Westen keine Illusion aufkommen zu lassen und um zu erproben, ob die tödliche Religionsfeindschaft des Kremls in der „freien Welt“ Reaktionen auslöst, die von Belang sind?

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